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Demut ist siegreich

Aus der Oktober 1949-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Nur die Männer und Frauen werden groß, die durch vollständige Unterordnung des Selbst sich selber finden“, schreibt die hervorragende religiöse Führerin unserer Zeit, Mary Baker Eddy (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 194). Die Menschen streben unaufhaltsam dem Ziel zu, das unbegrenzte Gute zu erreichen. Ihre aufrichtigen Bemühungen sind oft darauf gerichtet, sich in menschlichen Angelegenheiten hervorzuten, persönlichen Besitz anzuhäufen oder materielle Kenntnisse zu erwerben. Wir haben indessen keinen Bericht, daß solche Verfahren die Menschen je dazu geführt haben, ihre von Gott verliehene Herrschaft jetzt zu beweisen.

Wir haben jedoch vor vielen Jahrhunderten verfaßte Berichte darüber, daß jemand das Ziel erreichte, und auf welche Art er es vollbrachte. Der Ort in diesen Berichten ist das Morgenland. Die Person gehörte einer Familie in Palästina an. Er ist Zimmermann gewesen, hat sein Handwerk aber aufgegeben, um auf einzigartige Weise das göttliche Heilen auszuüben. Er ist jung — etwa 30 Jahre alt — steht also menschlich im besten Mannesalter. Sein Name: Jesus von Nazareth.

Dieser Nazarener machte geltend, daß Gott sein Vater ist, und daß der Mensch ebenso beschaffen ist wie sein Vater: geistig und vollkommen. Überdies hat er seine Behauptungen durch unvergleichliche Heilungen bewiesen; er vollbrachte durch sein geistiges Verständnis, was kein anderes sogenanntes Heilverfahren je vollbrachte oder in künftigen Zeiten je vollbringen wird. Sein Wirken hat sich auf eine Menge Menschen erstreckt, und die Gebiete rings umher befinden sich in einem Aufruhr über seine beispiellose Macht. Er scheint überall, wo er ist, Wunder zu wirken. Ja, diese Macht, die, wie Jesus betont, nicht seine eigene, sondern Gottes Macht ist, bedroht nicht nur die Grundlage des jüdischen Gottesdienstes, sondern auch den Thron des Kaisers.

Jesus hat erklärt, daß das Himmelreich nahe herbeigekommen und hier erreichbar ist. Viele, die die Wahrheit seiner Erklärungen gefühlt haben, da sie durch die Berührung der göttlichen Macht von Krankheit und Übeln befreit wurden, sind ihm nachgefolgt. Sein Ruhm verbreitet sich über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus, und die Zeit ist gekommen, wo es scheint, daß er demnächst zu einem König ausgerufen wird, der größer ist als der römische Kaiser, und zu einem Priester mit mehr Macht, als irgendein Mitglied des hohen Rats zu Jerusalem je hatte.

Aus den Berichten, auf die wir Bezug nehmen, den vier Evangelien in der Bibel, ist ersichtlich, daß alles, was Jesus getan hat, ein Teil einer großen Absicht ist. Es ist auch ersichtlich, daß er keine Verherrlichung des menschlichen Selbst seitens der Welt, sondern die Erhöhung des geistigen Menschen, des Sohnes Gottes, im Bewußtsein beabsichtigt. Um dies zu erreichen, muß sich der menschliche Sinn des Seins demütigen; das Menschliche muß dem Göttlichen weichen; es muß die Allerhabenheit und Allheit Gottes erkennen und sie beweisen, indem es die Annahme von Gemüt in der Materie, den Pantheismus, durch das Widerspiegeln geistigen Bewußtseins unterordnet. So finden wir später im Leben des Meisters den unverkennbaren Beweis, daß die Demut des menschlichen Jesus unmittelbar den Weg zu seiner Auferstehung und Himmelfahrt bereitet.

