Der Bibelunterricht für die Sonntagsschüler hat wie alles Lehren in der Christlichen Wissenschaft eine praktische Bedeutung. Ziel dieses Unterrichtes ist es, die Lehren der Bibel für sie zur Karte des Lebens zu machen. Dieses Lehren gründet sich auf die Überzeugung, die von unserer Führerin Mrs. Eddy in den folgenden Worten ausgesprochen wird: „Die einzige Auslegung der Heiligen Schrift, die von Wichtigkeit ist, ist die geistige“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 320). Das Ziel allen Unterrichtens in der Sonntagsschule für Schüler aller Altersstufen muß daher darin bestehen, den Schülern zu helfen, diese geistige Auslegung zu finden.
Ein Christlicher Wissenschafter wird sich, um in dieser Angelegenheit richtig geleitet zu werden, ganz natürlich an das Buch unserer Führerin „Wissenschaft und Gesundheit“ wenden; tatsächlich wird er auch in ihrem Handbuch Der Mutterkirche (Art. XX, Abschn. 3) die Anweisung finden, daß beim Unterricht für die älteren Kinder die Bibellektionen aus dem Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft herangezogen werden sollen, die Stellen aus der Bibel sowie diesen entsprechende Abschnitte aus „Wissenschaft und Gesundheit“ enthalten. In diesen ausgewählten Stellen für das wöchentliche und tägliche Studium finden sich Beispiele, wie die Bibel geistig ausgelegt werden sollte. Doch obwohl die Bibellektionen aus dem Vierteljahrsheft im Kirchenhandbuch besonders erwähnt werden, können, bedingt durch den Plan, nach welchem sie zusammengestellt werden, in jedem Abschnitt nur eine begrenzte Anzahl von Bibelversen eingeschlossen werden. Diese sollen die Ideen vermitteln, die auf das besondere Thema unmittelbar Bezug haben. Doch häufig ist es wünschenswert, daß die Schüler die Bibelerzählungen oder -gleichnisse ungekürzt lesen und so verstehen lernen, wie diese sich — als Ganzes gesehen — in den Rahmen des Buches einfügen.
Ebenso wie man jüngeren Kindern aus der Bibel vorlesen oder ihnen Geschichten daraus erzählen sollte, sollten die älteren Schüler aufgefordert werden, selbst in der Bibel zu lesen. Bei ihrem Studium der beiden Lehrbücher, der Bibel und „Wissenschaft und Gesundheit“, sollten sie ermutigt werden, auch auf andere Abschnitte zu achten, die, ähnlich wie die in den Lektionspredigten zusammengestellten Abschnitte, in Beziehung zueinander stehen.
Wenn die Schüler sich so bemühen, mehr zu lesen, werden sie finden, daß ihnen das Studium gewisser Abschnitte allmählich zu einem Verständnis der geistigen Auslegung der Bibel verhilft — ein Studium der vielen Stellen, wo in „Wissenschaft und Gesundheit“ ein biblischer Text oder Ausdruck besonders erklärt wird, wie zum Beispiel im „Glossarium“ (Kapitel XVII) oder in der Auslegung des 23. Psalms auf Seite 578 und des Ersten Gebotes auf Seite 467, Zeile 5, wo ein einziges Wort eine Flut des Lichtes auf die geistige Bedeutung der Schriftstelle wirft. Man kann die Schüler auch darauf aufmerksam machen, daß es zuweilen hilfreich ist, dem Beispiel solcher Abschnitte zu folgen und auch an anderen Stellen in der Bibel, wo der Sinn es gestattet, den Ausdruck „der Herr“, oder eine ähnliche Bezeichnung für Gott, durch eines der sieben Synonyme für Gott (S. 465) zu ersetzen.
