Die Grundlage der christlich-wissenschaftlichen Lehre und Ausübung ist biblisch, nämlich, daß Gott, das Gute, der einzige Urheber und Schöpfer ist, und daß daher der Mensch und das wirkliche Weltall gut, harmonisch, rein, vollkommen und ewig sind. Aus dieser Voraussetzung des Guten und der Vollkommenheit zieht die Christliche Wissenschaft folgerichtig den Schluß, daß alles Böse und Unvollkommene göttlicher Gutheißung und Unterstützung ermangelt und daher bloß eine verneinende, wesenlose und machtlose trügerische mentale Vorstellung ist. Dann fordert die Christliche Wissenschaft ihre Anhänger auf, diese Wahrheiten zu betätigen, diese geistigen Wirklichkeiten in ihrem täglichen Denken und Leben gewissenhaft und beharrlich anzuwenden. Natürlich führt das wissenschaftliche Bemühen, gute, reine und vollkommene Ideen in unserem menschlichen Bewußtsein tätig und vorherrschend sein zu lassen, zur Verneinung und Verdrängung des Glaubens an das Böse jeder Art, sei es Sünde, Krankheit oder Leid, Zwietracht, Unheil oder Tod.
Vollkommenheit ist die Grundlage, auf der der Christliche Wissenschafter denkt, und der Beweis der Vollkommenheit und der Unsterblichkeit ist das Ziel, das er zu erreichen strebt. Auf Seite 429 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” gibt Mrs. Eddy zweckdienlichen Rat mit den Worten: „Es ist Sünde zu glauben, daß irgend etwas das allmächtige und ewige Leben überwältigen kann, und dieses Leben muß sowohl durch das Verständnis, daß es keinen Tod gibt, als auch durch andere Gnadengaben des Geistes ans Licht gebracht werden. Wir müssen jedoch mit den einfacheren Demonstrationen der Herrschaft beginnen, und je eher wir beginnen, desto besser”. Weise in der Tat ist der Schüler der Wissenschaft, der zuerst die Macht der Wahrheit, die einfacheren Arten des Irrtums zu beherrschen und zu verhindern, zu beweisen trachtet, anstatt zu versuchen, sofort auf dem Wasser zu wandeln.
Indem der Schüler der Christlichen Wissenschaft den Prüfstein geistiger Vollkommenheit auf seine Beweggründe, Ziele und Wünsche — auf alle seine Gedanken — anwendet, findet er viel Irrtum zu berichtigen und auszuscheiden. Er mag lange der Segnungen und der Freude der Christlichen Wissenschaft beraubt gewesen sein, weil er sich wie viele andere durch Vorurteil hatte abwenden, blenden und irreführen lassen. In seiner größten Not, vielleicht nachdem die Ärzte gesagt hatten, es gebe für ihn keine Hoffnung und keine Hilfe, wandte er sich dann an die Christliche Wissenschaft und wurde von seinem Leiden geheilt. So fand er, daß sein Vorurteil gegen die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft und gegen ihre Lehre grundlos und ganz ungerechtfertigt war. Man könnte meinen, daß eine solche Erfahrung ihn vollständig von Vorurteil heilen würde. Aber das ist leider nicht immer der Fall; denn der fleischliche Sinn ist gegen Selbstzucht und Selbstbesserung abgeneigt.
So kann es sein, daß Vorurteil sich unter dem überflüssigen und unerwünschten mentalen Gepäck befindet, das der Schüler durch das, was erhebend, befreiend und wohltätig ist, ersetzen muß. Und wie ist dies zu erreichen? Zuerst muß erkannt werden, daß Vorurteil einer der abstoßenden und friedenstörenden Sprößlinge des falschen Sinnes des Selbst ist, jenes Selbst, das behauptet, unabhängig von Gott zu sein. Daher ist Vorurteil ein sicheres Zeichen von Selbstüberhebung und Engherzigkeit, Eigenschaften, die sich kein rechtdenkender Mensch wünscht. Beim Bloßstellen der Verkehrtheit und Verwerflichkeit des Vorurteils ist es hilfreich zu wissen, daß es als Verurteilung im voraus erklärt wird und mit Beeinträchtigung, Verletzung und Schaden verbunden ist. Dies ist wahrlich etwas ganz Unerwünschtes und sogar Anstößiges des sterblichen oder fleischlichen Sinnes.
