Der geliebte Jünger Johannes schrieb: „Darin steht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat”, und: „Lasset uns ihn lieben; denn er hat uns zuerst geliebt”.
Können wir in dieser kritischen Stunde eine beruhigendere Versicherung haben als zu wissen, daß Gott uns liebt? Und doch getrauen wir uns oft nicht, Gott beim Wort zu nehmen. Sind uns die Scheingewalten Haß, Wollust, Furcht so wirklich geworden, daß wir von ihnen mesmerisiert werden, und erkennen wir nicht, wie wesentlich für unser ganzes Dasein die Tatsache der Liebe Gottes ist? Mary Baker Eddy sagt uns im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 569): „Wer den Saum des Gewandes Christi berührt und seine sterblichen Annahmen, das tierische Wesen und den Haß, meistert, erfreut sich des Beweises des Heilens, eines lieblichen und gewissen Sinnes, daß Gott die Liebe ist”.
Wie ein in einen prächtigen Wandteppich eingewobener Goldfaden zieht sich die Lehre von Gottes Liebe zu denen, die Ihm treu dienten, durch das Alte Testament hindurch. Daniel hörte in seinem Gesicht von der geistigen Idee die Worte: „Daniel, du vielgeliebter Mann”, und Jeremia erklärte: „Der Herr ist mir erschienen von fern her: Ich habe dich je und je geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte”.
Niemand kann bezweifeln, daß nach Jesu Taufe, als „sich der Himmel über ihm auftat”, die liebevolle Erklärung: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe”, Jesus befähigte, seine Mission, die Kranken und die Sündigen zu heilen, auszuführen, und ihn siegreich durch die harte Erfahrung des Kreuzes und des Grabes hindurchführte.
Ist es nicht klar, daß das Geheimnis seiner Macht und seines Sieges in dem bewußten Gewahrwerden lag, daß der Vater ihn liebte? Dies zeigte sich in seinem letzten Gebet für seine Jünger: „Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich. ... Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und will ihn kundtun, auf daß die Liebe, damit du mich liebst, sei in ihnen und ich in ihnen”.
Sein Gebet war für alle Zeit, für jedermann, für alle Völker und Rassen. Ist es nicht unerläßlich geworden, daß wir dieses wunderbare Geschenk stärker und vertrauensvoller beanspruchen? Es ist unser Geburtsrecht. Wir sind die Geliebten Gottes. Wenn wir über das Wesen Gottes, der die Liebe ist, nachdenken, verlieren die Ansprüche der Sterblichkeit, eines Selbst abseits der Liebe, ihre Macht zu täuschen; denn wir wissen, daß die Liebe ihre Ideen, ihre Widerspiegelung, unfehlbar liebt, und daß sie schon ihrer Art wegen ihr Gegenteil nie lieben oder auch nur kennen kann.
Weil Mrs. Eddy mit demselben Bewußtsein der Liebe Gottes zu ihr ausgerüstet war, konnte sie die gewaltige Arbeit, die Botschaft der Christlichen Wissenschaft der Welt zu geben, ausführen. Seit der Zeit Christi Jesu ist niemand so nahe mit der Liebe gewandelt, hat niemand das Denken so erhoben wie sie, so daß sie diese Wissenschaft entdecken und deren rechtmäßigen Platz und Zweck als ein Gesetz, das nicht aufgehoben werden kann, erkennen konnte. Für Mrs. Eddy war die göttliche Liebe eine gegenwärtige Tatsache und regierte ihr ganzes Denken und Handeln. Als im Jahre 1885 in einer ihrer kritischten und arbeitsreichsten Zeiten die Kanzel und die Presse sie und ihre Lehren mit dem festen Vorsatz, ihrer Arbeit ein Ende zu machen, angriffen, erwiderte sie auf diese Angriffe mit dem wunderbaren Aufsatz „Liebe”, worin sie schrieb (Miscellaneous Writings, S. 249): „Was für ein Wort! Ich stehe in Ehrfurcht davor. Wie unendlich weit es reicht und wie unumschränkt es herrscht!” Außerdem stillte dieses Ausgießen der universalen Liebe das Verlangen ihrer Schüler nach Wiedervergeltung und stemmte die Flut der Feindseligkeiten. So beweist die Liebe ihre eigene Kraft und Macht, die Majestät und die Seligkeit des Liebens.
Die Enthüllung der Liebe, daß sie das unendliche All, das eine Gemüt ist, belebt die geistige Wahrnehmung, erhebt das Sein in das Sonnenlicht der Lobpreisung und des Vollbringens, zerstört Furcht vor Mangel oder das tückische Grauen vor künftigen harten Erfahrungen. Denn das Bewußtsein, von der Liebe geliebt zu werden, bringt Frieden und die Versicherung, daß alle Macht und Herrlichkeit und aller Sieg auf immer Gott allein gehören.
Die Verfasserin hatte sehr früh bei ihrem Ergründen der Christlichen Wissenschaft eine Erfahrung, die die Spontaneität der Liebe als des Lebens bewies. Ein Freund hatte seine vermeintliche Abneigung gegen die Christliche Wissenschaft in einer boshaften Rede zum Ausdruck gebracht, was das Denken der Wissenschafterin erbitterte, und was sie nicht vergeben hatte. Einige Zeit später wurde sie in der Nacht gebeten, einem Nachbarn zu helfen, der schlaflose Nächte in unerträglichen Schmerzen zugebracht und durch ärztliche Behandlung keine Linderung erlangt hatte. Nach menschlichem Ermessen war die Not groß, und die Fähigkeit der Wissenschafterin schien gering. Sie sah klar, daß nur die göttliche, unendliche Liebe diesem Problem gewachsen war. Sofort überkam sie ein überwältigendes Gefühl der Gegenwart Gottes und Seiner Liebe zum Menschen. Dies schloß nicht nur den Leidenden, sondern auch den, der Bosheit gegen sie ausgedrückt hatte, in sich, und sie erkannte, daß im Falle der Heilung der Krankheit des einen auch der Haß des andern geheilt werden konnte; denn dieselbe göttliche Liebe liebte beide. Das Ergebnis war sofortige Linderung für den Leidenden, der in ruhigen Schlaf fiel und frei von Schmerzen aufwachte.
Wenn man versucht ist zu glauben, daß Bosheit in einem Grade wirken könne, der zu hoch ist, um gehandhabt zu werden; wenn wir manchmal mesmerisiert werden, sei es von Furcht vor ihrer drohenden Gefahr oder davor, was sie uns als Einzelpersonen oder als ein Volk anhaben könne, können wir aufblicken und wieder die Versicherung hören, daß wir geliebte Söhne der Liebe sind; denn diese ermutigende Bestätigung wird beständig im Reich des Gemüts und seiner Ideen verkündigt.
Daniel sah und hörte, weil er auf die Botschaft der Liebe horchte. Jesus horchte und hörte, weil er eins mit dem Vater war und immer tat, was dem Vater gefiel.
Diese Einheit ist nie verloren worden, und das Lied der Liebe hat nie aufgehört. Sie füllen Zeit und Ewigkeit und bilden das geistige Bewußtsein des Menschen.
