Während meines Aufenthalts in Paris, im Jahre 1925, wurde meine Aufmerksamkeit zum ersten Mal auf die Christliche Wissenschaft gelenkt, und ich beschloß sofort, sie näher kennen zu lernen. Ich gab meinen Plan, in meine Heimat, Estland, zurückzukehren, auf und blieb mehrere Monate in Paris, um diese wunderbare Wissenschaft zu studieren.
Mary Baker Eddys Erklärung in ihrem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“, daß der Mensch nicht materiell, sondern geistig ist, war für mich eine Offenbarung. Als Tänzerin bestrebte ich mich, meine Ideen durch Herrschaft über den Körper auszudrücken. Nun begann ich zu verstehen, daß der Mensch im Geiste und nicht in der Materie lebt, und daß der Weg zur Herrschaft im Geist liegt.
Nach meiner Heimkehr wurden in meinem Tanzatelier christlich-wissenschaftliche Gottesdienste abgehalten. Im Jahre 1931 hatte ich Klassenunterricht und wurde christlich-wissenschaftliche Ausüberin. Während des Zweiten Weltkrieges, als Estland besetzt wurde, war ich gezwungen, meine Heimat zu verlassen. Mit vielen Flüchtlingen wurde ich in einen Militärtransportzug verladen, der seine Rückfahrt nach Deutschland antrat. Der Zugführer erklärte, daß die Reise außerordentlich gefährlich werden würde, da wir nahe an mehreren Schlachtfeldern vorbeifahren müßten. Er bezweifelte, daß wir Deutschland je in Sicherheit erreichen könnten.
Wenn wir gezwungen sind, durch Erfahrungen zu gehen, die keinerlei materielle Stützen bieten, dann klammern wir uns fester an Gott und vergegenwärtigen uns klarer unsere Einheit mit Ihm. Ein Vers aus dem 2. Buche Mose sang in meinem Bewußtsein: „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und bringe dich an den Ort, den ich bereitet habe.“ Durch diesen Vers erhielt ich die tröstende Gewißheit, daß ich einzig und allein von Gott abhängig war und ich fühlte, daß ich im Reich des Geistes und in Gottes Schutz sicher lebte, wo mich der Donner der Kanonen nicht schrecken konnte. Ich erkannte klar, daß das sichtbare äußere Bild lediglich eine Illusion war, ein Spiel der sterblichen Gedanken, daher nicht wirklich. Ich erkannte auch die Tatsache, daß Friede und Harmonie die einzigen Wirklichkeiten sind, und daß kein Gefühl einer schweren Erfahrung sich meiner bemächtigen konnte — im Gegenteil, es war wunderbar, von dem Getöse des sterblichen Gemüts unberührt zu bleiben.
Wir erreichten Deutschland in Sicherheit. Sobald der Briefverkehr wieder im Gange war, schrieb ich an Freunde in den Vereinigten Staaten, um ausfindig zu machen, ob es für mich eine Möglichkeit gäbe, nach Amerika auszuwandern. Die Antwort, die ich erhielt, gab mir keine Hoffnung, aber sie enthielt den Zusatz, daß, wenn es Gottes Wille für mich sei, Er den Weg auftun werde.
Anstatt niedergeschlagen zu sein, war ich aufrichtig dankbar für diesen Brief, denn ich sah klar, daß ich von meinem Problem nicht weglaufen konnte. Es mußte da gelöst werden, wo es mir entgegenzutreten schien; denn unsere Erfahrungen sind das Resultat unseres eigenen Denkens und nicht von internationalen Tragödien abhängig. Wenn ich das äußere Erscheinungsbild ändern wollte, so mußte ich mein Denken ändern.
Von ganzem Herzen wandte ich mich an Gott, das Gute, wissend, daß ich als Seine Idee meine Existenz, mein Heim, im göttlichem Bewußtsein habe, wo nur Schönheit und Güte ausgedrückt werden. Nach einer gewissen Zeit sah ich alles in einem anderen Licht. Innerlich erfreute ich mich der Überfülle und Güte Gottes und konnte infolgedessen die materielle Seite der ganzen Lage mit viel Humor betrachten. Diese Haltung des Denkens half andern, und wir Flüchtlinge konnten lachen und uns freuen, trotz der primitiven Lebensbedingungen und des Mangels an Nahrung. Ich fühlte mich nicht mehr so abhängig von dem, was es zu essen gab und von anderen sogenannten Lebensannehmlichkeiten, sondern hatte das wunderbare Gefühl, frei zu sein von Traditionen und menschengemachten Gesetzen der Gesundheit und des Wohlbefindens.
Das Resultat eines solch freudigen und sorglosen Gedankenzustandes drückte sich in folgenden Ereignissen aus. Ich kam in ein anderes Flüchtlingslager und fand, daß es das beste Lager in Deutschland war, ein Hotel in den Bergen. Es war von der Internationalen Flüchtlingsorganisation zur Unterbringung der Flüchtlinge übernommen worden und wurde sehr gut geführt. Zu meiner großen Freude befand sich nicht weit entfernt eine Christlich- Wissenschaftliche Vereinigung, deren Mitglieder mich liebevoll willkommen hießen.
Ich wurde Mitglied, war in Kirchenämtern tätig und arbeitete drei Jahre lang als christlich-wissenschaftliche Ausüberin. Mein Problem der Heimatlosigkeit war damit gelöst, denn ich fand mein Heim im Dienste der Wahrheit und in der Liebe und Freundschaft, die meine Umgebung zum Ausdruck brachte. Meine Erfahrung bewies mir, daß unser Heim tatsächlich nur im göttlichen Bewußtsein ist. Dieses Erleben erfüllte mich mit Freude und Dankbarkeit für die Wahrheit und menschlich drückte sich dies in blühender Gesundheit aus.
Dann kam von meinen Freunden in den Vereinigten Staaten ein liebevoller Brief, der mir mitteilte, daß durch eine spezielle Verfügung des Kongresses der Vereinigten Staaten der Weg nach Amerika nun für Flüchtlinge meiner Art frei war. Tief dankbar für die ausgestreckten Arme der Liebe kam ich in dieses Land, mir vollbewußt, daß Gott mich an den Ort brachte, den Er mir bereitet hatte. In demütiger Dankbarkeit gedenke ich der folgenden Worte aus „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 135): „,Ja, Gott sollte wohl können einen Tisch bereiten in der Wüste?' Was kann denn Gott nicht tun?“
Ich schließe mein Zeugnis in Dankbarkeit gegen Gott für unsere geliebte Führerin, Mrs. Eddy, und für unsere liebe Mutterkirche.— Concord, New Hampshire, U.S.A.