Drohungen gegen den Menschen sind wirkungslos. Sie fallen ungespürt in ihr Nichts zurück, gerade als ob sie gegen Gott gerichtet gewesen wären. Der Mensch steht Gott so nahe, ist so eng mit Ihm verbunden, daß Gottes Gefeistein gegen das Böse auch das des Menschen in sich schließt. Gott ist das unendliche Gute, das immerdar Ausdruck findet; und der Mensch ist Sein Ausdruck. Gott, das vollkommene Gemüt, drückt sich in Ideen aus, die Seinem Wesen entsprechend erdacht wurden, Ihm zum Bild und Gleichnis. Da Gott nicht existieren könnte, wenn Er keinen Ausdruck fände, erhält Er auch den Menschen, indem Er Sein eignes Sein erhält. Daher verbleibt der Mensch ewig in der Selbstheit, in der Gott ihn erdenkt.
Wenn der endliche Sinn in suggestiver Art den Anspruch erhebt, endliche und begrenzte Vorstellungen zu beherbergen, und das aus solchen sogenannten Vorstellungen zusammengesetzte Bewußtsein mit dem Namen „Mensch“ bezeichnet; wenn der endliche Sinn beansprucht, zu wissen, daß der Mensch der Zerstörung verfallen, und durch Furcht der drohenden Vernichtung ausgesetzt ist, so sind gerade solche Ansprüche bestimmt, der Auflösung anheimzufallen, während der wahre Mensch in Vollkommenheit vorwärts schreitet. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, erklärt diese Wahrheit in nicht mißzuverstehenden Ausdrücken. In ihrem Buch „Nein und ja“ (S. 25) versichert sie uns: „Nach dem Gesetz vom ‚Überleben des Tüchtigsten‘ überlebt der Mensch die endlichen sterblichen Erklärungen über sich selbst.“
Niemand kann sich fürchten, wenn ihm kein Grund zur Furcht vorhanden zu sein scheint; und umgekehrt kann niemand sich der Furcht erwehren, der Grund hat, sich zu fürchten. Entschlossen, der Menschheit zu helfen, widmete sich Mrs. Eddy daher der Aufgabe zu zeigen, daß es niemals einen Grund zur Furcht geben kann. Unter göttlicher Führung bewies sie die geistige Tatsache, daß kein Fluch, keine Verdammung, keine Prophezeiung von nahendem Unheil, keine Vorahnung von angeblich verdienter Strafe sich jemals für den Menschen bewahrheiten kann, weil kein Bewußtsein von solchen Dingen im Gemüt des Menschen existieren kann. Mithin hat die Furcht, der angenommene Feind allen Friedens, aller Gelassenheit, aller Gesundheit, allen Lebens und Wohlbefindens, keine Wahrheit in sich, sie aufrecht zu erhalten. Ausdauer im Handeln von dieser geistig offenbarten Grundlage aus — ohne dem, was ihr entgegenzustehen scheint, Glauben zu schenken — bringt den Lohn, den nur die Treue ernten kann.
Eine strenge moralische Forderung ist hiermit verbunden, betreffs deren die Menschen nur zu oft im Unklaren sind und daher schwanken. Wenn wir dieser Forderung nachkommen, so bedeutet dies das Aufblühen jener geistigen Erkenntnis, welche die Kranken heilt, das Böse austreibt und den Sündern und Unverständigen das normale Verständnis der Wirklichkeit wiedererstattet. Geistige Erkenntnis erscheint niemals, es sei denn in Übereinstimmung mit dem Gehorsam gegenüber der moralischen Forderung. Die Anerkennung dieser Forderung ist mithin von größter Wichtigkeit für denjenigen, der im Sinne der geistigen Methode heilen will, welche die Christliche Wissenschaft darstellt.
