In dem Bemühen, sich in der segensreichsten aller Künste, dem Heilen der Leiden der Menschheit durch geistige Mittel, zu vervollkommnen, kann sich der Christliche Wissenschafter sowohl der induktiven als auch der deduktiven Lehrweise bedienen, wie die vier Evangelisten sie dargetan haben. Sie gaben allen Zeiten inspirierte Eindrücke des erhabenen Lehrens und Predigens ihres Meisters, die diese beiden Schlußfolgerungsweisen gewähren. Sie gaben uns auch eine aus besonderen Veranschaulichungen seiner Heilungswerke bestehende hochwichtige Statistik, von der der Heiler ihm unentbehrliche metaphysische Punkte ableiten kann.
Ziehen wir nur jene Fälle in Betracht, in denen sogenannte physische Krankheiten geheilt oder die Toten auferweckt wurden, so haben die Evangelisten in mehr oder weniger ausführlichen Berichten sechsundzwanzig Fälle aus dem dreijährigen öffentlichen Wirken Christi Jesu verewigt. Diese Heilungen erstreckten sich örtlich von Phönizien und Galiläa im Norden bis nach Jerusalem und Bethanien im Süden. Sie bekunden jene Liebe, die einen Sklaven und einen Königischen, einen Bettler am Wege und die Tochter des Obersten einer Synagoge gleicherweise segnete.
Prüfen wir das erste dieser wichtigen Beispiele des heilenden Wirkens Jesu, so finden wir einen Königischen aus Kapernaum, der nach Kana kam und Jesus bat, nach Kapernaum hinabzukommen, um sein Kind zu heilen. Vom Heilen eines Kranken in der Ferne schreibt Mary Baker Eddy: „Die Christliche Wissenschaft, die die Fähigkeit des Gemüts, aus sich selber und unabhängig von der Materie zu handeln, anerkennt, befähigt einen zu heilen, ohne den Patienten überhaupt gesehen zu haben — oder einfach, nachdem man mit dem mentalen Zustand des Patienten bekannt gemacht worden ist” (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 43). Gleichviel ob sein Patient anwesend oder abwesend ist, erläutert dies zwei für den Heiler wichtige Punkte. Der erste ist, die Notwendigkeit zu erkennen, daß die Kraft des Gemüts ohne materielle Hilfe handelt; der zweite, die Notwendigkeit zu erkennen, daß es der mentale Zustand des Patienten ist, was vornehmlich der Heilung bedarf.
Als der unglückliche Vater seine Bitte vorbrachte, erkannte Jesus offenbar „die Fähigkeit des Gemüts”, ganz „unabhängig von der Materie zu handeln”— sogar unabhängig von der Auffassung der Materie, die eine dimensionale Welt in sich schließt, in der geglaubt wird, daß Gott „droben”, der Ausüber „hier” und der Kranke „drunten in Kapernaum” sei. Er sagte zu ihm, er könne nach Hause gehen, völlig versichert, daß sein Sohn geheilt sei. Des Vaters Anteil lag in Empfänglichkeit und in unbedingtem Gehorsam.
Wir lesen von mehreren Reisen zwischen Galiläa und Jerusalem während des öffentlichen Auftretens im ersten Jahre und von der Heilung vieler; aber nur von einer Heilung während dieser Zeit ist ausdrücklich erwähnt, daß sie in Jerusalem stattfand — die Heilung des Lahmen am Teiche Bethesda. Um sich mit der metaphysischen Seite dieser Statistik zu befassen, kann sich der Wissenschafter der Konkordanzen zu Mrs. Eddys Werken bedienen und die korrelativen Stellen zu jedem Punkte nachschlagen, der als Ergebnis des Nachdenkens über die inspirierten Aufzeichnungen hervortritt. Auch mittels des Anhangs B am Schlusse beider Konkordanzen kann man jede direkte Bezugnahme auf Bibelstellen finden, die Mrs. Eddy zitiert und erläutert. Zum Beispiel ist sechsmal auf die Geschichte des Johannes von dem am Teiche Geheilten direkt hingewiesen. Mit Hilfe des Anhangs B kann man sich oft besonders des Schlüssels bedienen, um sein Verständis des Herantretens Jesu an die ihm dargebotenen verschiedenen Probleme zu öffnen.
