Wissen wirklich alle Schüler der Christlichen Wissenschaft, welchen unschätzbaren Führer sie an der wöchentlichen Lektionspredigt im Christlich-Wissenschaftlichen Vierteljahrsheft haben? Sind sie für diese segensreiche Einrichtung auch aufrichtig dankbar? Sind sie sich alle klar darüber, daß das tägliche Studieren der Lektionspredigt ein Schutz ist gegen aggressive mentale Suggestion, vor der wir uns täglich zu schützen haben, wie unsere Führerin Mary Baker Eddy im Kirchenhandbuch (Art. VIII, Abschn. 6) besonders betont? Kommt es nicht manchmal vor, daß wir einen Teil unserer Pflicht in der Hinsicht vergessen oder versäumen, daß wir das Studium der Lektionspredigt vernachlässigen?
Die Stimme des Irrtums scheint oft so wahr und richtig, wenn sie flüstert: „Du darfst dich heute morgen nicht zum ruhigen Lesen hinsetzen, wo soviel Arbeit auf dich wartet! Du mußt aufstehen und zupacken! Wenn die Arbeit getan ist, dann ist noch Zeit genug zum Lesen.“ Aber der Mittag kommt — und vielleicht hat sich noch mehr Arbeit aufgetürmt. Man verschiebt das Lesen der Lektion bis auf den Abend. Doch immer noch warten Pflichten; und wenn man dann zu Bett geht, ist man so müde, daß an ein Lesen — geschweige denn ein Studieren — nicht mehr zu denken ist. Und beschämt muß man gestehen, daß man an dem Tage einen Teil seiner Pflichten versäumt hat.
Einer jungen Anhängerin der Christlichen Wissenschaft wollte sich immer wieder diese Einflüsterung aufdrängen; aber sie erkannte, daß sie von dem „einen Feind“ ausging, als sie merkte, daß sie auf diese Weise immer tiefer in das Sinnendasein hineingeriet, aus dem sie sich ja gerade hatte erheben wollen. Sie spürte es an der inneren Zerrissenheit, denn ihr Bewußtsein war nicht mehr im Einklang mit der Freude und dem Frieden der göttlichen Wirklichkeit. Da nahm sie sich vor, beharrlich beim Studieren zu bleiben, trotz der angreifenden Einflüsterungen des Irrtums. Sie beschloß, von nun an ihre Pflichttreue zu beweisen und ihre stillen Morgenstunden ruhig dem Studium der Wissenschaft zu widmen. Sie war überrascht über das Ergebnis und fühlte sich wohl belohnt für ihre Pflichttreue.
An den Tagen, an denen sie sich von ihrer materiellen Arbeit hatte erdrücken lassen, flogen die ungenutzten Stunden nur so dahin, und sie hetzte sich vom Morgen bis zum Abend mühevoll ab, bis sie nervös, erschöpft und mißmutig war. Jetzt aber schien es, als ob eine Hand die Zeiger der Uhr buchstäblich angehalten hätte: als sie von ihrer Arbeit aufsah, konnte sie es kaum glauben, daß nicht mehr Zeit vergangen sein sollte — ihr stand ja noch so viel Zeit zur Verfügung! Und wie leicht und mühelos schaffte es sich! Es war ihr, als ob eine mächtige, liebevolle Kraft mithelfe; sie fühlte sich förmlich getragen von Freude und Arbeitsmut. Ihr Sinn war so leicht und ausgeruht! Sie sah viel klarer, wo es fehlte, und unnötige Arbeit wurde vermieden. Doch eines nahm sie mit ganz besonderer Dankbarkeit wahr: kein unnötiger Schritt brauchte gemacht zu werden — ja, alle weiten Wege, die sie hätte machen müssen, wurden ihr förmlich abgenommen. Was sie auch brauchte, und wen sie auch zu sehen brauchte — sie hatte nicht nötig, sie aufzusuchen. Alles kam ihr schon entgegen. Alle Aufgaben erledigten sich mühelos und fast spielend. Es war offensichtlich, daß Gemüt die Leitung hatte, und nicht der sterbliche Sinn.
Die Lüge Zeitmangel ist eine der häufigsten Lügen der Begrenzung; denn sie entspringt der Annahme von Leben in der Materie. Sie suggeriert, daß wir getrennt von Gottes unerschöpflichem Tage existieren, obwohl die Bibel uns sagt, daß wir in Gott „leben, weben und sind“ (Apg. 17:28). Das sterbliche Gemüt möchte uns vorreden, daß die Zeit, Gutes zu tun, begrenzt sei, und uns mit Hasten und Sorgen belasten. Wir wissen jedoch, daß der wirkliche Mensch weder endlich noch begrenzt ist. Es gibt nur ein Ego, ein Gemüt, einen unendlichen Geist, Gott, das Prinzip des Universums, das vom Menschen als Idee geistig widergespiegelt wird. Die erste und ursprüngliche Eigenschaft dieses göttlichen Gemüts ist Intelligenz. So ist es klar, daß der Gottesmensch unbeschränkte Weisheit kundtun muß. Mrs. Eddy erklärt im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 264): „Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Leben Geist ist, nie in, noch von der Materie, so wird sich dieses Verständnis zur Selbstvollendung erweitern und alles in Gott, dem Guten, finden und keines andern Bewußtseins bedürfen.“
Mit dem täglichen Lesen und Studieren der Lektionspredigt versetzen wir uns immer mehr bewußt in Gottes Tag, und wenn wir diese Pflicht früh morgens auf uns nehmen, so sind wir besser ausgerüstet, angreifenden Gedankeneinflüsterungen zu widerstehen. Mrs. Eddy sagt auf Seite 230 ihres Buches „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften): „Geschäftiges Herumeilen ist kein Beweis, daß wir viel vollbringen.“ Alles Herumrennen hat soviel Wert wie nichts, wenn sich nicht erst unser Bewußtsein mit dem Göttlichen verbunden hat. Darum sagt Jesaja (30:15, 16): „Wenn ihr umkehrtet und stillebliebet, so würde euch geholfen, durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht: ‚Nein, sondern auf Rossen wollen wir fliehen‘ — darum werdet ihr flüchtig sein — ‚und auf Rennern wollen wir reiten‘ — darum werden euch eure Verfolger übereilen.“ Das sterbliche Gemüt, der Widersacher, der uns — wenn er eben könnte — von Gott trennen möchte, braucht gar nichts anderes zu tun, als uns ruhelos zu machen, müde Sklaven des Uhrzeigers: wenn er das der Annahme nach erreicht hat, so können aggressive mentale Suggestionen aller Art uns scheinbar verfolgen und übereilen. Deshalb ist es so wichtig, sich sofort beim Erwachen bewußt zu werden, daß nichts uns aus Gottes unbegrenztem Tag vertreiben kann, in dem das göttliche Gemüt die Oberherrschaft hat.
