Ein aufrichtiger Christlicher Wissenschafter muß sich oft fragen: „Wie kann ich mein Leben so einrichten, daß ich meine Betätigung der Kunst der Künste — der Heilung derer, die um diesen christlichen Dienst bitten — vervollkommne”? Eine Antwort auf diese brennende Frage ist, daß das Verständnis des Buchstabens der Wissenschaft, wie er in der Bibel und in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy niedergelegt ist, und das tägliche Benehmen des Wissenschafters in unauflöslicher Beziehung zueinander stehen. Viele Ermahnungen zu christlichem Benehmen finden wir in den Briefen des Paulus an die neugebildeten christlichen Kirchen, die er gründen geholfen hatte oder die er zu gelegener Zeit zu besuchen beabsichtigte. Während seines ganzen Wirkens betonte Paulus die Notwendigkeit der Gnade, des Glaubens, des Friedens und der Kraft.
Da es Paulus trotz sehnlichen Verlangens, die Kirche in Rom zu besuchen, zu der Zeit nicht möglich war, dorthin zu reisen, sandte er ihr den Brief, den wir als seinen Brief an die Römer kennen, durch Phöbe, die „im Dienste der Gemeinde” war, da sie die Reise machte. Das 12. Kapitel des Briefs enthält die eindringliche Ermahnung, die christlichen Tugenden zu üben. Es erläutert seinen praktischen Idealismus.
Wenn wir die Notwendigkeit erkennen, die in diesem Kapitel erwähnten Tugenden in unserem Leben zu üben, können wir um sie bitten, jedoch nicht in einem Gebet, aus dem ein Zweifel spricht, daß Gott Seinen Kindern Seine Eigenschaften beständig mitteilt, sondern im Gebet der Erkenntnis, daß sie uns durch Widerspiegelung schon gehören. In diesem Kapitel sind bestimmte Eigenschaften aufgezählt, die ein Christ üben muß, und Untugenden, die er meiden muß. Die Liebe muß aufrichtig sein, sie darf „nicht falsch” sein. Wir sollen „das Arge hassen, dem Guten anhangen”. Moffats Übersetzung dieser Stelle lautet: „Eure Liebe sei wahr. Verabscheut das Böse, haltet am Guten fest”. In Geschäftsangelegenheiten muß Wachsamkeit und in schwierigen Lagen Geduld —„Anhalten am Gebet”— herrschen. Wir werden ermahnt, den Notleidenden zu geben und gastfreundlich zu sein.
Manche könnten sagen: „Aber ich habe doch kaum genug für meine eigenen Bedürfnisse”, und: „Meine Wohnung ist nicht derart, daß ich Gäste zu mir einladen könnte”. Wenden wir uns vom menschlichen zum Geistigen, so finden wir die Antwort: „Gib von deinem christlichen Denken denen, die es nötig haben, und öffne gastfreundlich deine Gedanken, damit du mehr Gnade, Glauben, Frieden und Kraft empfangen kannst!” Mit geändertem Denken kommt Verbesserung der Umgebung; und wenn dies nicht offenbar wird, kann das Denken immer noch der Erneuerung bedürfen. Es scheint, daß wir manchmal nur die Oberfläche unseres Denkens prüfen und nicht verständnisvoll daran arbeiten, die fundamentalen Annahmeirrtümer zu vernichten. Wir machen, wie Jesus sagte, „die Becher und Schüsseln auswendig reinlich”.
Paulus ermahnt uns nachdrücklich, diejenigen zu segnen, die uns verfolgen, und gegen diejenigen freundlich zu sein, die nicht freundlich gegen uns sind. Er spricht von Mitgefühl sowohl mit den Fröhlichen als auch mit den scheinbar Leidtragenden. Dann erteilt er uns den Rat, nicht eingebildet zu sein und uns der Ehrbarkeit gegen jedermann zu befleißigen. Wenn wir die Worte lesen: „Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden”, erkennen wir, daß Paulus es für möglich hielt, in seinem eigenen Bewußtsein unter allen Umständen Frieden zu bewahren. Am Schluß des Kapitels legt er wiederum Nachdruck auf freundliche Behandlung derer, die sich für unsere Feinde halten. Wer aufrichtig um Gnade bitten will, könnte gut das 12. Kapitel des Briefs an die Römer zur Grundlage für ein größeres Verständnis dieser christlichen Tugend nehmen.