Zu wissen, wo der Wortlaut es gestattet, einen solchen Ausdruck durch einen anderen zu ersetzen, erfordert ein gewisses Maß an geistiger Erkenntnis auf seiten der Schüler. Diese Erkenntnis wird auch benötigt, wenn im Glossarium zwei verschiedene Auslegungen für denselben biblischen Ausdruck angegeben werden. Es mag sein, daß, wie zum Beispiel in der Definition von „Kirche“, eine Definition die absolute wissenschaftliche Bedeutung gibt, wohingegen die andere eine Auslegung gibt, die sich mehr auf den allgemeinen Gebrauch des Ausdrucks im menschlichen Leben bezieht.
Nicht alle Erklärungen in der Heiligen Schrift sind mit gleich großem geistigem Verständnis geschrieben worden. Den herrlichen Lichtblicken von der Wahrheit, die die Propheten der alten Zeit erhaschten, folgten zwischendurch wieder Zeitabschnitte, wo die geistige Wahrnehmung weniger klar war. Man könnte sagen, daß die Bibel auf vielen verschiedenen Stufen des Verständnisses geschrieben wurde. Es ist wichtig, daß die Schüler dies erkennen und dementsprechend unterscheiden lernen.
In der Schule und auf der Universität, durch Bücher, Zeitungen und in der Unterhaltung mit anderen, werden die jungen Leute mit Ansichten über die Bibel in Berührung kommen, die von gebildeten Männern und Frauen vertreten werden, die keine Christlichen Wissenschafter sind. Diese Ansichten gründen sich größtenteils auf die Entdeckungen von Archäologen, Historikern, Buchkritikern und anderen Gelehrten. Es wird daher gut sein, wenn die Schüler in der Sonntagsschule durch ihre Lehrer die Versicherung erhalten, daß die in der Bibel enthaltene geistige Wahrheit ein aufrichtiges Forschen nicht zu fürchten braucht.
Der Schüler sollte wissen, daß die Bibel aus einer Reihe von Büchern besteht, die zu verschiedenen Zeiten von Menschen verfaßt wurden, die einen verschiedenartigen Ausblick auf das Leben hatten und sich auf verschiedenen Stufen des geistigen Verständnisses befanden. Das Alte Testament, das einerseits solch eindrucksvolle Erklärungen der absoluten Wahrheit enthält wie die, die wir in den Psalmen und im Buche des Propheten Jesaja finden, enthält auch andere Teile, die von geringerem geistigen Wert sind, denn hier im Alten Testament wird ja die fortschreitende religiöse Erfahrung der Israeliten dargelegt.
Das Neue Testament entfaltet in dem Lichte der volleren Offenbarung, die mit Christus Jesus kam, die geistige Bedeutung der Erklärungen des Alten Testaments und läßt diese verständlicher werden, ebenso wie durch die Offenbarung der Christlichen Wissenschaft die Schriften des Neuen Testaments eine vollere und wissenschaftlichere Auslegung erhalten. Es ist das charakteristische Merkmal inspirierter Schriften, daß sie neben der unmittelbaren Botschaft, die auf die Zeit, in der der Verfasser lebt, anwendbar ist, Erklärungen enthalten, die bleibenden Wert und tiefere Bedeutungen besitzen, die sich immer mehr entfalten in dem Maße, wie das geistige Wahrnehmungsvermögen des Wahrheitssuchers zunimmt.
Man kann den Sonntagsschülern auch erklären, daß die Anordnung der Bücher sowohl im Alten wie im Neuen Testament nicht chronologisch ist und daß einige der Bücher zu einem viel späteren Zeitpunkt verfaßt wurden, als allgemein angenommen wurde, und daß man fast mit Sicherheit sagen kann, daß einige von ihnen nicht von den Menschen verfaßt wurden, deren Namen sie heute tragen. Heutzutage würde man es als unehrlich ansehen, ein Buch unter dem Namen eines Menschen herauszugeben, der nicht sein Verfasser war; doch in früheren Zeiten hatte man eine andere literarische Auffassung in solchen Angelegenheiten.