Der Meister geht nicht von einer menschlich hervorragenden Stellung zu seiner vollen geistigen Erfahrung über. Von den Menschen verachtet und verschmäht, aber von Gott anerkannt, kommt er zur Himmelfahrt. Ihn führt keine hohe Stellung im Rat zu Jerusalem an die offene Tür zur höchsten Leistung. Sein Schrittstein zum Beweis des ewigen Lebens ist das Kreuz. Nicht als ein menschlicher Gebieter über Menschen, sondern als der Diener aller gelangt er zur vollen Herrlichkeit göttlicher Ehre. Mrs. Eddy erklärt in ihren Schriften einen solchen Aufstieg, wenn sie schreibt: „Sich von allem loslösen, was den sogenannten materiellen Menschen ausmacht, und seine geistige Wesenseinheit — die geistige Wesenseinheit des Kindes Gottes — anerkennen und erlangen, ist die Wissenschaft, die geradezu die Schleusen des Himmels öffnet, woraus in jeden Kanal des Seins Gutes fließt, das die Sterblichen von aller Unreinheit reinigt, das alles Leiden zerstört und das wahre Bild und Gleichnis dartut“ (Miscellaneous Writings, S. 185).

Jesus betont von Anfang an, daß der Mensch geistig ist, daß er eins mit dem Vater ist. Allmählich, aber in immer größerem Maße beweist er, daß dieser Mensch als sein und jedermanns wahres Selbst gegenwärtig ist. Bei seiner Bestimmung handelt es sich nicht um das Ansehen des Menschen, sondern um die Wichtigkeit des Göttlichen. Daher ist es, wenn sein Wirken dem Ende zugeht, unvermeidlich, daß das Menschliche weniger hervortritt, weil mehr vom wahren oder geistigen Menschen in Erscheinung tritt.

Es gehört nicht zu der Bestimmung Jesu, daß das menschliche Selbst erhöht werde; daß es sich die Machtbefugnis eines andern aneigne oder sich Machtbefugnis über einen andern anmaße; daß es verteidigt, bereichert, verehrt oder auf unbestimmte Zeit erhalten werde. Seine Bestimmung ist, das Menschliche so unterzuordnen, daß der Christus in ihm zum Vorschein kommt, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht und über alles Materielle siegt. Andernfalls würde sein Lebenswerk der Vernichtung anheimfallen. Jesu Demut gibt Begrenzungen auf und erreicht die Wirklichkeit. Seine Demut ist ein im Leben verwirklichtes Anerkennen der von der materiellen Persönlichkeit unberührten ewigen Göttlichkeit des Menschen.

Jesu Handlungen und Worte zwischen dem letzten Abendmahl und seinem schließlichen Sieg bedeuten ein endgültiges Aufgeben des menschlichen, sterblichen Sinnes. Er äußert, als er verraten wird, keine menschliche Selbstverteidigung oder Selbstrechtfertigung; er verdammt Judas nicht. In dem Augenblick, wo er gefangen genommen wird, veranlaßt ihn weder Stolz noch Furcht, seine Jünger an sich zu fesseln, sondern er gibt sie in seiner selbstlosen Liebe frei, so daß sie einer Anfechtung, auf die sie nicht vorbereitet sind, entrinnen können.

Jesus sagt zu seinen Jüngern, die nicht eine Stunde mit ihm wachen können, obgleich er ihnen erklärt, wie wichtig es ist (Matth. 26, 45): „Ach wollt ihr nun schlafen und ruhen?“ Er kennt keine Bitterkeit, kein Selbstbedauern, weil sie die Qual dieser Stunde nicht verstehen können. Er tadelt ihren Stumpfsinn nicht, bemitleidet sich nicht selber. Der Meister sagt Petrus, daß er ihm in dieser Prüfungszeit untreu werden wird; aber kein Stolz oder menschlicher Wille in Jesus veranlaßt ihn, Petrus davon abzuhalten, daß er ihn öffentlich verleugnet und verläßt. Kein Gefühl der Ungerechtigkeit veranlaßt den Meister, seinen Verfolgern zu widerstehen, sie zu schelten oder ihnen zu drohen. Er empört sich nicht über die gegen ihn vorgebrachten Beschimpfungen. Er läßt Hohn und Grausamkeit über sich ergehen, ohne den Mund aufzutun. Das Menschliche schweigt, während die über der Knechtschaft des Hasses stehende geistige Idee mehr in Erscheinung tritt.

