Der eine allumfassende Gott kann nichts von Vereitelung oder Untätigkeit wissen. Da Gott das alltätige Leben ist, kann Seine Schöpfung nicht stillstehen, sondern muß richtig tätig sein. Sie besteht aus geistigen Ideen, die im göttlichen Gemüt bleiben und sich dem göttlichen Gesetz gemäß immerdar harmonisch entfalten. Es wäre für Gott unmöglich, Ideen zu erschaffen, die unzulänglich sind oder sich unvollkommen auswirken könnten. Man kann das Verständnis, daß die Liebe ihre Ideen beständig beherrscht und ewig für sie sorgt, täglich anwenden.
Vor über 35 Jahren streikten die Angestellten der alten Bostoner Hochbahn. Zwei Bekannte des Verfassers, die ins Gerichtsgebäude in der Stadt zu gehen hatten, machten sich von einem außenliegenden Bezirk zu Fuß auf den Weg. Unterwegs hielt ein Kraftwagen neben ihnen an und der Lenker bot ihnen eine Fahrt an. Er erklärte, er fahre nicht ganz in die Stadt — nur halbwegs — wolle sie aber gern so weit mitnehmen. Der Gatte antwortete, daß sie es sehr gern annahmen.
Seine Frau sagte nichts, aber sie dachte: „Die Liebe führt niemand nur den halben Weg. Die Liebe führt uns den ganzen Weg.“ Sie erkannte dies augenblicklich als einen Engelgedanken und sagte: „Ich danke dir, Vater, das genügt.“ Sie dachte dankbar über die geistige Tatsache nach, daß die Liebe ihre Absicht immer vollständig ausführt; daß der Vater den Sohn vollkommen verherrlicht; daß das Prinzip in jeder Lage alles, was vom Prinzip ausgeht, zu Ende führt, als der Mann sagte: „Dies ist halbwegs, aber ich habe Zeit, Sie ganz hinzufahren und will es gern tun.“
Ihr Beweis bestand natürlich nicht darin, daß sie zum Gerichtsgebäude gefahren wurden, sondern im Erkennen und Annehmen einer geistigen Wahrheit. Seither hat sie die Wahrheit: „Die Liebe führt uns den ganzen Weg“, oft angewandt. Wenn bei einer Krankheit Besserung eintrat, hat sie sich klar gemacht, daß die Liebe einem nicht nur Besserung bringt, sondern einen vollständig heilt. Wenn der Irrtum einwandte, daß Einschränkung nötig sei, hat sie gewußt, daß die Liebe unsere Bedürfnisse nicht teilweise befriedigt, sondern dem Menschen die unendlichen Mittel der Seele verleiht. Wenn sie vor Aufgaben stand, die über ihre Kraft hinauszugehen schienen, hat sie daran gedacht, daß die göttliche Intelligenz nie Gelegenheit zu einem Dienst bietet, ohne auch die Fähigkeit zu verleihen, ihn auszuführen. Die Liebe unterstützt alles, was in unserem Leben aufbauend ist. Die Liebe deckt nie eine selbstsüchtige, materielle Neigung auf, ohne die Selbstlosigkeit und Geistigkeit zu geben, durch die sie vernichtet wird. „Die Liebe führt uns den ganzen Weg.“
Kann sich jemand vorstellen, daß Jesus an Vereitelung glaubte? Dann werden wir, wenn wir unserem Meister nachfolgen, nicht zugeben, daß Gott etwas nur halb tut. Gott gibt uns nicht ein rechtes Verlangen und hört dann auf, es zur Verwirklichung zu bringen. In Gottes Plan für Seine Schöpfung ist kein Unternehmen nur teilweise ausgeführt oder erfolglos. Wir lesen im Buch des Propheten Sacharja (Sach. 8, 12): „Sie sollen Same des Friedens sein. Der Weinstock soll seine Frucht geben und das Land sein Gewächs geben, und der Himmel soll seinen Tau geben; und ich will die übrigen dieses Volks solches alles besitzen lassen.“
Selbst wenn das sterbliche Gemüt einwendet, es liege Rückschritt bei einer Erfahrung oder eine Verschlimmerung einer Krankheit vor, bringt nur eine Gärung im Denken oder die Tätigkeit der Wahrheit im menschlichen Bewußtsein das Übel an die Oberfläche, damit es zerstört werde. Nur das Gesetz der Liebe ist am Werk, um Harmonie herzustellen. Eine durch die Liebe bewirkte Heilung bleibt auch nicht nur eine Zeitlang bestehen; was die Liebe heilt, bleibt geheilt. Gott erhält den Menschen ewig in Seinem Gleichnis. Daher kann man nichts bekunden, was man, wie der Irrtum irrigerweise behaputen will, einmal gehabt habe. Auch hier erleben wir keine Vereitelung, wenn wir uns selber ein Gesetz sind und uns weigern, der Behauptung des Bösen beizustimmen, daß Gott etwas nur halb tue. Laßt uns vielmehr glauben, daß das Gesetz der Liebe uns vollständig regiert!