Es hat sich als hilfreich erwiesen, Vergleiche zwischen Heilungen, die der Meister vollbrachte, und denen anzustellen, die in unserer Zeit entweder durch Mrs. Eddys direkte Behandlung oder durch ernstes Lesen ihres Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” stattfanden. Zum Fall des am Teiche Geheilten haben wir eine Parallele im ersten Zeugnis in „Früchte”, dem letzten Kapitel des Lehrbuchs.
„Jesus handelte unerschrocken, dem allgemein anerkannten Augenschein der Sinne entgegen, den pharisäischen Glaubenssätzen und Gebräuchen zuwider, und er widerlegte alle Gegner durch seine heilende Kraft” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 18). In nichts war diese Widerlegung wahrnehmbarer als in seinen wiederholten Heilungen (wovon sieben berichtet sind), die er am Sabbat und oft in einer Synagoge in Gegenwart der Pharisäer vollbrachte, die unverhüllt eine Gelegenheit suchten, ihn wegen Verletzung des mosaischen Gesetzes anzuklagen. Immer wieder bewies er, daß das christliche Heilen durch seine Richtigkeit geschützt ist, und daß der Beweis des Sabbathaltens Gutestun ist. Einer dieser Beweise ist die Befreiung des mit einem unsauberen Geist Besessenen, der schrie: „Halt, was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben” (s. Mark. 1, 21–28). Wie schnell der Meister den Irrtum von dem Mann trennte! Es ist besonders nötig, dies beim Behandeln von Geisteskrankheit zu tun; denn es scheint oft, als ob sich die Person selber dem heilenden Christus widersetze, während es der Irrtum ist, der den Widerstand leistet. Jesu Zurechtweisung: „Verstumme” galt nicht dem Menschen Gottes, sondern den Lügen, die jenen Menschen zu verbergen schienen.
Die Geschichte im Evangelium des Matthäus (K. 9, 2–8) von der ersten Heilung unseres Herrn im zweiten Jahre — das als das große galiläische Wirken bekannt ist — wird den Nachfolgern unserer Führerin immer von Interesse sein, weil sie nach ihrem Sturz auf dem Eise, infolgedessen sie nach ärztlicher Erklärung im Sterben lag, um ihre Bibel bat und sie an dieser Stelle aufschlug. Die Geschichte im Evangelium des Markus ist vollständiger. Wir lesen im 2. Kapitel, wie der Mann durch das Dach niedergelassen wurde. Eine Menschenmenge hatte sich in dem Hause in Kapernaum, wo Jesus war, und wo er damals wohnte, angesammelt, und die vier Männer, die den Gichtbrüchigen trugen, konnten nicht auf dem üblichen Wege durch die Tür oder gar durch ein Fenster zu Jesus gelangen. Was taten sie? Gaben sie ihren Versuch auf, ihren Freund zu Jesus zu bringen? Durchaus nicht! Sie deckten das flache Dach ab und fanden eine zwar ungewöhnliche, doch gut ausführbare Gelegenheit, ihren kranken Freund zu Jesus zu bringen.
Einige aus dieser Heilung zu ziehende Lehren sind: Erfindungsgabe und Beharrlichkeit auf seiten der Freunde des Patienten und wiederum die rechte Art Vertrauen. Wenn wir unsere Patienten nicht beim ersten Versuch in die Christus-gegenwart bringen können, so laßt uns sehen, was für ein Dach oder was für eine Umhüllung des Denkens entfernt werden muß, und feststellen, was für Gedanken beseitigt werden müssen, weil sie dem Christus hinderlich sind. In „Pulpit and Preß” (S. 10) nimmt Mrs. Eddy hierauf Bezug mit den Worten: „Es war unseres Meisters Selbstaufopferung, seine lebenspendende, Gemüt und Körper heilende Liebe, die das durch untätigen Glauben gelähmte, abgestumpfte Gewissen zu einem lebendigen Sinn der Bedürfnisse der Sterblichen — und der Kraft und Absicht Gottes, sie zu befriedigen — aufweckte”.