Obwohl diese Schlußfolgerungen uns zunächst befremden mögen, brauchen sie uns doch nicht zu beunruhigen. Für die geistige Bedeutung der Bibel — und somit ihre heilende und erlösende Wirksamkeit — ist es unwesentlich, ob den Menschen, die als die Verfasser der Bücher der Bibel gelten, nach dem heutigen Maßstab der Kritik die Autorschaft zugeschrieben werden kann oder nicht. Das Wichtigste an einer wissenschaftlichen Erklärung ist, ob sie wahr ist oder nicht — nicht wer sie abgegeben hat oder wann sie abgegeben wurde — und für einen Christlichen Wissenschafter liegt der Prüfstein der darin enthaltenen Wahrheit nicht in der kirchlichen Tradition, sondern ob sie heute noch in praktischer Weise demonstriert werden kann.
Es gibt noch einen anderen Punkt, über den die Schüler Aufklärung erhalten sollten. In „Wissenschaft und Gesundheit“ heißt es: „Die zentrale Tatsache der Bibel ist die Überlegenheit der geistigen Kraft über die physische“ (S. 131). Die Bibel ist voll von Berichten, wie Männer und Frauen in Zeiten der Gefahr und der Not Hilfe empfingen, wenn sie sich an Gott wandten; und sie enthält viele Verheißungen, daß alle, die sich in rechter Weise an Gott wenden, eine ähnliche Unterstützung empfangen werden. Durch ihre eigenen Erfahrungen lernen die Christlichen Wissenschafter verstehen, daß diese Verheißungen immer noch in Erfüllung gehen und daß „die zentrale Tatsache der Bibel“ heute ebenso wahr ist wie je zuvor. Daher finden sie es nicht verwunderlich, wenn sie lesen, daß in vergangenen Zeiten den Menschen, die das geistige Verständnis, das sie besaßen, anwandten, in einer Weise geholfen wurde, die nicht durch gewöhnliche physikalische Vorgänge zu erklären ist. Diese Zusammenhänge zeigen eine Fortdauer in dem Wirken des geistigen Gesetzes an — vom Altertum bis zur heutigen Zeit — und die Erkenntnis dieser Tatsache stärkt unser Vertrauen auf das göttliche Prinzip und verleiht eine ermutigende Gewißheit von der Fortdauer des Guten.
Auf welche Weise die Menschen, von denen in der Bibel berichtet wird, die göttliche Hilfe empfingen, ist nicht so bedeutungsvoll wie die Tatsache, daß ihnen diese Hilfe aus einer geistigen Quelle zuteil wurde, die sich in ihrem Sieg über physische Widerwärtigkeiten als überlegen erwies. Wie schon zuvor erwähnt, wird ein weiser Sonntagsschullehrer seinen Schülern immer wieder einprägen, daß „die einzige Auslegung der Heiligen Schrift, die von Wichtigkeit ist“, „die geistige“ ist und daß wir als Christliche Wissenschafter unser Interesse für die Bibel nicht in erster Linie ihrer Geschichte, ihrer literarischen Bedeutung oder ihrem Dogma zuwenden, sondern vielmehr der Bibel als dem Buch, das die heilenden Wahrheiten enthält, die immer noch auf die gegenwärtigen Bedürfnisse praktisch anwendbar sind.
„Die göttliche Wissenschaft, die in der Ursprache der Bibel gelehrt wurde, kam durch Inspiration, und es bedarf der Inspiration, um sie zu verstehen“ (ebd., S. 319). Es sollte den Schülern klargemacht werden, daß diese Inspiration nicht etwas Mysteriöses oder Anomales ist. Inspiriert zu sein bedeutet, vom Geist regiert zu werden und den Geist zum Ausdruck zu bringen. Geist ist nichts Geringeres als Gott, und von Gott regiert zu werden und Gott zum Ausdruck zu bringen ist für den Menschen etwas Natürliches und Normales. Inspiration ist daher das Geburtsrecht des wirklichen Menschen, und die Sonntagsschüler können dessen gewiß sein, daß sie in dem Verhältnis, wie sie der Leitung des göttlichen Prinzips aufrichtig folgen, jenes inspirierte Verständnis empfangen werden, das ihnen die Bibel zu einem Führer zum ewigen Leben macht.