Als ich Schülerin einer christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschule war, hatte ich eine wunderbare Erfahrung. Sie betraf meine Erziehung. Die einzige Schule, die ich je besuchte, wurde in einem nach hinten gelegenen Zimmer eines kleinen Privathauses abgehalten und von einer älteren Dame geleitet. Meine Erziehung ist nie über den elementarsten Durchschnitt hinausgekommen. Mit dreizehneinhalb Jahren ging ich von der Schule ab und fing meine Berufsarbeit an als Bücherei-Gehilfin in einer der öffentlichen Bibliotheken in Lambeth.
Trotz meiner sehr ungenügenden Schulbildung war ich in meiner geistigen Entwicklung meinem Alter weit voraus, denn ein oder zwei Jahre nach dieser Zeit fing ich an, mich lebhaft für die Christliche Wissenschaft zu interessieren, besuchte die Sonntagsschule und studierte regelrecht das Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit“ und die anderen Werke von Mrs. Eddy.
Nach einiger Zeit, als ich immer noch unter zwanzig war, kam vom damaligen Bibliothekaren-Ausschuß eine Verfügung heraus, wonach nur diejenigen, die eine Aufnahme-Prüfung gemacht hatten, fest angestellt werden konnten. Den übrigen Bibliothekaren, die bereits im Amt waren, ohne eine Prüfung abgelegt zu haben, sollte Gelegenheit zu einem besonderen Examen gegeben werden, das, so weit ich mich erinnere, vom Bibliothekaren-Ausschuß abgehalten wurde. Wer dieses Examen nicht bestand, wurde nur als zeitweilig angestellt betrachtet, mit all den damit verbundenen Nachteilen, wie zum Beispiel, daß man nicht in die höheren Stellen aufrücken konnte.
Als ich hiervon hörte, beschloß ich, das Examen zu machen. Ich muß zugeben, daß ich damals nicht wußte, was ich auf mich nahm, denn ich war nie in einer modernen Schule gewesen und kannte nicht den Durchschnitt der Allgemeinbildung. Hätte man mir gesagt, mein Mangel an Bildung sei ein Hindernis für mich, so würde ich dies mit allem Nachdruck verneint haben, denn nach meiner Überzeugung konnte es für das Bild und Gleichnis Gottes kein Hindernis geben. Mein himmlischer Vater besaß alle Weisheit, und ich war Seine Widerspiegelung — das genügte mir. Als aber meine Eltern anfingen, Zweifel zu äußern, ob ich das Examen bestehen könne, bat ich meine Sonntagsschullehrerin, die auch Ausüberin der Christlichen Wissenschaft war, um Hilfe; liebevoll nahm sie die Arbeit für mich auf.
Ich erinnere mich, daß ich überlegte, ob es mir helfen könne, wenn ich einzelne Fächer studierte, und ich nahm ein Lehrbuch der englischen Grammatik mit nach Hause. Größtenteils fand ich das Buch langweilig und ermüdend, mit Ausnahme einiger Abschnitte, die mich außerordentlich interessierten, und die ich mir einprägte. Damals wußte ich natürlich nicht, daß die Teile der Grammatik, die ich so interessant gefunden hatte, die genauen Antworten auf die grammatischen Fragen bei der Prüfung enthielten.
Als junge Bücherei-Gehilfin gehörte es zu meinen Pflichten, die Bücherregale der Bibliothek zu ordnen, wobei ich mehrere Male zufällig ein Buch herauszog, es öffnete und darin die Antwort auf eine der Fragen las, die ich später bei der Prüfung zu beantworten hatte. Dies war besonders auffallend in Geographie. Als ich am Tage vor dem Examen das Bücherregal ordnete, auf dem die Landkarten und Atlasse standen, schlug ich zufällig eine in großem Maßstab gezeichnete Landkarte von Italien auf. Ich sah sie mir lange und genau an, tief beeindruckt von der Gestalt des Landes. In der Geographieprüfung mußten wir eine Karte von Italien zeichnen, was ich ohne Schwierigkeit konnte, da ich mir nur wenige Stunden vorher die Landkarte so aufmerksam angesehen hatte.
Voll Vertrauen ging ich ins Examen und als mir die Fragen vorgelegt wurden, konnte ich mich nur freuen und Gott danken, denn zu den Fragen, die ich vor mir sah, wußte ich fast alle Antworten. Es war für mich das Einfachste in der Welt, und natürlich hatte ich, als die Resultate bekannt gegeben wurden, das Examen bestanden. Diese Tatsache machte einen großen Unterschied in meiner Laufbahn; sie gab mir nicht nur mehr Ansehen und ein höheres Gehalt, sondern späterhin auch größeres Vertrauen in meine Fähigkeiten, als ich von der Bibliothekstätigkeit zu einem andern Beruf überging.
Im Licht reiferer Jahre erkenne ich nun, daß das, was ich damals tatsächlich zu überwinden hatte, eine Reihe von menschlich festgelegten Normen war; aber der menschliche Maßstab ist nichts, wenn er mit dem göttlichen gemessen wird. Ich bin erfüllt von Dankbarkeit für die Christliche Wissenschaft, die mich früh in meinem Leben befähigte, in gewissem Maße zu beweisen, daß es für das Bild und Gleichnis Gottes keine Hindernisse gibt.—London, England.