Eine Eigenschaft, die Paulus für wesentlich hielt, ist Glaube. In seinem Brief an die Galater schließt er den Glauben in seine Aufzählung der „Frucht des Geistes” ein. Beim Zergliedern dieser Eigenschaft ist zuerst zuzugeben, daß alle Sterblichen an etwas glauben, daß aber dieser Glaube allzuoft in die falsche Waagschale gelegt wird. Furcht kann als Glaube an das Böse, an Unheil, Verlust und Unglück bezeichnet werden. Die Furcht, daß das Gute abwesend sein könne, und der Glaube, daß sich Schlimmes ereignen werde, sind gerade der Geist des tierischen Magnetismus — sind das, was das Denken in die dem Guten entgegengesetzte Richtung zu ziehen sucht. Die Umkehrung dieser Lüge ist ihr Vernichter — es ist der Glaube an Gottes Allmacht, der dem geistigen Verständnis die Tür öffnet und Beweis zur Folge hat. Dies ist der starke und geistig festgegründete Glaube, der den Apostel Paulus siegreich durch Trübsale, Verfolgungen und Gefangennahmen führte. Wir beginnen eine Behandlung recht, wenn unser Glaube so stark ist, daß wir wissen, daß sie wirksam sein und Heilung zur Folge haben wird.
Noch ein wichtiger Punkt in des Apostels Darlegung des Christentums Christi war Friede. Wie Gnade und Glaube ist auch Friede für eine heilende Behandlung unerläßlich. Der Wissenschafter muß sich mit Gott und dem Menschen in Frieden wissen, um einen andern von jedem Glauben an Krankheit befreien zu helfen. Der Patient ist irgendwie beunruhigt, sonst würde er nicht um Hilfe bitten. Wie nötig es doch dann ist, daß der Heiler auf der Seite des Friedens ist und weiß, daß das, was die materiellen Sinne noch so laut geltend zu machen scheinen, hinsichtlich des wirklichen Menschen nicht wahr ist, und daß es unser Vorrecht ist, die geistige Tatsache zu wissen, daß Frieden gegenwärtig ist, wenn der materielle Sinn seine falschen Anmaßungen vorbringt!
Ein Grundstein des Werks des Apostels Paulus war die Kraft Gottes. Er spricht von der „Kraft, die da in uns wirkt”. Seine Anerkennung der einen Kraft, Gottes, ermächtigte ihn zu seinem Lehren und Heilen. Weder im Gefängnis noch beim Schiffbruch noch angesichts augenscheinlicher Krankheit schrieb er dem tierischen Magnetismus Macht zu oder verlor den wahren Sinn der Kraft als geistig aus den Augen. Unsere Führerin faßte es in die Worte (Miscellaneous Writings, S. 200): „Die heilige Ruhe der wohlerprobten Hoffnung des Paulus begegnete keinem Hindernis und keinen Umständen, die dem Sieg eines vernünftigen Glaubens an die Allmacht des in seinem göttlichen Prinzip, Gott, enthaltenen Guten überlegen gewesen wären”.
Das allgemeine Benehmen eines Ausübers, der eine Behandlung gibt, muß die Bezeichnung christlich rechtfertigen. Die christlich-wissenschaftliche Behandlung muß auf dem machtvollen Vertrauen beruhen, daß die Kraft, die Gegenwart und die Fähigkeit des göttlichen Gemüts die Irrtümer des sterblichen Gemüts berichtigt. Vieles, was für Behandlungen brauchbar ist, kann mit Hilfe einer Bibelkonkordanz in den zahlreichen Stellen gefunden werden, in denen Paulus von Gnade, Glauben, Frieden und Kraft spricht.
Während Christi Jesu Lehren seit fast 2000 Jahren der Christenwelt zugänglich sind, ist erst in unserer Zeit in der Christlichen Wissenschaft die genaue Lehre gekommen, wie die anmaßenden Übel zu handhaben sind, die jede Anstrengung, die die Menschheit in der rechten Richtung macht, zu vereiteln suchen. Die Christen wußten besser, was sie tun sollten, als wie es ihnen gelingen könnte. Nie hat es vor unserer Zeit ein Lehrbuch gegeben, das in klarer Sprache das mutmaßliche Wesen des tierischen Magnetismus beschreibt und zeigt, wie er seit Beginn der Religionsgeschichte die Bestrebungen zur menschlichen Besserung zu vereiteln sucht, indem er den Buchstaben des Gesetzes benützt, um die Abweichung von der Betätigung rechten oder christlichen Verhaltens zu verdecken.
Mrs. Eddy betont dies in ihrer „Einweihungspredigt” anläßlich der Einweihung des ursprünglichen Gebäudes Der Mutterkirche mit den Worten (Pulpit and Preß, S. 9, 10): „Selbstvergessenheit, Reinheit und Liebe sind unermeßliche Schätze — beständige Gebete, Weissagungen und Salbungen. Betätigung, nicht Bekenntnis — Güte, nicht Lehren — geistiges Verständnis, nicht bloßer Glaube gewinnen das Ohr und die rechte Hand der Allmacht und rufen unendliche Segnungen herab. ‚Der Glaube ohne Werke ist tot‘. Christi Lehren und Betätigung sind die Grundlage erleuchteten Glaubens”.
