Die Bibel berichtet, daß Moses, der verschiedentlich in der Heiligen Schrift „der Mann Gottes“ genannt wird, 120 Jahre alt war, als er den menschlichen Blicken entschwand; und wir lesen: „Seine Augen waren nicht dunkel geworden und seine Kraft war nicht verfallen“ (5. Mose 34:7). Wir hören nichts davon, daß er irgendwelche sogenannte Geburtstagsgeschenke erhielt an dem Tage, als er seinen 120. Meilenstein erreichte, doch machte er selbst der ganzen menschlichen Familie ein großes Geschenk. Als er die Kinder Israel aufrief, mit dem Allmächtigen gegen ihre Feinde auszuziehen, ermahnte er sie mit den folgenden ermutigenden Worten: „Seid getrost und unverzagt, fürchtet euch nicht und laßt euch nicht vor ihnen grauen; denn der Herr, dein Gott, wird selber mit dir wandeln und wird die Hand nicht abtun noch dich verlassen“ (5. Mose 31:6).
Hier finden wir das einzig wirkliche Heilmittel für Entmutigung, das je der Menschheit dargeboten worden ist. Entmutigung bedeutet ganz offenbar Mangel an Mut, ebenso wie Disharmonie Mangel an Zusammenklang oder Harmonie bedeutet, und Dunkelheit die Abwesenheit des Lichts. Gibt es eine Heilung für Dunkelheit, es sei denn durch das Kommen des Lichts? Was kann dann den Mangel an Mut verscheuchen außer dem Mut? Websters Wörterbuch erwähnt verschiedene sinnverwandte Ausdrücke, die andeuten, daß das Wort „Mut“ in guter Gesellschaft ist. In dieser Liste finden wir Beherztheit, Furchtlosigkeit, Unerschrockenheit, Kühnheit, Wagemut, Tapferkeit und Standhaftigkeit, um nur einige dieser sinnverwandten Ausdrücke zu erwähnen.
Hier mag jemand einwenden: Wie kann einer Wagemut, Kühnheit und Standhaftigkeit zeigen, wenn nichts als die Dunkelheit der Furcht und Entmutigung ihn umgibt? Die Wissenschaft des Christentums antwortet: Indem er die Wahrheit über Gott und Seine Schöpfung verstehen lernt; indem er verstehen lernt, was wirklich und was unwirklich ist. Am Ende des 19. Jahrhunderts ging diese herrliche Wahrheit in dem Bewußtsein von Mary Baker Eddy auf und bewirkte bei ihr eine unverkennbare christliche Heilung. Als sie die Tatsache von der Allmacht Gottes, des Guten, zu erkennen begann, leitete sie davon die Machtlosigkeit oder Unwirklichkeit alles dessen ab, das dem Guten entgegengesetzt ist. Sie erkannte, daß der Mensch, der zu Gottes Ebenbild erschaffen ist, die unwandelbare Güte seines Schöpfers widerspiegeln muß; sie erkannte, daß das Kind Gottes, des unendlichen Guten, niemals dem Bösen — dem, das die Abwesenheit des Guten bedeutet — ausgeliefert ist. Mit Recht hat jemand gesagt, daß diese Christin, obwohl sie den unnachgiebigen Dogmen von Jahrhunderten entgegenstand, den Schwamm ihrer mächtigen Logik nahm und die theologische Wandtafel reinwusch!
Für ihr erleuchtetes Denken war Gott die Allmacht und auch das göttliche Prinzip, die Liebe. Die leiseste Andeutung, daß das Böse irgendwie Macht oder Gesetz haben könnte, wurde von ihr als gänzlich unhaltbar, ja undenkbar zurückgewiesen. Ihre Theorie wird mit äußerster Einfachheit in ihrem Werk „Miscellaneous Writings“ (S. 252) dargelegt: „Die Christliche Wissenschaft klassifiziert die Gedanken in der folgenden Weise: Richtige Gedanken haben Wirklichkeit und Macht; falsche Gedanken haben keine Wirklichkeit und keine Macht, sie haben das Wesen von Träumen. Gute Gedanken sind mächtig; böse Gedanken sind machtlos, und sie sollten als das erkannt werden. Indem wir diese Einteilung weiter verfolgen, finden wir, daß kranke Gedanken Unwirklichkeit und Schwäche bedeuten, während gesunde Gedanken gleichbedeutend mit Wirklichkeit und Kraft sind.“ Dann fügt sie sehr treffend hinzu: „Mein Beweis dieser neuen Behauptungen beruht auf der Demonstration, wodurch jedermann ihre Wahrheit auf die Probe stellen kann.“
Der Neuling in der Christlichen Wissenschaft findet, daß durch sie neues Licht auf zwei Ausdrücke seines Wortschatzes geworfen wird, Ausdrücke, die er wahrscheinlich nur selten in der geläufigen Unterhaltung gebraucht hat; nämlich die Worte „wirklich“ und „unwirklich“. Wohl zum erstem Mal in seiner Erfahrung bemerkt er, wie er selber einen Gedanken oder auch eine Lage, die ihm entgegentritt, forschend prüft, um festzustellen, ob er sie als wirklich oder als unwirklich einschätzen soll. Sitzt scheinbar die Ungerechtigkeit auf dem Thron? Unwillkürlich wird der Wissenschafter die Machtlosigkeit und Unwirklichkeit des falschen Augenscheins erklären, daß Gott, das unwandelbare Prinzip, abwesend sein kann, da die göttliche Gerechtigkeit immer gegenwärtig und immer wirksam ist.
