Im 15. Kapitel des Evangeliums des Lukas finden wir Christi Jesu bekanntes und beliebtes Gleichnis vom verlorenen Sohn, der sein Gut in vergeblichem Suchen nach selbstsüchtigem Glück vergeudete. Als er dann durch die „große Teuerung“, die entstanden war, genug gelitten hatte, „schlug er in sich“ und kehrte demütig zurück zu seinem Vater, der ihn liebevoll aufnahm und ihm vergab.
So muß jeder Verschwender, der seine Tatkraft dadurch vergeudete, daß er Genuß und Befriedigung in der Materie suchte, dahin kommen, daß er eine höhere Quelle der Befriedigung und des Wohlergehens anerkennt. Wenn der reuige verlorene Sohn durch geistiges Verständnis aufs neue die Segnungen erkennt, die in seines himmlischen Vaters Hause seiner harren, heißt die Liebe ihn willkommen und versichert ihn, daß er noch immer der Sohn ist, daß der Mensch ewig das Bild und Gleichnis Gottes ist.
Der Schluß des Gleichnisses ist besonders beachtenswert. Der selbstgerechte ältere Sohn, der beständig im Vaterhaus geblieben war, kam in Versuchung, seinem jüngeren Bruder den Willkomm zu mißgönnen. Der Vater wies den erstgeborenen Sohn mit einer Erklärung zurecht, die im Licht der Christlichen Wissenschaft jederzeit einen herrlichen Segen für jeden bedeutet, der sich bewußt wird, daß der Mensch das geistige Kind des göttlichen Lebens, der göttlichen Wahrheit und Liebe, des Vater-Mutter des Menschen, ist. Sie lautet: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“
Was für ein Anerkennen dies ist! „Mein Sohn“ — schon die Anrede ist ein Segen! Paulus erklärt in seinem Brief an die Römer: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Er fügt hinzu: „Derselbe Geist gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi.“ Ein Erbe ist natürlich jemand, der ein Erbe empfängt. Und das Erbe, das der Vater Seinem Kind gewährt, geht aus den Worten im Gleichnis hervor: „Du bist allezeit bei mir.“ Allezeit bei Gott sein heißt sich allezeit des Einsseins des Menschen mit der immerwährenden Harmonie und Freude der Seele bewußt sein. Allezeit bei Gott sein heißt wissen, daß wir der Ausdruck oder die Idee der allwissenden Intelligenz oder des Gemüts sind. Es heißt des Menschen Einssein mit dem zeitlosen Leben, das kein Alter kennt, erkennen und erleben.
„Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“ Man kann statt der Fürwörter „mir“ und „mein“ die sieben untrennbaren sinnverwandten Ausdrücke für Gott setzen, die Mary Baker Eddy in ihrer anspornenden Begriffsbestimmung in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 465) gibt: „Gott ist unkörperliches, göttliches, allerhabenes, unendliches Gemüt, Geist, Seele, Prinzip, Leben, Wahrheit und Liebe.“
Da der Mensch durch Widerspiegelung alles hat, was zum Prinzip gehört, ist sein Sein geordnet, erfolgreich, zweckdienlich — es ist von unwandelbarer, immer wirkender Harmonie regiert. Wenn wir diese Wahrheit verstehen, kann Ungerechtigkeit oder Gewaltherrschaft keine Macht über uns haben.
Da der Mensch alles hat, was dem Gemüt gehört, kann er nie etwas vergessen, nie einen Fehler machen oder etwas verlieren; denn er spiegelt das allwissende Gemüt wider. Er ist der immer tätige und unermüdliche Ausdruck der Intelligenz. Als der Erbe des Geistes — des allgegenwärtigen, allmächtigen, unendlichen Guten — hat der Mensch alle Substanz. Wenn wir dies wissen, kann es uns nie an Versorgung, an Freunden, Gelegenheit oder irgend etwas Gutem fehlen.
Seele ist göttliches Bewußtsein, das Schönheit, sündlose Freude, Heimat, den Himmel in sich schließt. Mrs. Eddy schreibt (Anfangsgründe der Göttlichen Wissenschaft, S. 5): „Die Seele ist das einzig wirkliche Bewußtsein, das das Sein erkennt.“ Die Sinne der Seele sind vollkommen. Die Erkenntnis der Seele ist unfehlbar. Wenn wir begreifen, daß der Mensch durch Widerspiegelung alles in sich schließt, dessen sich die Seele bewußt ist, können wir nicht heimatlos, elend oder durch Sünde oder die Beschränkungen der Sinne gefesselt sein.