Beim Lernen und Üben der Kunst christlichen Lebens, wo gegenseitiges Sichbekämpfen dem Zusammenarbeiten Raum gibt und gieriger Ehrgeiz der Demut und selbstloser Aufopferung im Dienste anderer weicht, ist es erforderlich, daß wir stets gegen die listigen Einflüsterungen des Satans auf der Hut sind. Diese Irrtümer treten immer als Güte und Wahrheit verkleidet auf; aber die Christliche Wissenschaft befähigt uns, ehrlich gegen uns selber zu sein und dadurch Stolz, Unduldsamkeit, Groll, Unnachgiebigkeit und andere beengende und verdammende Neigungen der zuchtlosen Menschheit zu erkennen und zu verwerfen. Was für eine Freude es bereitet, bei uns selber Zeichen des Fortschritts in geistigem Verständnis und Beweis zu finden! Nicht nur wir selber, sondern auch diejenigen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind glücklicher und fühlen sich wohler, wenn wir Geduld, christliches Mitgefühl und Erbarmen anstatt Aufgeregtheit, höhnischen Tadel und falsches Urteil ausdrücken. Diese Tugenden werden unter den „mitfolgenden Zeichen” bei jedermann sein, der anerkennt, daß die Christliche Wissenschaft die Wissenschaft christlichen Denkens und Lebens ist, und der ehrlich und anhaltend danach trachtet, sein Denken dem Maßstab der Vollkommenheit, dem göttlichen Gemüt und der göttlichen Liebe anzupassen. Überdies hat die Welt ebenso das Recht, dies von Wissenschaftern zu erwarten, wie wir das Recht haben, durch unser Anerkennen der Wirkung des göttlichen Harmonie- und Gesundheitsgesetzes Freisein von Schmerzen und Krankheit zu erwarten.
Das Licht, das die Christliche Wissenschaft auf das Leben, die Lehren und die Werke Christi Jesu wirft, enthüllt die christlich-wissenschaftliche Art und Weise des Verneinens alles dessen, was nicht mit Gott und Seiner guten Regierung übereinstimmt. Als der Meister im Tempel lehrte, sagte er: „Richtet nicht nach dem Ansehen, sondern richtet ein rechtes Gericht”, mit andern Worten, wir sollen die Gedanken, die zu uns kommen, nach dem Maßstab des Rechten, dem Maßstab des göttlichen Prinzips richten, das frei ist von der Voreingenommenheit persönlicher Beeinflussung und Rücksicht. Keine Spur von Vorurteil ist darin zu finden; denn christliches Denken ist mitfühlende, Hoffnung einflößende Liebe.
Als ein Weib, das eine Sünderin gewesen war, zu Christus Jesus kam, während er bei dem Pharisäer Simon zu Gaste war, betrachtete der Meister sie nicht wie sein Gastgeber „nach dem Ansehen”. Weil Jesus vom Standpunkt Gottes aus folgerte und recht richtete, trennte er die Sünde von der Person und befreite sie, während Vorurteil sie ewig verdammt hätte. Sollte ein Schüler der Christlichen Wissenschaft versucht sein, wie Simon gegen einen andern voreingenommen zu sein und ihn zu verdammen, anstatt dem Beispiel des Meisters zu folgen, so wird es ihm helfen, sich recht zu verhalten, wenn er sich fragt: Wie würde ich diesen betrachten, wenn er mich demütig um christlich-wissenschaftliche Behandlung bäte? Gewiß würde es den Schüler veranlassen, Tadel durch Mitgefühl und Groll durch befreiende Liebe zu ersetzen. Wahrlich, nur der Pfad der Liebe führt zu Licht und Freiheit, zu Glück und Gesundheit; und das ist die Art, wie Vorurteil überwunden wird.