Die Berichte zeigen, daß Jesus, als er vor die Hohenpriester geführt und der Gotteslästerung angeklagt wird, keine Einwendungen gegen die Anklage erhebt, keine Zeugen beibringt, oder der Lage irgendwie vom menschlichen Standpunkt entgegentritt. Er erklärt, daß er der Sohn Gottes ist, und setzt sein ganzes Vertrauen betreffs Befreiung auf diese Erklärung des Christus. Er begegnet roher Gewalt und Grausamkeit mit göttlichem Heilen. Das einem seiner Gegner abgehauene Ohr wiederherzustellen ist ihm wichtiger als seine eigene Gefangennahme. Spott stachelt ihn nicht zu Wiedervergeltung an. Tödlicher Anklage gegenüber bewahrt er Schweigen, und erwidert auf Lästerung: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Luk. 23, 34). Er antwortet Herodes nicht ein Wort und läßt die Frage des Pilatus unbeantwortet; aber er schenkt der Bitte des Übeltäters am Kreuz Gehör.

Vor Pilatus erkennt Jesus an, daß er Gottes Sohn und sein Reich ein göttliches Reich ist; er erwartet nichts vom Menschlichen — nicht einmal Befreiung von Ungerechtigkeit. Aber er spricht dem Übel jede Macht, ihn zu kreuzigen, ab. Zur Zeit seines höchsten Beweises erwidert er nichts auf die höhnischen Worte, vom Kreuz herabzusteigen, weil er weiß, daß der Weg zur Auferstehung jenseits davon liegt. Nach der Auferstehung spricht keine Siegesfreude aus seinen Worten, wenn er zu Maria sagt (Joh. 20, 17): „Rühre mich nicht an! denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.“ Er ist so bescheiden, wie er in der Krippe war. Auf dem Wege nach Emmaus drückt er in seinem Gespräch mit seinen Jüngern keinen persönlichen Stolz auf sein Auferstehen aus dem Grab aus. Später zeigt er Thomas seine Wunden, anstatt Verehrung zu fordern. Demütig ißt er mit einer Anzahl seiner Nachfolger; er bereitet das Mahl und bricht das Brot. Er weist sie nicht zurecht wegen ihres Zweifelns und verblendeten Denkens, sondern segnet sie vor seiner Himmelfahrt.

Der Höhepunkt dieses heiligen Berichts ist das schließliche Verschwinden des menschlichen Jesus, wenn in seinem Denken der Mensch als Ebenbild Gottes voll in Erscheinung tritt. Die menschliche Demut ist der göttlichen Herrlichkeit gewichen. Er hinterläßt ein unvergängliches Beispiel christlicher Vollendung zur Nachahmung für jedermann. Die Erhabenheit des Lebens des Meisters übersteigt jede menschliche Schilderung. Ahnungsvoll verbinden wir mit seiner Erfahrung die Worte aus dem Buch der Sprüche (15, 33): „Ehe man zu Ehren kommt, muß man sich demütigen“ (engl. Bibel), und die Erklärung von Mrs. Eddy, die die Wahrheit in unserem Jahrhundert aufzeichnete, und die betreffs der Ideen des Gemüts schreibt (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 514): „In Demut erklimmen sie die Höhen der Heiligkeit.“

„Die Höhen der Heiligkeit“, die der Meister erreichte, waren das unvermeidliche Ergebnis davon, daß er die göttlichen Ideen erfaßte und bewies; daß er dem Christus gehorchte. Diese Ideen behüteten ihn von Bethlehem bis zur Schädelstätte. In ihm fanden sie keinen Widerstand, so daß sie in seinem Leben zu ihrer vollen göttlichen Reife kamen. Sie regierten ihn in ihrer sich entfaltenden Erhabenheit, und führten seine menschliche Erfahrung an die Schwelle des Unendlichen, wo die wahre Wesenseinheit ewig weilt.

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