Gleicherweise sind die Schätze des Menschen als des Erben des Lebens, der Wahrheit und der Liebe unberechenbar. Das Leben schließt nichts geringeres als die Ewigkeit in sich und hat weder Anfang noch Ende. Folglich ist der Mensch keinen Zeitschranken unterworfen. Wer sagt: „Ich möchte das gerne tun, aber ich habe keine Zeit dazu. Meine Tage sind zu ausgefüllt“, sollte daran denken: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir [dem Leben], und alles, was mein ist, das ist dein.“
Ein bekanntes Lied im englischen Liederbuch der Christlichen Wissenschaft (Nr. 93) beginnt:
Glücklich der Mensch, der fühlen kann,
Daß Gottes Güte nie verblaßt;
Sein Tag mit Freude gesegnet ist dann;
Vollkomm'ner Friede ihn umfaßt.
Glücklich in der Tat ist, wer durch ein Verständnis der grundlegenden Lehren der Christlichen Wissenschaft gewiß weiß, daß Gottes Güte immer zugegen ist! Er braucht, um glücklich zu sein, nicht zu warten, bis er an einen andern Platz kommt, oder mehr freie Zeit hat, oder jemand anderes anders handelt. Jeder Tag ist vollständig und mit Freude gesegnet. Er ist tatsächlich in „vollkommenem Frieden“, wenn er sich den dem Menschen von Gott gegebenen Zustand als Gottes geistige Idee, als Sein Ausdruck, vergegenwärtigt.
Die Wahrheit ist in der Bibel und in Wissenschaft und Gesundheit oft bildlich durch Licht dargestellt — Licht, das das Bewußtsein geistig erleuchtet und beweist, daß Krankheit, Sünde, Leid und Mangel nichts sind. Wer dieses Licht der Wahrheit hat, weiß, daß der zu Gottes Ebenbild erschaffene Mensch nie der Heilung bedarf, sondern gesund und harmonisch ist.
Und wie viele Segnungen man genießt, wenn man sich klar macht, daß der Mensch alles haben kann, was die Liebe hat! Zwei Christliche Wissenschafter waren auf dem Ozean in einem kleinen Boot, das umschlug, als ein Gewitter mit starkem Sturm kam, der, wie sie später erfuhren, eine Stundengeschwindigkeit von etwa 110 km erreichte. Als die kalten Wellen über das Boot schlugen, an das sich die beiden klammerten, vergegenwärtigten sie sich, daß die ganze Wärme, die die Liebe ausstrahlt, gegenwärtig war. Sie sangen Lieder aus dem christlich-wissenschaftlichen Liederbuch, unter anderen auch eines, das die Zeilen enthält (Nr. 374):
Und Liebe ist nicht die Ursache
Von Zwietracht, Schmerz und Furcht.
O göttliche Liebe, wie danken wir dir,
Daß das Gute allein ist hier.
Ihr verständnisvoller Verlaß auf den Schutz der Liebe hatte zur Folge, daß sie nur wenig Unbehagen erfuhren und keine Furcht betreffs ihrer Sicherheit hatten, und ihr Ausgesetztsein hatte keinerlei schlimme Folgen. Weder das Boot noch ihr persönlicher Besitz einschließlich einer Armbanduhr und eines tragbaren Rundfunkapparates, die eine Zeitlang unter Wasser waren, war ernstlich beschädigt.
„Alles, was mein ist, das ist dein“! Man mag wie der verlorene Sohn eine Zeit des Leidens durchgemacht haben, ehe man dahin kommt, daß man sein Kindesrecht beansprucht; oder man mag wie der ältere Sohn sich erlaubt haben, selbstgerechte, neidische Gedanken zu hegen; Tatsache ist jedoch, daß des Menschen Sein immer eins ist mit dem Prinzip, dem Gemüt, der Seele, dem Geist, dem Leben, der Wahrheit und der Liebe, und immer eins mit ihnen gewesen ist. Mrs. Eddy schreibt über des Menschen Einssein mit Gott (Wissenschaft und Gesundheit, S. 361): „Wie ein Wassertropfen eins ist mit dem Ozean, wie ein Lichtstrahl eins ist mit der Sonne, so sind Gott und der Mensch, Vater und Sohn, eins im Wesen. In der Heiligen Schrift lesen wir:, Denn in ihm leben, weben und sind wir.‘ “