Die Christliche Wissenschaft ehrt die intellektuellen Eigenschaften, die vom Geist geleitet und ihm untergeordnet sind. Die größten Intellektuellen sind immer die Bescheidensten gewesen. Intellektualismus mag auf Unwissende oder auf diejenigen Eindruck machen und sie einschüchtern, die Macht eher im Wissen als in den geistigen Eigenschaften sehen, die es allein wertvoll, ja sogar sicher machen. Aber jeder auf menschliche Erlangung oder auf Besitz gegründete Sinn der Überlegenheit, möge er materiell oder mental in Erscheinung treten, ist vom Standpunkt der unparteiischen Allheit des Geistes aus nicht nur unlogisch; er ist lächerlich.
„Denn wer hat dich vorgezogen?”, fragt Paulus in seinem ersten Briefe an die Korinther. „Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als ob du es nicht empfangen hättest?”
Wenn die Menschen nicht demütig gegeneinander sind, können wir versichert sein, daß sie nicht demütig gegen Gott sind. Sie verwechseln Einbildung mit jener inneren geistigen Überzeugung, die weiß, sich aber nicht hervortut; die die Anerkennung ihres Wertes dem Gemüt überläßt. Intellektualismus ist eine Art sektiererische Blindgläubigkeit, die sich keinem echten menschlichen Bedürfnis anpaßt. Weil er Abstraktionen unangebracht huldigt, den Buchstaben hervorhebt, den Geist seines Themas geringschätzt, bekommt auch er diese falsche Huldigung, diese Betonung von anderen.
Die Intellektuellen dürfen in ihrer rechten Schätzung des Wissens nicht vergessen, daß die Menschheit im Bewußtsein ihrer eigenen Unsicherheit geneigt ist, dem, was sie nur unklar versteht, übertriebene Ehrerbietung zu erweisen.
Wie klar doch Jesus diese Schwäche in den damaligen Religionsführern und ihren Anhängern sah und daher seine Nachfolger ermahnte: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig”! Mögen diejenigen, die lernen, und diejenigen, die lehren, erweckt werden, kein anderes Vorbild anzunehmen!
Bezüglich der Ansprüche des sterblichen Gemüts schreibt Mary Baker Eddy auf Seite 25 in „Unity of Good”: „Diese Lüge, daß das Gemüt in der Materie sein könne — beanspruchend, etwas neben Gott zu sein, die Wahrheit und ihren Beweis in der Christlichen Wissenschaft verneinend — diese Lüge erkläre ich, ist eine Trugvorstellung. Dieses Leugnen schärft den menschlichen Verstand, indem es seinen Augenschein vom Sinn zur Seele und von der Endlichkeit in die Unendlichkeit verlegt”. Wenn die Menschen Mrs. Eddys Vision wahrer Verstandesgabe ergreifen, wie sie in ihrem tiefen Erfassen und ihrer unfehlbar folgerichtigen Darlegung des geistig Wirklichen und des sterblich Unwirklichen ausgedrückt ist, werden sie sich weigern, sich von den Sophistereien, den Behauptungen, den Stellungnahmen derer, die sie für fähiger, gründlicher, gelehrter halten als sie selber sind, verwirren, imponieren oder verstricken zu lassen. Vor solchen Gefahren warnte Paulus die Korinther in seiner Aufforderung, daß sie sollen nicht lassen „ihre Sinne verrückt werden von der Einfalt in Christo”. Er wußte, wie leicht und wie verhängnisvoll der Herdeninstinkt des menschlichen Gemüts verleitet wird, allem nachzufolgen, was ihm Unerwartetes, Neues, Rätselhaftes darbietet.
Den geistig Intellektuellen werden gründlich ausgedrückte, in ihrer weitreichenden Bedeutung erwogene tiefgehende Anschauungen, die allem menschlichen Wissen an die Wurzel gehen und beweisen, daß es auf falschen Voraussetzungen beruht, von hoher und immer zunehmender Bedeutung sein. In ihrem Verständnis — das das gegenwärtige Begreifen derer, deren Fähigkeit und Bildung sie noch nicht so weit geführt haben, überragt — werden sie sich auch der Bewegung von unschätzbarem Dienst erweisen. In ihrem Erfassen und Aufstellen geistiger Tatsachen, in ihrer Klarheit und ihrem Urteil werden sie denen helfen, denen das Erfassen der Einheit des Gemüts ein Heer von Schwierigkeiten bereitet, die sterbliche Gelehrsamkeit oder Überlieferung darbietet. In dem Reichtum ihres selbsterlebten menschlichen Wissens werden sie Mrs. Eddys Weissagung erfüllen (Miscellaneous Writings, S. 356): „Meine Schüler mit gebildetem Erkenntnisvermögen, geläuterten Neigungen und köstlichen Hoffnungen versprechen glänzende Laufbahnen”.
