Der Durchschnittsmensch wird ohne Zweifel die Andeutung, daß er abergläubisch sei, verächtlich von sich weisen; ja, er wird dem Sinnspruch Ben Jonsons: „Lieber dumm als abergläubisch” lebhaft zustimmen. Aber wie listig der eine oder der andere Aberglaube dennoch in das Denken unachtsamer Sterblicher gelangen und es beeinflussen kann! Höre deinen Mitmenschen zu, wenn sie sich an ihre tägliche Arbeit begeben, und wie oft hörst du Erklärungen wie: „Ich wünsche dir Glück!”, „Du hast wahrlich viel Pech gehabt!” oder manchmal von Soldaten, Matrosen oder Fliegern: „Die Kugel galt nicht mir — diesmal!” Und wieviel man aus diesem „diesmal” herauslesen kann! Wenn der Leser dieser Zeilen das Wort „Aberglaube” nie in einem ungekürzten Wörterbuch nachgeschlagen hat, hat er sich eine außergewöhnliche Aufklärung entgehen lassen. Zuerst beachte, daß das Wort ursprünglich die Bedeutung von wahrsagen hatte; dann höre Websters einleitende Erklärung: „Eine vernunftwidrige, verwerfliche Gemütshaltung gegen das Übernatürliche, die Natur oder Gott, die aus Unwissenheit, vernunftloser Furcht ...‚ dem Glauben an Zauberei oder Zufall u. dgl. hervorgeht”.
Nun heben die in der Christlichen Wissenschaft gelehrten Wahrheiten den Wahrheitsucher sofort von der Ebene der Wahrscheinlichkeit, des Zufalls, des Schicksals und weiterer solcher unschöner Dinge zum Reich wissenschaftlicher, beweisbarer Wirklichkeit empor. Gibt es im Zusammenhang mit dem Einmaleins etwas Geheimnisvolles? Nur für den, der seine unveränderliche Regel nicht bewiesen hat. Klagt ein Schüler, dem nicht die rechte Lösung einer Rechenaufgabe gelingt, daß das Glück gegen ihn sei, und daß das Schicksal unerbittlich beschlossen habe, daß er es in der Mathematik zu nichts bringen wird? Ein solches oberflächliches Folgern würde natürlich undenkbar sein. Wie beim Gesetz der Mathematik so findet auch beim tatsächlichen Gesetz des Seins des Menschen Zufall oder Schicksal keine bleibende Stätte. Der weise Ralph Waldo Emerson sagte: „Oberflächliche Menschen glauben an Glück. ... Starke Menschen glauben an Ursache und Wirkung”. Und Mary Baker Eddy setzt den Standpunkt des Christlichen Wissenschafters mit folgenden ermutigenden, stärkenden Worten fest (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 313): „Jesus von Nazareth war der wissenschaftlichste Mensch, der je auf Erden gewandelt ist. Er tauchte unter die materielle Oberfläche der Dinge und fand die geistige Ursache”. Und etwas weiter unten fügt sie hinzu (S. 314): „Unser Meister erlangte die Lösung des Seins, indem er das Vorhandensein nur eines Gemüts ohne ein zweites oder gleiches bewies”.
Von der Voraussetzung ausgehend, daß Gott das Gemüt, die unendliche Intelligenz ist, die das unveränderliche göttliche Prinzip, die Liebe, ist, verliert der Wissenschafter vor allem einen unwissenden, abergläubischen Sinn der Gottheit. Er nähert sich im Gebet nicht mehr einem unbekannten Gott, dem es passen oder nicht passen mag, seine Kinder zu beglücken und zu segnen. Wer von denen, die als Kind unter der Leitung der scholastischen Theologie erzogen worden sind, erinnert sich nicht, wie ihm das Herz sank, wenn ein Gebet für die Kranken mit den Worten schloß: „Wenn es nicht Dein Wille ist, daß Dein Diener gesund werden soll, nimm ihn in Dein himmlisches Heim”. Natürlich war dies von einem Standpunkt aus ein geschicktes Gebet; denn man konnte in jedem Falle sagen, daß das Gebet erhört wurde; aber es ist überaus zweifelhaft, ob ein solches Gebet im Herzen des Leidenden viel Glauben, Hoffnung oder Mut weckte.