Jesus wußte, daß der wirkliche Mensch weder krank noch sündig ist, und durch dieses Verständnis rüttelte er den „untätigen Glauben zu einem lebendigen Sinn” auf, der seinen Patienten befähigte, die geforderte Aufgabe zu erfüllen.
Zwei Formen des aggressiven Bösen, vor denen Jesus sich und sein messianisches Werk beständig schützte, waren die römische Staatsgewalt und die jüdische Priesterlist. Hätte er dies unterlassen, wie hätte er sein Werk vollenden können? Dasselbe Bedürfnis liegt heute vor. In ihren Werken gab uns unsere Führerin voraussehend alles, was wir brauchen, uns und unsere Sache gegen aggressive irrige Einflüsterungen zu verteidigen. Es ist kein Geheimnis mehr, daß vorsätzlicher aggressiver menschlicher Wille die „fünfte Kolonne” ist, vor der sich alle christlichen und freiheitliebenden Menschen in allen Ländern schützen müssen.
Diktatur ist ein Herodesgedanke, der das Kindlein — die Christusidee christlicher Brüderschaft — umzubringen sucht. Aber die Offenbarung der Christlichen Wissenschaft hat dieses finstere Geheimnis aufgedeckt und ihre Nachfolger in allen wichtigen Punkten feine Vernichtung betreffend belehrt. Wer diese Offenbarung annimmt, erkennt, daß er zuerst jedes Verlangen, in seiner Familie, im Geschäft oder in seiner Kirche zu diktieren, aufgeben muß. Er weiß, das Gott ihn und jeden, mit dem er zu tun hat, regiert, und daß menschliche Gewalt nicht durch ihn ausgedrückt werden und daher sein geistig geschütztes Denken nicht beeinflussen kann.
Jedes der sieben wichtigen Beispiele, die des Meisters Fähigkeit, trotz pharisäischer Diktatur am Sabbat zu heilen, zeigen, kann mit Bezug auf unsere Arbeit im Überwinden des aggressiven Bösen zu Hause und außerhalb studiert werden.
Im Evangelium des Matthäus ist gezeigt, daß die in der Bergpredigt bekundete unvergleichliche Schönheit und Beredsamkeit seines Lehrens sofort in der Heilung des Aussätzigen, der dem Meister begegnete, als er vom Berge herabkam, praktisch bewiesen wurde.
Jesus gewährte dem Aussätzigen seine Bitte sofort und heilte ihn; aber in diesem Falle wurde verlangt, niemand etwas davon zu sagen. Der Mann wurde von einem dem materiellen Sinn sichtbaren Leiden geheilt. Die Leute konnten nicht umhin, die Heilung wahrzunehmen. In der Praxis ist es in manchen Fällen weise, den Neuling in der Christlichen Wissenschaft zu warnen, nicht selber das Gespräch auf seine Heilung zu bringen, sondern zu warten, bis davon gesprochen und danach gefragt wird.
Die zweite Serie der Geschichtlichen und Biographischen Abhandlungen von Clifford P. Smith zitiert viele Heilungswerke unserer Führerin. Auf Seite 54 lesen wir einen Brief von einer Frau, die sich „einen der Aussätzigen” nennt, „der endlich gekommen ist, für seine Heilung zu danken”. Sie schreibt: „Sie haben mich vor vielen Jahren mit nur einem Wort von einer abscheuerregenden Krankheit geheilt. Das Leiden ist nie wiedergekehrt. Worte sind unzulänglich, meine Dankbarkeit für diese Heilung auszudrücken”.