Der Mensch, Gottes Idee, ist nie getrennt von dem Gemüt, sondern verbleibt im Gemüt. Er ist keine materielle Persönlichkeit in einer unstimmigen Lage, aus der er herausgebracht werden muß; seine Individualität ist völlig geistig. Mary Baker Eddy schreibt (Miscellaneous Writings, S. 310): „Die materielle Daseinsauffassung wissenschaftlich unpersönlich machen — anstatt sich an die Persönlichkeit klammern — das ist es, was wir heute lernen müssen.“ Das Aufgeben der falschen Annahme, daß eine Schwierigkeit, sei es Krankheit oder Vereitelung, etwas Persönliches sei, und das Anerkennen, daß sie eine Trugvorstellung eines unpersönlichen, falschen Sinnes ist, hilft die makellose geistige Individualität des Menschen beweisen.
Die zur Lösung jeder schwierigen Aufgabe nötige Wahrheit ist dort gegenwärtig, wo die Aufgabe zu sein scheint. Das unendliche, allwissende Gemüt und der Mensch, die Widerspiegelung des Gemüts, kennt diese Wahrheit schon. Sie kann nicht verborgen sein. Die Liebe macht sie überdies unserem Denken und in unserem Erleben augenscheinlich. Jesaja schildert Gottes Gesetz des unausbleiblichen Erfolgs mit den Worten (65, 21. 22): „Sie werden Häuser bauen und bewohnen; sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes; und das Werk ihrer Hände wird alt werden bei meinen Auserwählten.“ Erfolg und Vollendung sind nicht etwas außerhalb des wirklichen Menschen, was er erlangen muß. Sie sind in seinem Sein inbegriffen. Er besitzt sie immer, weil er alle rechten Ideen und Eigenschaften Gottes in sich schließt.
Da die Menschen die Geistigkeit und gegenwärtige Vollkommenheit des wirklichen Menschen nicht erfassen, glauben sie, sie seien materiell und daher der Beschränkung und Vereitelung ausgesetzt. Wenn eine rechte Absicht vereitelt zu werden scheint, pflegen sie auszurufen: „Wieder einmal verfehlt!“ und meinen damit, es bestehe ein unabwendbarer böser Einfluß, der dem Wohlergehen des Menschen zuwider gewirkt habe. Aber man sollte die falsche Geltendmachung des Irrtums verneinen, nicht zugeben. Insoweit eine Erfahrung beschränkt oder schädlich ist, ist sie unwahr, findet sie also in Gottes harmonischem Weltall nicht statt.
In der Wissenschaft gibt es nichts „Verfehltes“, nichts, was der Vollkommenheit des Menschen entgegengewirkt hat oder entgegenwirken kann. Nur Gottes Gesetz, das Gesetz des Guten, ist in Kraft, und es segnet den Menschen immerdar. Gottes Wille ist immer geschehen, geschieht jetzt und wird immer geschehen. In Wirklichkeit besteht die Erhörung jedes Gebets und die Erfüllung jedes rechten Verlangens im Gemüt. Laßt uns dies ohne geheimen Vorbehalt sagen und den Segen erlangen, der denen, die Gott vollständig anerkennen, immer reichlich zufließt!
Weil das Erleben eines Menschen vollständig seinen persönlichen Anschauungen entspricht — die Verkörperung des menschlichen Denkens ist — kann es in dem Verhältnis, wie das Denken vergeistigt wird, vervollkommnet werden. Mrs. Eddy erklärt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 403): „Du bist Herr der Situation, wenn du verstehst, daß das sterbliche Dasein ein Zustand der Selbsttäuschung und nicht die Wahrheit des Seins ist.“ Was ein Versagen oder Vereitelung zu sein scheint, ist ein Zustand der Selbsttäuschung. Nur wenn wir dies bereitwillig zugeben, sind wir im Denken fähig, „Herr der Situation zu sein“ und den Anspruch des sterblichen Gemüts zu vernichten, daß es ein rechtschaffenes Bestreben hindern könne.