Aber, sagt jemand, die Leute sind nicht gesund geworden, wenn sie und andere um sie her gewissenhaft um Heilung gebetet haben. Tragen solche Erfahrungen nicht dazu bei, unsern Glauben zu erschüttern? Was würde man einem Schüler antworten, wenn er seinen Lehrer hoffnungslos ansähe und behauptete, daß das Rechnen für ihn einfach nicht wirke? Würde ihm nicht gesagt werden, daß das Gesetz des Rechnens unveränderlich feststeht, und daß die Schüler lernen müssen, mit diesem Gesetz zu arbeiten und es anzuwenden, und nicht erwarten dürfen, daß das Gesetz in ihr Denken kommen und in irgend einer geheimnisvollen Weise ihre Aufgaben für sie lösen werde?
Im 17. Kapitel des Evangeliums des Matthäus ist berichtet, daß es den Jüngern einmal nicht gelang, ein krankes Kind zu heilen. Der Vater des Knaben brachte diesen schließlich zu Jesus, der ihn augenblicklich heilte. Die Jünger fragten den Meister, warum sie ihn nicht hatten heilen können. Einfach und unumwunden sagte er zu ihnen, daß es an ihrem Unglauben, ihrem Mangel an Glauben, lag. Mit andern Worten, sie hatten die große Wahrheit, die Jesus über die unveränderliche Güte Gottes gelehrt hatte, nicht genügend erfaßt —Gottes, den der Apostel Jakobus kennzeichnet als „den Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis”. Sie hatten nicht des Meisters wichtige Lehre verstanden, daß Gottes Mensch nicht das von der Unbeständigkeit des fleischlichen Gemüts hin und her geworfene Spielzeug des Verhängnisses und des Zufalls ist.
Der von Jesus enthüllte Sohn Gottes ist geistig; er existiert am Standpunkt vollkommener Wiederspiegelung oder Bekundung. Im 5. Kapitel des Evangeliums des Johannes lesen wir: „Der Sohn kann nichts von sich selber tun, sondern was er sieht den Vater tun; denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn”. Hier ist also der Fels, auf dem die furchtsamen, abergläubischen Menschenkinder sich festsetzen und unbewegt und unverzagt bleiben können, wenn sie von den Winden und Wellen des Sinnes umhergestoßen werden.
Zahlreich sind die von den Schlachtfeldern Europas und Asiens kommenden Berichte, die erfreuliche Mitteilungen der Befreiung von Unheil, wunderbarer Führung und schneller Heilungen von seelischer und leiblicher Disharmonie aller Art bringen, wenn Christliche Wissenschafter sich rückhaltlos an die göttlichen Tatsachen halten und Materie-, Glücks- oder Zufallsfabeln aufgeben. Viele kennen das aufrüttelnde Lied „Unbesiegt” und die triumphierenden Schlußzeilen:
Es macht nichts aus, wie eng das Tor,
Was auf der Strafenliste steht;
Ich bin der Meister meines Loses,
Ich bin der Hauptmann meiner Seele.
Für den Christlichen Wissenschafter ist das „Ich” in diesem Vers nicht der vergängliche Sterbliche, den die Welt für den Menschen hält, sondern das „Ich”, das zu dem Vater geht, wie Jesus sagte, und bei dem Vater weilt, mit andern Worten, der Mensch als Gottes Bild, der Ausdruck des einen Ich oder Gottes. Das unendliche Gemüt ist in der Tat der Herr, der Gebieter Seiner unermeßlichen Ideenschöpfung. In diesem köstlichen Bewußtsein weilend, wird man wahrhaft der Hauptmann seiner Seele, seines Sinnes; und in diesem sicheren Hafen fürchtet man das falsche Denken anderer nicht. Wie sicher, wie tapfer unsere mutige Führerin in einem kurzen Abschnitt in „Miscellaneous Writings” die Furcht vor sogenannter mentaler Malpraxis vernichtet! Sie schreibt (S. 83): „Wenn der Irrtum, der an die Tür deines Denkens klopft, von einem andern Gemüt kommt, steht es dir sittlich frei, diesen Irrtum zurückzuweisen oder anzunehmen; folglich bist du der Meister deines eigenen Loses, und Sünde ist der Urheber der Sünde”.
Wenn dann aggressive Einflüsterungen des fleischlichen Gemüts in unsere Gedankenwohnungen zu gelangen suchen, laßt uns ihrem verräterischen Flüstern schlagfertig mit einem kräftigen „Nein, ihr bleibt draußen!” entgegentreten. Wir müssen uns weigern, ihnen Leben, Gesetz oder Gegenwart zu geben. Unseres großen Meisters Segnung für seine Nachfolger lautet: „Sehet, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch beschädigen”.