Nachdem Jesus den vermeintlich todkranken Knecht des Hauptmanns geheilt hatte — ein weiterer Fall seiner Arbeit für jemand in Abwesenheit — finden wir am Tag darauf die erste der drei Auferweckungen offensichtlich Toter (s. Luk. 7, 11–17; 8, 41–56; Joh. 11, 1–46). Nichts in den Evangelien läßt erkennen, daß Jesus dahin oder dorthin ging, um Fälle zur Heilung zu finden. Im Gegenteil, er zog sich oft von den nach Heilung verlangenden Volksmengen an einen einsamen Ort zurück, wo er in Gemeinschaft mit Gott sein oder seine Jünger belehren konnte, so daß sie das Heilungswerk weiterführen konnten. Anstatt dahin oder dorthin zu gehen, um Probleme zu finden, scheint es, daß Jesus im Laufe der Ausarbeitung seiner Auferstehung und Himmelfahrt die berichtigende Wahrheit über jedes Problem, das sich ihm darbot, unvermeidlich kannte. Eines Tages, als er sich dem Tor der Stadt Nain näherte, begegnete ihm ein Leichenzug. Eine Mutter weinte über den Verlust ihres einzigen Sohnes. Da der Erlöser die geistige und ewige Art Gottes und des zu Seinem Gleichnis gemachten wirklichen Menschen kannte, wie niemand sie je so vollständig gekannt hat, konnte er zu der Mutter sagen, nicht zu weinen, obgleich ihr Sohn noch abgeschieden zu sein schien. Mit Ermächtigung hieß er ihn aufstehen. Niemand hatte vor Zuschauern, die seine göttliche Mission, das Sinnenzeugnis mit der gegenteiligen geistigen Tatsache umzukehren, bezweifelten, gesprochen wie er. Der Sohn wurde seiner Mutter wiedergegeben, und die Zeugen erkannten, daß ein Prophet Gottes unter ihnen erschienen war.
Ein aus dieser Statistik zu ziehender Schluß ist, daß Jesus, während er stets in Übereinstimmung mit dem unveränderlichen Gesetz des Gemüts, des Prinzips, handelte, keine festgesetzte Regel menschlichen Vorgehens beachtete. Manchmal ging er zu dem Patienten (Matth. 9, 23. 24); manchmal, wie im Falle des Sohnes des Königischen, zeigte er, daß dies nicht nötig war. Den Sohn der Witwe rief er in Gegenwart einer Menschenmenge ins Leben zurück. Bei der Auferweckung des Töchterleins des Jairus trieb er alle außer den Eltern und drei seiner Jünger aus dem Zimmer hinaus.
Durch neue Entfaltungen vom täglichen Forschen in seinen Lehrbüchern sucht und findet der christlich-wissenschaftliche Heiler inspirierte Führung im Behandeln jedes von Patienten dargebotenen besonderen Problems. Manchmal findet er beim Aufschlagen der Bibel oder des Lehrbuchs Wissenschaft und Gesundheit die Antwort auf eine schwierige Frage so schnell, daß er überrascht sein würde, wenn er es nicht für göttlich natürlich hielte, daß das allgegenwärtige Gemüt die Seinen immer lehrt, leitet und schützt.
Der Erlöser der Welt sagte (Joh. 15, 13): „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde”. Jeder, der zu uns kommt, um geheilt zu werden, bietet uns neue Gelegenheit, mehr von dem Glauben abzulegen, daß die Materie Leben oder Wirklichkeit habe. Jeder geheilte Patient bezeichnet eine Stufe im Fortschritt des Heilers auf dem emporsteigenden Pfad, der durch das Studium dieser Statistik des Wirkens unseres Meisters verfolgt werden kann — einer Statistik, die für das heutige Beweisen des christlichen Heilens so überaus wichtig ist.
