Jesus sagte: „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie ich euch geliebt habe, auf daß auch ihr einander liebhabet“ (Joh. 13:34). Er sagte auch: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 10:30). Gottes Liebe ist so rein, daß Er nichts Böses wahrnimmt. Er sieht nur Seine eigene Schöpfung und nichts anderes; denn in Wirklichkeit gibt es nichts anderes. Sünde, Krankheit und Tod sind ein Teil von jenem trügerischen „nichts anderes“. Lieben, wie Jesus liebte, durchdringt und vertreibt den Nebel, der die Menschen zu dem Glauben zu verleiten sucht, daß der Mensch krank, sündig und sterblich sei, und es befähigt sie, wie Jesus den von der Liebe erschaffenen Menschen zu schauen, der schon vollkommen, ja der das Bild und Gleichnis Gottes ist.
In dem christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy heißt es (S. 259): „Das christusgleiche Verständnis vom wissenschaftlichen Sein und vom göttlichen Heilen umfaßt als Basis des Gedankens und der Demonstration ein vollkommenes und Prinzip und eine vollkommene Idee — eine vollkommenen Gott und einen vollkommenen Menschen.“ Diese Erklärung stimmt mit dem ersten Kapitel des 1. Buches Mose überein, das berichtet, daß Gott von Seiner Schöpfung befriedigt war. Nichts Geringeres als Vollkommenheit konnte Gott befriedigen. Daher ist alles, was erschaffen wurde, das heißt, alles, was wirklich besteht, jetzt vollkommen, auch wenn das Gegenteil gesagt, gesehen oder geglaubt zu werden scheint.
Wer von dieser Grundlage des vollkommenen Gottes und des vollkommenen Menschen aus denkt, beginnt dies zu demonstrieren. Er fängt an, den vollkommenen Menschen zu sehen und zu lieben, statt von der unharmonischen Nachahmung, dem sogenannten Sterblichen, getäuscht und beunruhigt zu werden. Dieses rechte Sehen und Wissen hat Heilung zur Folge.
Das Vollkommene lieben bedeutet, das Wirkliche lieben. Es verscheucht Furcht, Groll und Feindschaft samt ihren unheilvollen Äußerungen und demonstriert die Gegenwart von Frieden, Freude, Herrschaft und Beschirmung. Jesus kannte und liebte den vollkommenen Menschen. Er sah und liebte den lebenden Lazarus und vernichtete dadurch augenblicklich die anmaßende Einflüsterung, daß sein Freund schon seit vier Tagen tot sei. „Vollkommener Gott und vollkommener Mensch“ war die Grundlage seines Denkens und seiner Beweise.
Wenn man die große Wahrheit, daß alle Dinge in Wirklichkeit vollkommen sind, furchtlos und ohne Zweifel anerkennt, so tritt an Stelle falscher Teilnahme und Verdammung Erbarmen und der ruhige, zuversichtliche Glaube, daß das Böse keine Macht hat, den schon jetzt gesunden und harmonischen Zustand aller Dinge zu beeinträchtigen. Das aufgeschlossene Bewußtsein, das in seiner Not göttliche Hilfe sucht, fühlt den christlichen Einfluß göttlichen Erbarmens und wird geheilt.
Das neue Gebot des Meisters geht einen Schritt über das alte hinaus. Es geht über die buchstäbliche Bedeutung der Zehn Gebote hinaus und erklärt deren geistige Bedeutung. Um zu lieben, wie Jesus liebte, muß man nicht nur das alte Gebot befolgen, sondern auch bereit und willens sein, das neue zu befolgen. Der im Evangelium des Matthäus (Kapitel 19) erwähnte reiche Jüngling sagte, er habe die Zehn Gebote befolgt; aber seine Liebe zu seinen Gütern hielt ihn vom nächsten Schritt zurück: er war weder bereit noch willens zu lieben, wie Jesus liebte. Der Priester und der Levit, die im Gleichnis vom barmherzigen Samariter erwähnt werden, dachten zweifellos, sie hätten die Zehn Gebote unbedingt befolgt; aber ihnen waren religiöse Bräuche und Priesterstolz wichtiger als Erbarmen. Auch sie waren weder bereit noch willig, auf eine Art und Weise zu lieben, die heilt. Der gute Samariter, der frei war von Selbstgerechtigkeit und Heuchelei, achtete Barmherzigkeit für höher als alles andere und verhalf dadurch seinem hilfsbedürftigen Nächsten zur Wiedererlangung von Gesundheit und Wohlergehen.
Barmherzigkeit ist eine unerläßliche Eigenschaft der heilenden Liebe. In seinem ersten Brief an die Korinther (13:4–6) führt Paulus einige der anderen Eigenschaften der Nächstenliebe an: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit.“
Die Christliche Wissenschaft ist der verheißene Tröster. Sie enthüllt die Wahrheit aller Dinge. Sie legt die Heilige Schrift aus. Sie erklärt die Worte und Werke Jesu. Sie lehrt ihre Anhänger lieben, wie Jesus liebte, und dadurch die mächtige Wirkung dieser Liebe, das Leben harmonisch zu gestalten, zu erleben.
Nur der persönliche Sinn oder Irrtum, ist lieblos und scheint häßliche, unheilstiftende und unharmonische Sterbliche zu sehen; während in Wirklichkeit allein Gott und Sein Bild und Gleichnis besteht. Um unsern Mitmenschen als gut und liebenswert zu sehen, wie Gott ihn erschaffen hat, und ihn mit der Liebe zu lieben, die heilt, müssen wir aus unserem eigenen Bewußtsein alles Lieblose ausscheiden — Eigenschaften wie Neid, Hochmut, Groll, Selbstgerechtigkeit — alles, wodurch uns seine Schwächen und Fehler wirklich scheinen würden. Diejenigen, deren Gemüt so geläutert ist, bleiben angesichts von Sünde oder Krankheit gefaßt und liebevoll. Sie sind somit nicht nur imstande, andere zu heilen, sie sind auch selber beschützt.
Unsere Führerin nimmt in ihrer Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1902 Bezug auf das neue Gebot. Sie schreibt darin (S. 8): „Durch geistige Liebe wird sich der Mensch bewußt, daß Gott sein Vater ist; und das Bewußtsein, daß Gott die Liebe ist, gibt dem Menschen eine unermeßlich fördernde Macht. Dann wird Gott für ihn die Allgegenwart, die alle Sünde vernichtet; die Allmacht, die Leben, Gesundheit und Heiligkeit gibt; die Allwissenheit — das ganze Gesetz und Evangelium.“