Fühlt jemand sich beim Aufwachen von Gedanken der Sorge und Unruhe bedrückt? Der wachsame Wissenschafter wird erkennen, daß er dann so schnell wie möglich seine Bücher — die Bibel und das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch — zur Hand nehmen sollte, um geistige Waffen so sammeln, mit denen er dem Widersacher entgegentreten und ihn bezwingen kann. Wenn ihm nur das zur Wirklichkeit wird, was den Stempel der Harmonie trägt, so kann er freudig die störenden Suggestionen auf ihre ursprüngliche Unwirklichkeit, auf ihr Nichts, zurückführen.
Wenn er sich etwa mit einer Annahme von Schmerzen auseinandersetzen muß, so kann er, mit den Worten des Kirchenliedes, Dank sagen
„ ... für Zeichen, die Beweis,
Daß wirklich nicht der Zeiten Klag‘“,
und den Frieden empfinden, der im Herzen Einzug hält, wenn in gewissem Ausmaß die Harmonie als die einzige Wirklichkeit bewiesen wird. Und wenn das sterbliche Gemüt flüstert, daß sich Entmutigung eingestellt hat und jemand in der Versuchung steht, zu sagen: „Oh, was hilft es, weiter zu streben!“ dann ist es an der Zeit, dieses Erkennen des Wirklichen und Unwirklichen in Anwendung zu bringen. Mut, Kraft, Furchtlosigkeit sind die Engel Seiner Gegenwart (der Gegenwart Gottes), die immerfort von der Macht und Wirksamkeit der göttlichen Liebe zeugen.
Die Suggestion, daß diese himmlischen Eigenschaften jemals abwesend sein können, ist nur ein unwirklicher Pfeil, den der eine Böse gegen uns richtet; doch wenn der Pfeil unwirklich ist, dann ist doch auch dies Schleudern eines Pfeiles nicht etwas, das im Reiche Gottes geschieht oder stattfindet. Daher kann der Wissenschafter die gotteslästerlichen Behauptungen des sterblichen Gemüts herausfordern und mit der ruhigen Zuversicht des Apostels sagen: „Ich achte der keines.“ Mit Hilfe der Wissenschaft lernt er verstehen, daß diese Einflüsterungen über Entmutigung nur die Reden sind, die das sterbliche Gemüt über sich selber führt, und daß die ganze Unterhaltung dem Reich der Fabel angehört.
Er mag neuen Mut schöpfen aus den Heilungserfahrungen anderer Pilger auf dem himmlischen Pfade. Er hat das Vorrecht, allwöchentlich an der Freude unserer Brüder teilzunehmen, deren Heilungszeugnisse im Christian Science Sentinel erscheinen, und ähnliche Berichte in dem monatlichen Journal sowie in den verschiedenen Ausgaben des Herolds zu lesen, auch kann er in den mittwöchentlichen Versammlungen weitere Dankesworte hören für die Befreiung von Irrtümern aller Art durch das in der Wissenschaft erlangte Verständnis, daß das Gute wirklich und das Böse unwirklich ist. Kann es Entmutigung für den geben, der die ermutigende Botschaft dieses Liedes zu Herzen genommen hat (Gesangbuch, Nr. 278):
Pilger auf Erden, Heim und Himmel sind in dir,
Erbe der Zeiten und Kind du des Tags.
Gehegt, behütet, geliebt und beschützet,
Wandle den Weg nur mit Gott, und dann wag's.