Jeder Mangelgedanke schließt Irrtum in sich, denn Gottes Sein drückt sich überall in Fülle aus. Das sterbliche Gemüt sucht all sein Streben und Planen in eine gewisse begrenzte Zeitspanne hineinzupressen und kommt so in ein Rennen und Jagen. Falsche Selbstverantwortung schließt Unruhe in sich, und Unruhe lähmt unsere besten Absichten. Doch Gottes Wirksamkeit wird nicht durch Zeit begrenzt; Gottes Tag kennt keine Nacht. Gottes Gesetz und Gottes Ordnung bleiben bestehen in dem mühelosen Rhythmus der Ewigkeit, den nichts hemmen oder unterbrechen kann.
Der wirkliche Mensch spiegelt das Gemüt wider und offenbart seine Macht. Im Tage Gottes gibt es keine Hemmungen, keinen Widerstand. „Alle Dinge“ in Gottes Tag müssen „denen, die Gott lieben,. .. zum Besten dienen“ (Röm. 8:28).
Sich über den falschen Begriff von Zeit erheben, bedeutet, in das Reich der unübersehbaren Möglichkeiten und Gelegenheiten einzutreten, wo unendlicher Fortschritt uns erwartet. In dem Verhältnis, wie das menschliche Bewußtsein seine niederziehenden Begriffe, einen nach dem andern, aufgibt, ergibt es sich dem göttlichen Bewußtsein, in dem es seine Selbstvollendung findet. In diesem göttlichen Bewußtsein verschwinden „Die Dinge der Zeit und der Sinne. .. in der Erleuchtung des geistigen Verständnisses, und Gemüt bemißt die Zeit nach dem Guten, das sich entfaltet“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 584). Wir erleben die mühelose Entfaltung der göttlichen Ideen, alles dessen, was gut and wahr und liebevoll ist, und keine Nacht der Besorgnis, der Bangigkeit, des Zweifels kann unseren freudigen Sinn verdüstern.
Unser großer Beispielgeber Christus Jesus lebte bewußt in Gottes Tag geistiger Entfaltung und konnte aus diesem Bewußtsein heraus seine mächtigen Taten tun. Als er die Menge des Volkes sah, ließ er sich von dem Augenschein der Sinne nicht verleiten zu denken, daß „sieben Brote und ein wenig Fischlein“ alles war, was zur Verfügung stand für über viertausend Menschen. Auch lehnte er jede falsche Verantwortlichkeit ab, die ihn angesichts solcher Menge mit Furcht und Selbstunterschätzung hätte erfüllen können. Er wußte nur um den unauflöslichen Zusammenhang der alles umschließenden Einheit von Prinzip und seiner Idee, in der alle Fülle des Seins enthalten ist. Wieviel ruhiges Vertrauen liegt in den einfachen Worten (Matth. 15:36): „Und er nahm die sieben Brote und die Fische, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern.“ Da war nichts von Übereilung, nichts von Unruhe: erdankte! Sein erleuchtetes Bewußtsein erschaute nur die unbegrenzte Fülle der unendlichen Versorgung, die Gottes Kraft zu eigen ist.
Wir haben heute mehr denn je die Pflicht, in Gottes Tag zu bleiben und so den Mesmerismus dieser falschen Weltannahmen — Mangel an Zeit, Mangel an Geld, Mangel an Versorgung, Mangel an Lebensmitteln, Mangel an Verständnis, Mangel an Liebe — zu brechen. Denn als Christliche Wissenschafter leben wir „nicht uns selber“, sondern um der Welt die Macht Gottes, des allein bestehenden Guten, zu beweisen. Die Lüge „Zeitmangel“ darf uns nicht länger in die Begrenzung der Sterblichkeit hineindrängen, jenen schattenhaften falschen, materiellen Daseinsbegriff. Des Menschen wahres Sein ist in der unendlichen, grenzenlose Liebe geborgen. Alle seine Wege sind geordnet und klar. Das Verstehen dieser Wahrheiten befreit uns von dem falschen Anspruch der Zeit, und wir beginnen, uns an der ewigen Einheit und Vollständigkeit der Gottheit zu erfreuen — der wahren Heimat des Menschen.
