Nur das rechtfertigen, was zu rechtfertigen ist, ist das Gebot der Wahrheit; ohne die Parteilichkeit der Eigenliebe oder des Eigenwillens nach jenen Gedanken und den daraus hervorgehenden Handlungen trachten, die wirklich gerechtfertigt sind, ist der Christusmaßstab.
Vor Pilatus, von dessen Machtbefugnis sein Schicksal abzuhängen schien, kümmerte sich Jesus nur um die Rechtfertigung seines geistigen Selbst. „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll”, sagte er zu Pilatus. Als Gottes Vertreter hatte Jesus beständig seine Sohnschaft gerechtfertigt; sein Zweck, wodurch er sie sogar durch das Überwinden des Todes und des Grabes rechtfertigen würde, sollte bald in Erfüllung gehen. Jesus kümmerte sich nicht im geringsten um das Urteil anderer, was auch ihr Rang oder ihre Stellung sein mochte, wenn sie ihn nicht demütig oder aufrichtig suchten.
Die Nachfolger Mary Baker Eddys können kaum verfehlen zu erkennen, daß für die Wahrheit zu zeugen und sie im Herzen der Menschheit aufzurichten, die einzige Rechtfertigung war, die sie suchte. Überdies forderte sie nichts Geringeres von ihnen. „So kann sich”, schreibt sie, „jedes Mitglied dieser Kirche über die oft wiederholte Frage: Was bin ich? zu der wissenschaftlichen Antwort erheben: Ich kann Wahrheit, Gesundheit und Freudigkeit mitteilen, und dies ist mein Erlösungsfels und mein Daseinsgrund” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 165).
Wieviele Stunden selbstauferlegten Elends und müden Ringens sich die Hiobe dieser Welt hätten ersparen können, wenn sie ihre Zeit dazu verwendet hätten, die Wahrheit zu suchen und für sie zu zeugen, anstatt sich der Selbstrechtfertigung und dem Selbstbedauern hinzugeben! Erst als Hiob seine selbstgerechte Haltung aufgab, hörte er die Stimme Gottes. Man tut gut daran, zu wissen, daß man das Böse nur vergrößert und verlängert, wenn man es für eine Wirklichkeit hält, sei es in Verurteilung, in Mitleid oder Einwilligung.
Wenn sich die Sterblichen aus gerechter Ursache oder ohne gerechte Ursache angegriffen sehen, so ist ihre Reaktion, entweder in Selbstverteidigung wiederzuvergelten oder in Selbstverdammung zu versinken, während sie, wenn sie sofort den Christusmaßstab annehmen, die Lage mit Gleichmut und Erleuchtung ansehen. Wenn sie es ablehnen, einen Angriff oder eine erwartete Verdammung das persönliche Gefühl erregen zu lassen, werden sie ihre Handlungen nicht vom Standpunkte sterblicher Meinung, sondern vom Standpunkte geistiger Unterscheidung aus betrachten und wissen, daß sie aus der Erfahrung etwas zu lernen haben, gleichviel, ob der Tadel verdient ist oder nicht. Wenn diese offensichtlich keine Beziehung zu ihnen hat, können sie dankbar sein, daß das Gemüt sie vor einer ihnen zugeschriebenen Übertretung behütet hat, und versichert sein, daß es sie auch weiterhin behüten wird, wenn sie demütig und wachsam bleiben. Wenn aber der Gedanke einer oft selbstauferlegten Verdammung das geringste Maß von Gerechtigkeit enthält, können sie im Vertrauen auf die Führung der Liebe sofort beginnen, ihn mit dem, was wahr ist, zu berichtigen und weder Groll, falls sie darauf hingewiesen worden sind, noch Entmutigung, falls es sich ihnen selber enthüllt hat, sich in die Arbeit, die sie so zu tun haben, einmischen zu lassen. In dieser Weise bietet jede zu lernende Lehre Gelegenheit zum Fortschritt.
