Alle Christen lieben und verehren Christus Jesus. Er ist ihr Vorbild, ihr Meister und ihr Wegweiser. Seine Worte und Taten offenbaren das vollkommene Muster eines vollkommenen Lebens, was das natürliche Erbteil des vollkommenen Menschen ist. Er war „versucht ... allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde“ (Herbräer 4:15). Er ging umher, um gute Taten zu tun, die Kranken zu heilen, die Sünder zu bessern und die Toten aufzuerwecken. Er lehrte die Menschen, die Wahrheit zu verstehen. Er half ihnen und inspirierte sie. Er predigte „gewaltig“, denn was er sagte, war klar, logisch und tief.
In einfachen Worten, die von überzeugenden Beweisen begleitet waren, offenbarte er ihnen, daß das Reich Gottes wie im Himmel also auch auf Erden sein kann. Er brachte gewissermaßen den Himmel in die Reichweite eines jeden und gab ihm damit einen Schlüssel für die Lösung aller Probleme, gleichwohl ob sie sozialer, ziviler oder religöser Natur waren. Wenn die Christen seine Lehren weise und konsequent befolgt hätten, so würde die Furcht vor dem Kriege nicht mehr existieren, Hungersnot und Armut würden immer mehr der Fülle Gottes Raum geben, und die freundlichen Beziehungen zwischen den Völkern würden uns ebenso natürlich vorkommen wie die Luft, die wir atmen.
Die Erlösung der Menschheit durch den Christus ist lange aufgeschoben worden, was wohl zum Teil der Apathie und dem Aufschub der Sterblichen zuzuschreiben ist. Doch durch das Kommen der Christlichen Wissenschaft ist den Lehren Christi Jesu neue Triebkraft gegeben worden; und die Christlichen Wissenschafter, gleichwie die anderen Christen, wenden sich verehrungsvoll ihrem großen Wegweiser zu, um von ihm den Weg der Wahrheit zu lernen, und sein Heilungswerk wieder einzuführen.
Mary Baker Eddy verehrte den Wegweiser und gehorchte ihm. Sie erkannte den wunderbar tiefen Sinn seiner Worte und die Bedeutsamkeit seiner Sendung. Doch warnt sie uns davor anzunehmen, daß etwa gefühlsmäßige Liebe für den Meister das einzige ist, was von uns gefordert wird. Sie schreibt in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 25): „Unbedingter Glaube an den Lehrer und all die gefühlsselige Liebe, die wir ihm weihen können, wird uns an sich niemals zu seinen Nachahmern machen. Wir müssen hingehen und desgleichen tun, sonst machen wir uns die großen Segnungen nicht zunutze, die uns zu verleihen unser Meister arbeitete und litt.“
Die tiefe Liebe, die Jesus erweckte, war echt und weit verbreitet; doch lesen wir nirgends in den Evangelien, daß er diese Verehrung zurückwies. Er liebte andere und wurde von ihnen geliebt, aber er gründete seine Liebe nie auf eine persönliche Basis. Der Prüfstein seiner Liebe wurde in der Hilfsbereitschaft gefunden. So sagte er zum Beispiel zu Petrus mit Bezugnahme auf seine Liebesbeteuerungen: „Weide meine Schafe.“
Vergeistigung ist von Natur aus anziehend; wenn jedoch die Verehrung oder selbst die Zuneigung auf einem bloß menschlichen Begriff des Menschen beruht, so ist die Gefahr vorhanden, daß sie entartet und zu einer Art Abgötterei wird und so in dem Mischmasch des materiellen Sinnes verloren geht. Unter dem Seitentitel „Gottesdienst und Anbetung“ schreibt Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit, S. 40): „Unser himmlischer Vater, die göttliche Liebe, fordert von allen Menschen, daß sie dem Beispiel unsres Meisters und seiner Apostel folgen und nicht bloß seine Persönlichkeit anbeten sollen.“
Die Christlichen Wissenschafter gedenken ihrer Führerin Mrs. Eddy mit Liebe, Verehrung und Achtung; aber ihre Liebe konzentriert sich nicht auf ihre Person. Die Christlichen Wissenschafter lieben sie am meisten, die der Sache, der sie in Hingabe ihr Lebenswerk gewidmet hat, am besten dienen. Sie mögen sie nicht persönlich gekannt, ja sie nie gesehen haben, aber sie finden sie in ihren Schriften als Offenbarerin, Lehrerin, Ratgeberin, Ausüberin und Freundin. Diese Erkenntnis ihres wahren Standes hat in ihnen eine große Liebe zu ihr erweckt, die sie dazu antreibt, ihr auf dem Wege zu folgen, den sie geführt hat, und ihre Heilungswerke zu wiederholen.
Mrs. Eddy versagte ihren Nachfolgern nicht die Freude eines liebevollen Bewußtseins. Sie liebte sie, und sie erwiderten ihre Liebe; aber sie bat sie, ihre Liebe in ihrem Leben auszudrücken, anstatt sie auf ihre Person zu konzentrieren. In ihrem Buch „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften, S. 127) sagt sie: „Um zu lieben und geliebt zu werden, muß man anderen Gutes tun.“ Es steht einem jeden von uns zu, sich über den Begriff von Persönlichkeit zu erheben. Gegenseitige Zuneigung ist am befriedigendsten, wenn sie in Nacheiferung und Hilfsbereitschaft Ausdruck findet. Wir alle finden vieles in unsern Freunden, das bewundernswert ist. Wir lieben den einen wegen seiner Ehrlichkeit und Stärke; einen anderen wegen seiner Demut und Reinheit; einen Dritten wegen der Lektionen der Geduld und Langmut unter kränkender Reizung, die er uns lehrt. Wir können das gute Beispiel, das ein jeder uns gibt, wertschätzen und ihm folgen, und so haben wir einen wirklichen Freund in ihm gefunden.
Liebenswerte Eigenschaften, wo wir sie auch immer finden mögen, bringen uns mit dem Ursprung alles Guten, das Ausdruck finden mag, in Berührung, — nämlich mit Gott. Wir können unsre Liebe zu unsern Mitmenschen nicht von unsrer Liebe zu Gott trennen, da alle wahre Liebe gottähnlich ist. Das Gute das wir in unserm Freunde lieben, ist das Gute, das er von Gott empfangen hat. Es ist wohl mit recht gesagt worden, daß alles, was wir wirklich von einem anderen wissen und lieben, das ist, was er von Gott weiß und liebt. Es gibt kein persönliches Gutsein, doch gibt es geistige Individualität, die eine Widerspiegelung Gottes, des Geistes, ist.
Wir sollten uns abwenden von der Abgötterei persönlicher Verehrung. Wir lieben am besten, indem wir anderen helfen und die schönen Charakterzüge ausdrücken, die wir an ihnen zu lieben gelernt haben. Richtig anzubeten bedeutet, hilfsbereit zu sein, wie der Dichter Whittier schreibt (Christlich-wissenschaftliches Gesangbuch, Nr. 217):
Recht beten heißt, einander selbstlos lieben,
Und jede gute Tat ist ein Gebet.