Wer sich aber in irgend einer Form intellektueller Oberhoheit zu überheben sucht, sich pharisäische Spezialisierung mit dem Recht anmaßt, für andere auszulegen und zu dogmatisieren, lernt nicht, wie Jesus seine Nachfolger lernen hieß. Und diejenigen, die einem solchen folgen, folgen nicht dem Prinzip, sondern der Persönlichkeit.
Es ist schon gesagt worden, daß man nur das hört, was man versteht. Alles, was uns nicht verständlich ist, ist nur Verwirrung und Finsternis. Wir mögen es wiederholen, darum kämpfen, es blindlings glauben; aber es ist in der Stunde der Not machtlos. Da die Menschen ihr eigenes Urteil, ihre eigene Intelligenz so niedrig bewerten, nehmen sie so willig an, was andere sagen und denken, was oft um so mehr Eindruck auf sie macht, weil es tatsächlich über ihr intellektuelles Erfassen geht. Mit solchen Mitteln wird falsche Führerschaft aufgestellt und Spaltung unter Brüdern gestiftet.
Die Erkenntnis der Wahrheit kommt nicht durch den menschlichen, sondern durch den geistigen Sinn. Trotzdem hat das menschliche Folgern das Recht, befriedigt zu werden und kann in der Wissenschaft stets befriedigt werden, wenn es willig ist, das Sterbliche dem Unsterblichen unterzuordnen, die grundlegende und unbestreitbare Tatsache in der Christlichen Wissenschaft, daß das göttliche Gemüt und seine geistige und vollkommene Idee allein wirklich sind, anzunehmen.
Demut liegt nicht in Unterordnung unter andere Persönlichkeiten, die größere Macht, größeren Einfluß oder größere Fähigkeit als wir beanspruchen, obgleich sie oft so angesehen wird. Gelehrigkeit ist wesentlich; aber jeder sollte sich vergewissern, von wem und wie er lernt. Das „Lernet-von-mir” ist heute genau so unser Vorbild wie damals, als Jesus es seinen Nachfolgern einschärfte. In diesem Lernen werden die Menschen die verheißene Ruhe für ihre Seelen finden, die Ruhe, die kommt, wenn sie das Persönliche für das Geistige, menschliche Meinung für göttliches Wissen niederlegen. Sie werden diese Ruhe auch anderen bringen.
Diejenigen, die glauben, daß sie wegen ihrer Seh- und Ausdruckskraft die wesentlichen Stützen und Hüter der Wahrheit seien, vergessen, daß Gott, nicht sie, für Sein Weltall und für das Wort verantwortlich ist, das, wie wir im 1. Kapitel des Evangeliums des Johannes lesen, Er ist, und das immer bei Ihm ist.
Betreffs der Unterordnung des Körpers unter das Gemüt mahnt uns Mrs. Eddy auf Seite 119 des Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „So verhält es sich mit dem Menschen, der nur der demütige Diener des ruhevollen Gemüts ist, mag es dem endlichen Sinn auch anders scheinen”. In dieser Demut, in dieser Ruhe können die Menschen wissen, daß der intelligente, beständige Gehorsam gegen den Buchstaben und den Geist der Wahrheit, wie sie in der Christlichen Wissenschaft dargelegt ist, den sterblichen Verstand mit seinen Begrenzungen, seinen eitlen Bestrebungen und Widersprüchen bloßstellt und geringschätzt, und der Verstand des Geistes, der allen gleichermaßen gehört, kommt zum Vorschein. Dann werden Stolz auf menschlichen Verstand und Furcht und Ehrfurcht davor durch das ersetzt, was geistig gehört und daher geistig verstanden wird. Dann sieht man, daß Macht nicht in dem liegt, was die Menschen annehmen oder beredt predigen und lehren, sondern in dem, was sie leben und dadurch in ihrem individuellen Ausdrück der Allmacht, der Allwissenheit und der Allgegenwart Gottes beweisen.