Ehrliches Denken und selbstlose Liebe, wenn getreulich geübt, werden nie verfehlen, uns zu führen, wenn wir zu unterscheiden haben zwischen dem Wunsche, Gerechtigkeit aufzurichten und Unwahrheit zum Schweigen zu bringen, und dem Wunsche, zu beweisen, daß wir im Recht sind. Es ist zu beachten, daß das eine ganz im Dienste der Wahrheit getan wird, während das andere zu unseren eigenen selbstischen Gunsten und nur allzuoft auf Kosten eines andern geschieht, weshalb unsere Führerin so häufig und bedeutsam Selbstrechtfertigung mit Eigenwillen und Eigenliebe zusammenbringt. Die entschuldigenden und anklagenden Gedanken gehen gewöhnlich Hand in Hand, und es gibt keine Verschlinger, die den Ertrag unseres Bodens schneller vernichten würden. Sie sind jedoch machtlos, die Vorsichtigen abzulenken oder aufzuhalten. Auf diese Arten triumphiert selbstlose Liebe über jeden heimtückischen Vorwand, der wahres Urteil ablenken und verdrehen würde.
Was für den Christlichen Wissenschafter in erster Linie in Betracht kommt, muß stets sein Daseinsgrund sein: das Zeugen für die Wahrheit. Die Rechtfertigung einer menschlichen Handlung oder Lage ist nur dann von Wert, wenn der Beweggrund der ist, die Tätigkeit des Gemüts durch Güte, Langmut und Rechtschaffenheit in Wirksamkeit zu bringen als Beweis seines geistigen Seins und als Beispiel und Segnung für andere. So geheiligt kümmern sich die Menschen immer weniger um die Meinung der Welt, da sie durch Gebet und geistige Arbeit ihr Denken und Handeln in Übereinstimmung mit dem göttlichen Maßstab zu rechtfertigen suchen. Mit diesen Mitteln beweisen sie die Worte Jesajas: „Einer jeglichen Waffe, die Wider dich zubereitet wird, soll es nicht gelingen; und alle Zunge, so sich wider dich setzt, sollst du im Gericht verdammen. Das ist das Erbe der Knechte des Herrn und ihre Gerechtigkeit von mir, spricht der Herr”.
Nicht viele Männer haben in ihrer öffentlichen Laufbahn heftigeren Streit, erhitztere Parteilichkeit erregt als Paulus. Dennoch konnte er den Korinthern schreiben: „Mir aber ist’s ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht”. Geistige Erfahrung hatte Paulus gelehrt, daß menschliche Urteile, selbst seine eigenen, wenn sie nicht von Gott eingegeben sind, wertlos sind; daß die einzige sichere Gewähr der Schuldigerklärung oder Freisprechung die ist, die von der göttlichen Weisheit eingegeben ist. Das unpersönliche, unerbittliche Gebot des Prinzips, das der Mensch widerspiegelt, fordert Gehorsam, kennt aber weder menschliche Rechtfertigung noch Verteidigung.
Wir tun gut daran, in tiefer Dankbarkeit beständig eingedenk zu sein, daß sich unsere unerschrockene, standhafte Führerin nie auf die Seitenwege der Selbstrechtfertigung und des Selbstbedauerns begab. Trotz der vielen und beständigen Angriffe auf sie ging sie vorwärts und bewies mit jedem Schritt, daß sie für die Wahrheit zeugte. Daher ist unsere Sache mit ihren mannigfaltigen aus der Inspiration und Initiative unserer Führerin hervorgegangenen Tätigkeiten auf den Felsen gegründet. Gott als die göttliche Liebe und den Menschen als Seine Idee zu rechtfertigen, war der ganze Zweck ihres Lebens; und sie vollbrachte dies zum Segen der Menschheit.
Um den Ankläger niederzuwerfen, müssen wir die Bedeutung folgender Worte verstehen lernen, die Mrs. Eddy aus gründlicher Erfahrung heraus äußerte (Nein und Ja, S. 8): „Segnend und hoffend laß den Unverständigen ruhig seiner Wege gehen, während du voller Gleichmut mit vermehrter Kraft, Geduld und Verständnis, durch deine Langmut gewonnen, vorwärts schreitest”. Wenn die Christlichen Wissenschafter ihrem Beispiel folgen, werden sie in immer größerem Maße finden, daß ihr Leben für die Wahrheit zeugt. „Wer”, fragt Paulus mit dynamischer Endgültigkeit, „will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht”.
