Wenn man gesprächsweise fragt, an was die Menschen bei dem Wort „Dienen“ denken, mag wohl oft das Bild eines Dieners entstehen, eines Menschen, der eine ihm zugewiesene niedrige oder gar unangenehme, schwierige Arbeit zu leisten hat. Oft scheint ein Gefühl des Zwanges, der Unterwerfung unter den Willen eines Herrn, manchmal sogar Bitterkeit gegen die Art der zugeteilten Arbeit dem Wort anzuhaften. Wenn wir das Wort jedoch im Lichte der Christlichen Wissenschaft betrachten, so sehen wir in ihm nicht mehr derartig negative, sondern vielmehr positive, Eigenschaften.
In der Bibel werden die Worte „Dienen“ und „Diener“ oder „Knecht“ oft im Zusammenhang mit Gott und Gottesverehrung angewendet. Einige der großen Führer und Könige der Juden, wie Moses, David und Daniel werden „Knechte des lebendigen Gottes“ genannt. Samuel, schon als Knabe dem Dienste Gottes geweiht, wurde Prophet und Richter. Durch seine Demut, seinen Mut und sein Vertrauen auf Gott von Jugend an erstieg David die Höhen des Königtums. Wenn wir diese Menschen miteinander vergleichen, so erkennen wir, daß sie alle gewisse Charaktereigenschaftten besaßen, die ihre Größe ausmachten. Vor allem bemerken wir einen Begriff des Gehorsams. Sie alle taten, was Gott von ihnen verlangte.
Und in Christus Jesus erkennen wir den höchsten Typus eines Dienenden, dessen unübertroffene Demut oft in den Evangelien erwähnt wird. In vielen seiner Gleichnisse sprach Jesus von Dienst im buchstäblichen Sinne — zum Beispiel im Gleichnis von den drei Knechten anvertrauten Pfunden (Matth. 25:14–30). In diesem Gleichnis erwähnt Jesus den Lohn, der dem „frommen und getreuen Knecht“ gegeben wird, nämlich, daß er „über viel gesetzt“ wird.
Unsere Führerin Mary Baker Eddy widmete ihr ganzes Leben dem Dienste Gottes und der Menschheit. Sie sagt in einem ihrer Gedichte, „Christ my Refuge“ (Christus, meine Zuflucht, Gedichte S. 12):
„Ich küss' das Kreuz, erwach' und schau'
Die licht're Welt.“
Hierin ist ausgedrückt, was sie durch ihr eigenes Beispiel von Demut bewies. Die durch ihre Demut und ihren Gehorsam erlangten Erfolge sind ein unzerstörbares Denkmal dieser geistigen Eigenschaften. Nicht nur, daß sie das Kreuz auf sich nahm, sondern sie war auch in ihrer Seelenstärke und in ihrem unerschütterlichen Glauben fähig, „das Kreuz zu küssen“. Sie erwachte zur Erkenntnis einer „licht'ren Welt“. Mit ihrem Leben und ihren Werken erwies sie sich als eine Dienerin Gottes, welche, nachdem sie das Kreuz geküßt hatte, die Krone empfing.
Wir alle erhalten Anweisungen von Gott, wenn wir auf Seine Stimme lauschen. Ein gehorsamer Mensch — einer, der Gottes Weisungen folgt — lernt Gottes Willen zu verstehen. Er erkennt, daß „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm. 8:28); nämlich, daß Gehorsam gegen Gott aufwärts und vorwärts führt.
Um Gottes Weisungen zu verstehen, ist es nötig, in Demut auf Sein Wort zu harren. Manchmal mag es schwer fallen, genug Geduld dafür zu haben. Doch Demut schließt oft Geduld in sich; und Geduld muß ebenso geübt werden wie andere christliche Tugenden.
In ihrem Aufsatz über „Obedience“ (Gehorsam) in dem Werk „Vermischte Schriften“ (S. 117) schreibt unsere Führerin Mrs. Eddy wie folgt: „Gott ist die Quelle des Lichts und Er erleuchtet unsern Weg, wenn wir gehorsam sind. Die Ungehorsamen machen sich auf den Weg, bevor Gott sie dazu führt, oder machen sich zu spät auf, um Ihm folgen zu können. Seid gewiß, daß Gott euch auf den Weg führt; dann beeilt euch, unter allen Umständen zu folgen.“
Demut ist nicht etwa Schwäche oder Unterwürfigkeit; es ist eine positive Eigenschaft. Wir finden viele Beispiele in der Bibel, die uns klar zeigen, daß der Demütige von Gott „erhöht“ wird. Im Buche Hiob (22:29) lesen wir: „Die sich demütigen, die erhöht er; und wer seine Augen niederschlägt, der wird genesen.“ Ein wahrer Diener ist also einer, der in Demut alles gewinnt. Er ist Gott — nicht dem Willen eines andern — Untertan, und er gehorcht Gottes Willen.
Wenn wir klarer verstehen, was wahres Dienen ist, so werden uns unsere eigenen Beziehungen zu unseren Arbeitgebern in anderem Lichte erscheinen. Wir begreifen, daß wir nicht einer Person oder Personen dienen, sondern daß Gott allein unser Arbeitgeber ist. Wenn dem so ist, dann ist auch alles Werkzeug, das wir nötig haben, ein Gottesgeschenk. Dieses Werkzeug ist, wie in der Werkstatt eines Meisters, stets sauber, vollkommen und fertig zum Gebrauch. Als Widerspiegelung Gottes haben wir alles, was wir für unsere Arbeit brauchen. In einem ihrer Gedichte, betitelt „Satisfied“ (Befriedigt, Gedichte 79), sagt Mrs. Eddy:
„Ganz einerlei, welch Los dir sei,
So Liebe lenkt;
Ob Sonnenschein, ob Sturm — allein
Gott Frieden schenkt.“
Erfahrungen, die vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet scheinbar unerträglich gewesen wären, erwiesen sich mir als Segnungen. Durch sie lernte ich erkennen, daß ich Gott rückhaltlos vertrauen kann, da Er der einzig wirkliche Arbeitgeber ist. Auch wurde mir klar, daß Selbstverleugnung etwas ganz Positives ist. Es ist ein Aufgeben des falschen Sinnes vom materiellen Selbst und ein Bewußtwerden der wahren Selbstheit als Ausdruck Gottes.
Schwere körperliche Arbeit, die ich während des Zweiten Weltkrieges zu leisten hatte, schädigte meine Hände nicht, obgleich es oft so schien. Trotzdem es Arbeit war, die keinerlei Ähnlichkeit mit meinem früheren Beruf hatte, lernte ich, sie freudig und willig zu leisten. Später war es mir vergönnt, zu meinem ursprünglichen Beruf zurückzukehren, ohne irgendwelche Nachwirkungen jener schweren Jahre zu verspüren.
Welchen Trost können wir finden, wenn wir uns Christus Jesus zum Vorbild nehmen! Die Pflichten, die wir zu erfüllen haben, werden leichter, wenn wir an jene wunderbaren Worte unseres Heilandes denken, die er zu seinen Jüngern sprach (Matth. 11:28, 29): „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von ganzem Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“