Wir werden finden, daß ein Beweis in der Christlichen Wissenschaft eine doppelte Bedeutung hat. Er erhöht unsere Dankbarkeit für Gottes Allheit und Vollkommenheit und spornt uns in geistiger Hinsicht zu größeren Leistungen an. Thomas Huxley schrieb: „Die Sprosse einer Leiter ist nicht zum Ausruhen gedacht, sondern gibt dem Fuß des Menschen nur so lang Halt, bis er den andern etwas höher heben kann.“ Dadurch, daß wir Schwierigkeiten entgegentreten und sie meistern, können wir in unserem Beweis der Wirklichkeit höher steigen. Dann beweisen wir die Zweckdienlichkeit der Verheißung Gottes (2. Mose 31, 3): „Ich habe ihn erfüllt mit dem Geist Gottes, mit Weisheit und Verstand und Erkenntnis und mit allerlei Geschicklichkeit.“ Die Menschen sollten sich die Verheißung, daß wir erfüllt sind „mit dem Geist Gottes, ... mit allerlei Geschicklichkeit“, unbedingt zu eigen machen.
Pflichten scheinen nicht mühsam, wenn wir die dem Menschen als dem gesegneten Kind Gottes gehörende Unmittelbarkeit und Freude verständnisvoll geltend machen. Stillstand wird in unseren Angelegenheiten verschwinden, wenn wir trotz des Sinnenzeugnisses an die geistige Tatsache glauben, daß Fortschritt, Gottes unwiderstehliches Gesetz der Entfaltung des Guten, in der Erfahrung des Menschen immer in Kraft ist. Ja, man kann sich weigern, sich zu dem Glauben verleiten zu lassen, daß der Ausdruck des Prinzips je anders als sicher, freudig, recht tätig oder gerecht belohnt sein könne.
Nicht nur bei unseren Pflichten, sondern auch, wenn der Irrtum Krankheit oder Unterdrückung einflüstert, ist die Liebe gegenwärtig, zu befreien. Wenn jemand über eine Böschung oder in einen tiefen, vertrockneten Brunnen stürzte, würde ihm sein Begleiter nicht bloß ein Seil zuwerfen. Sein Freund würde ihn ermutigen, daran festzuhalten, und er würde ihn versichern, daß er herausgezogen wird. Man würde dem Bedrängten zu verstehen geben, daß in Verbindung mit dem Seil die Kraft und die Intelligenz des Hilfeleistenden am Werk ist.
Bei Leid oder einer Krankheit kann einem der Irrtum zuweilen einreden, daß wir nichts tun können. Aber wir können an dem Seil festhalten — das heißt, in unserem Bewußtsein die rechte Idee, die die Liebe gibt, tätig erhalten. Sie ist immer unser Retter. Warum? Weil, wie uns unsere Führerin sagt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 6), „Gott nicht getrennt ist von der Weisheit, die Er verleiht.“
Die Gedanken, die Gott gibt, sind nicht nur teilweise wirksam; noch sind sie je von Gott getrennt. Im Gegenteil, sie tragen Seine Intelligenz, Tätigkeit und Macht, ja, alles in sich, was für ihre Entfaltung und ihren Erfolg nötig ist.
Die Erleuchtung des göttlichen Gemüts macht eine widrige Erfahrung oder eine Krankheit so unwirklich, daß wir sehen, daß sie nie ein Teil des Menschen war. Die Liebe heilt nicht nur, sie tilgt jede Spur von Krankheit und jede Erinnerung an Sünde aus.
Wenn wir fühlen, daß sich eine Heilung in die Länge zieht, oder daß wir anscheinend wie vor einer Mauer vor Vereitelung stehen, können wir auf Grund der Offenbarung der Christlichen Wissenschaft freudig finden, daß Gottes Gesetz nicht aufgehoben werden kann. Das Böse ist immer unwirklich. Die Liebe ist in jeder Lage gegenwärtig, schnell und entscheidend zu handeln, uns „den ganzen Weg zu führen.“
Wir haben tatsächlich dieselbe Erleuchtung und Überzeugung, die den Psalmisten befähigte, das vollständige, unumstößliche Wirken des Gesetzes der Liebe für die Menschheit zu verzeichnen, als er schrieb: „Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten, zu Gott, der alle Dinge für mich vollführt“ [engl. Bibel].