Diese moralische Forderung verlangt von einem jeden Einzelmenschen unwandelbare Treue der Wahrheit gegenüber, insofern er die Wahrheit erkennt. Beharrliches und getreues Festhalten an dem, was man als Wahrheit erkannt hat, ist eine Form von Ehrlichkeit. Hierin, wie in allem ist Christus Jesus unser großes Vorbild. In ihrem Werk „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 20) weist Mrs. Eddy darauf hin, wie die Drohung von Kreuz und Geißel benutzt wurde, um Christi Jesu Treue gegen die Wahrheit, die er kannte, zu erschüttern, und fährt fort: „Dennoch wich er nicht vom Wege ab, da er wohl wußte, daß Gehorsam gegen die göttliche Ordnung und Vertrauen auf Gott es uns erspart, den Pfad von der Sünde zur Heiligkeit zurückzugehen und von neuem zu durchwandern.“
In scharfem Gegensatz hierzu verweist Mrs. Eddy auf den Fall Galileos, den Astronomen und praktischen Philosophen des 16. Jahrhunderts, der, nachdem er astronomische Tatsachen festgestellt hatte, die den Annahmen seiner Zeit widersprachen, unter dem Druck drohenden Verfolgung seine Aussagen widerrief, und sagte, die von ihm festgestellten Tatsachen seien falsche Behauptungen gewesen. Mit Bezug darauf schreibt sie in ihrem Buch „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften, S. 269): „Als Galileo eine Unwahrheit benutzte, um seine Freiheit wiederzuerlangen, verlor er sie eigentlich. Wer sein moralisches Gefühl einkerkern läßt, kann nicht der Gefangenschaft entgehen.“
Das ist die Bedeutung der biblischen Geschichten von Treue gegen Gott, die das Erbteil aller Christen bis auf den heutigen Tag sind: — Wie etwa die von Daniel, der es auf sich nahm, die Löwen in ihrer eigenen Höhle zu bändigen durch standhafte Treue gegen den Gott, den er erkannt hatte; die von den drei jungen Hebräern, die es wagten, der drohenden Hitze des Feuerofens entgegenzugehen und deren Drohungen zunichte zu machen, als Preis für die Freiheit, Gott nur ihrer eigenen Erkenntnis gemäß anzubeten; die von Johannes, dem Verfasser der Offenbarung, der um seiner geistigen Überzeugungen willen verbannt wurde, jedoch diese Verbannung zu einer Gelegenheit machte, seine Offenbarung von Gott und seinem sieghaften Christus mit der Menschheit zu teilen; die von Mrs. Eddy, welche bereit war, lieber Familie und die Bequemlichkeiten des Lebens aufzugeben, als die ihr von Gott zugewiesene Aufgabe zu versäumen, die, treulich erfüllt, den von Christus Jesus verheißenen Tröster brachte.
Erkennen wir die Bedeutung von all diesem? Wenn dies der Fall ist, so werden wir das Gute, das wir erkannt haben, nicht durch Versäumnis verleugnen; wir werden unsre geistige Überzeugung nicht verbergen aus Furcht, dadurch an Ansehen zu verlieren; wir werden nicht stille sein und uns weigern, das Wort der Wahrheit zu sprechen, wenn wir offensichtlich hierzu berufen werden, aus Furcht, die Erhebung zu einer Stellung zu riskieren, die der menschliche Sinn begehrt. Jene Verheißung Christi Jesu sollte erfüllt werden, um den Zwecken Gottes zu dienen (Luk. 21:15): „Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widersprechen können noch widerstehen alle eure Widersacher.“
Durche solche Standhaftigkeit, solche Verachtung der Drohungen gegen uns wegen unsrer Treue zur Wahrheit und deren falschen Ansprüche auf Macht, bezeugen wir unser geistiges Sein. Nur der von Gott erschaffene Mensch wird niemals von den Drohungen gegen sein Wohlergehen berührt. Nur der Mensch, der beweist, daß er der Gottesmensch ist, kann ein Leben der Furchtlosigkeit führen. Und Furchtlosigkeit ist die Macht, vor der alles Böse, oder alle Vorstellung des Bösen, zurückweicht und in ihr nichts verschwindet.
Krankheit ist eine Drohung gegen die Gesundheit. Wer den moralischen Mut hat, seinem Verständnis der Wahrheit gemäß zu leben, trotz drohender Verfolgung, hat das geistige Verständnis, das nicht von der Krankheit beeindruckt werden kann. Er wird fest stehen in geistiger Stärke, Gottes und des unbedrohten, von Gott erschaffenen Menschen bewußt. Wie der Psalmist, so wird auch er singen: „Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir.“ Die Nichtigkeit einer Drohung erkennend, wird er handeln wie einer der dies klar erkennt. Er wird nicht der Suggestion nachgeben, nach materiellen Mitteln zu verlangen aus Furcht, daß sonst die Krankheit den Sieg davontragen wird. Für ihn kann die Krankheit niemals siegen, denn der Mensch überlebt alle Definitionen von sich selbst, die ihn als krank erklären.
Einsamkeit ist eine Drohung, die niemals den Menschen erreichen kann. Wer den moralischen Mut hat, seiner geistigen Überzeugung gemäß zu leben, ohne wirkliche Entfremdung von notwendiger Gesellschaft zu fürchten, solange er Liebe ausdrücken kann, wird niemals die Einsamkeit kennen lernen. Dies Gefühl kann sich nicht geltend machen, wenn jemand sich der geistigen Gemeinschaft mit Gott, dem göttlichen Gemüt, bewußt bleibt; und sein tägliches Erleben wird von dieser Wahrheit zeugen.
Das gleiche kann gesagt werden in bezug auf die Drohung eines geschäftlichen Rückgangs oder Fehlschlages, oder irgendein Furchtgefühl, das uns suggerieren möchte, daß ein Abweichen von unsern geistigen Überzeugungen der Preis sei, um den wir etwas Erwünschtes erlangen können. Wer den moralischen Mut hat, der geistigen Wahrheit, die er erkannt hat, treu zu bleiben, ohne von Erpressungsversuchen eingeschüchtert oder von Bestechungen verleitet zu werden, dem drohenden Druck des Bösen Wirklichkeit beizumessen, wird sehen, wie dieser Druck verschwindet; und die Bedeutung jener Worte wird ihm klarer werden, die der Offenbarer den Menschen von dem Christus übermittelte (Offenb. 3:8): „Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen.“