„Wenn die Gerechten die Macht haben, freut sich das Volk”, bemerkte der Verfasser der Sprüche. Das Ausüben unwillkommener religiöser oder politischer Macht, gegen die die Menschen sich aufgelehnt haben, der sie sich widerwillig unterworfen haben, ist in großem Maße die Geschichte des Menschengeschlechts.
Widerrechtliche Machtergreifung trat zu Jesu Zeit in Judäa und in Galiläa überall in Erscheinung. Dort suchte er die Christuslehre einzuführen, die die Menschen leiblich und geistig freimachen sollte. Sein Volk war staatlich von der grausamen Militärgewalt des römischen Jochs, kirchlich von einer gewalttätigen Priesterschaft beherrscht, die des Volkes Vorstellung von Gott verkümmerte und verfinsterte.
Der Meister kam, die Menschen zu lehren, wo wahre Macht zu finden ist. Die Befreiung, die er brachte, war nicht die eines zeitlichen Herrschers oder Wohltäters; sie war ewig und göttlich. Sie war das Ergebnis seines Verständnisses des Einsseins des Menschen mit dem göttlichen Prinzip, von wo allein Gesetz kommt sowie die Macht, diesem Geltung zu verschaffen und es aufrechtzuerhalten. Auf Seite 26 des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mary Baker Eddy: „Göttliche Wahrheit, göttliches Leben und göttliche Liebe gaben Jesus Gewalt über Sünde, Krankheit und Tod. Es war seine Mission, die Wissenschaft des himmlischen Seins zu enthüllen, zu beweisen, was Gott ist, und was Er für den Menschen tut”. Diese göttliche Vollmacht und ihre unendliche, immergegenwärtige Verfügbarkeit ist in der Wissenschaft des Christentums enthüllt.
Christus Jesus sprach nicht nur mit Vollmacht, so daß sie über die Kraft verwundert waren, die in Worten lag, die bis dahin zwar allgemein bekannt, aber inhaltleer und bedeutungslos waren, sondern er handelte auch mit einer Ermächtigung, wie sie vorher nie in den Angelegenheiten der Menschen beobachtet worden war. Die Propheten hatten einen neuen Himmel und eine neue Erde geweissagt, wo Gerechtigkeit herrschen würde; aber Jesus verkündigte den Menschen ihr persönliches Recht auf dieses Reich.
Die Vorrechte festbegründeter Interessen wurden aufgehoben und aus dem Tempel ausgetrieben durch eine Ermächtigung, der sich weder die davon Betroffenen noch die Hohenpriester und Ältesten des Volks äußerlich zu widersetzen wagten. Die Heuchelei und der Hochmut der Reichen, wie im Falle Simons des Pharisäers; das Vorrecht, zu verurteilen oder freizusprechen, womit Pilatus sich brüstete; die Anmaßung des falschen materiellen Gesetzes, Krankheit und Leiden, Begrenzung und Verlust aufzuerlegen — das alles wurde bloßgestellt und gerügt. Viele Verkrüppelte und durch Gebrechen und Krankheiten Gebundene, die bis dahin geglaubt hatten, daß es keine Befreiung für sie gebe, kamen zu ihm, und es ist berichtet: „Es ging Kraft von ihm, und er heilte sie alle”. So „hob er”, wie unsere Führerin schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 382), „die vermeintlichen Gesetze der Materie auf, die den Harmonien des Geistes entgegengesetzt sind, da ihnen göttliche Autorität fehlt und sie nur menschliche Zustimmung als Bestätigung haben”.
Jesus anerkannte die Bürgerpflichten und -obliegenheiten, wie aus seiner Erklärung ersichtlich ist: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist”; aber in allem, was er sagte und tat, lehrte er die Menschen ihr göttliches Recht, sich über die unrechtmäßig auferlegte Gewaltherrschaft der Sünde oder der Krankheit zu erheben und die Freiheit der Söhne Gottes zu beanspruchen. Eine solche in der Verwandtschaft des Menschen mit Gott begründete Ermächtigung bringt nicht Kampf, sondern Frieden; sie ist mit Macht ausgerüstete Sanftmut. Sie kennt weder menschlichen Willen noch persönliches Bemühen; sie lebt, um zu segnen, zu heiligen und zu erlösen. Eine Machtbefugnis, wie Jesus sie ausübte, braucht sich nicht zu behaupten. Sie bringt Widerspruch zum Schweigen und unterdrückt Widerstand. Weder diejenigen, die aus dem Tempel hinausgetrieben wurden, noch die Priester und Ältesten trotzten der Ermächtigung Jesu, obgleich sie deren Quelle in Frage stellten; denn sie erkannten, daß hier etwas war, was mächtiger war als das, was sie ihm entgegensetzen konnten.
Durch die Lehren der Christlichen Wissenschaft lernen die Menschen ungerechte sogenannte Gesetze herausfordern und vernichten, mögen sie auch noch so sehr verschanzt sein in materieller Ermächtigung und herkömmlicher Billigung, die sonst nichts als „nur menschliche Zustimmung als Bestätigung” haben.
Da die Vollmacht, mit der Jesus redete und handelte, von Gott verliehen ist, gehört sie allen und muß schließlich sogar über den Tod bewiesen werden, wie der Meister es tat, dessen Feinde glaubten, daß ihr bitterer Widerstand gegen ihn mit seiner Kreuzigung siegen werde. Die Christlichen Wissenschafter lernen verstehen, daß da, wo keine geteilte Treue, kein geteilter Verlaß ist, auch keine geteilte Macht ist. Mrs. Eddy schreibt: „Der Mensch ist unsterblich und lebt kraft göttlicher Vollmacht” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 76).
Durch diese Erkenntnis der Ewigkeit der göttlichen Ermächtigung, wodurch der Furcht vor Krankheit oder der Liebe zur Sünde ihre Einzel- oder Gesamtheitsrechte zu betrügen oder zu versklaven, entzogen werden, werden alle falschen Ermächtigungen auf ewig zerstört. In dem Bewußtsein dieser unbestrittenen Herrschaft des unendlichen Gemüts über seine ganze Schöpfung sehen wir die Erfüllung der Worte des Propheten Sacharja: „Und der Herr wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der Herr nur einer sein und sein Name nur einer”.
