Wer von uns hat nicht schon unter Unehrlichkeit gelitten, sei es durch unsere eigene oder die unseres Nächsten? Dieser Mangel an Ehrlichkeit ist sehr schwer mit der folgenden Erklärung in der Bibel in Einklang zu bringen (Pred. 7:29): „Ich habe gefunden, daß Gott den Menschen hat aufrichtig gemacht.“ Infolgedessen haben viele die Hypothese von einem gefallenen Menschen angenommen — eine Hypothese, die im zweiten und dritten Kapitel des ersten Buches Mose formuliert wurde, wo dem Leser eine materielle Auffassung von der Schöpfung dargeboten wird, die sich von der geistigen Darstellung im ersten Kapitel sehr unterscheidet.
Zuweilen suchen wir Zuflucht zur Unehrlichkeit, weil wir uns vor der Strafe fürchten. Ganz gleich wie die Entschuldigung auch lauten mag, ein Mangel an Ehrlichkeit zeigt einen Mangel an moralischem und geistigem Mut an. Die Sterblichen, die nicht Gottes unendliche Macht erkennen, sie von Armut, Schande, Mühsalen oder Verachtung zu befreien, mögen Zuflucht nehmen zu Ausflüchten, List, unehrlichen Ränken und Falschheiten; doch ein Irrtum wird den anderen nicht berichtigen und die Wahrheit allein kann uns frei machen.
Eine Christliche Wissenschafterin, die einige Besorgungen in der Stadt gemacht hatte, kam aus einem Hotel und stieg in ein Taxi, um schnell nach Hause zu kommen. Kaum hatte sie das Haus betreten, als sie bemerkte, daß ihre Brieftasche, die eine beträchtliche Geldsumme enthielt, verschwunden war. Anfangs war sie beunruhigt und rief erst den Hotelportier, dann das Taxi-Unternehmen an; aber in beiden Fällen lautete die Antwort: „Wir können Ihnen nicht helfen.“
Inzwischen war sie besorgter, als nach den Umständen nötig gewesen wäre. Plötzlich kam ihr dieser hilfreiche Gedanke, der sie wirklich aufwachen ließ: „Aber du benutztest ja nur rein menschliche Mittel, anstatt das Problem vom Standpunkt der Christlichen Wissenschaft aus zu behandeln.“
Sie ging sofort in ihre Wohnung hinauf, setzte sich hin und wandte sich im Gebet an Gott. Die Botschaft von der absoluten Ehrlichkeit oder Lauterkeit des Menschen, die sie empfing, war sehr einfach und nachdrücklich. Es kostete sie zwar sehr viel Mühe, daran festzuhalten, aber nach einer Weile fühlte sie sich beruhigt. In dem Augenblick klopfte es an der Tür, und eine Frau, die im selben Hause mit ihr wohnte, brachte ihr die verlorene Brieftasche — unversehrt. Ein Mann, den sie als einen Landstreicher beschrieb, hatte sie ihr übergeben und hatte ernstlich darauf bestanden, daß sie ihm versprechen sollte, die Brieftasche sofort der Eigentümerin auszuhändigen.
Die Tatsache, daß der Mensch der Gottesschöpfung Lauterkeit offenbart, wurde in diesem Falle trotz der gegenteiligen Argumente von Seiten der materiellen Sinne angenommen und aufrechterhalten. Die Wahrheit war wirksam, indem sie das zurückbrachte und wiedererstattete, was verloren schien; aber — was noch viel wichtiger war — sie brachte ein Gefühl der Freude und des Friedens mit sich, welches bewies, daß die Eigentümerin der Brieftasche den Saum des Christusgewandes berührt hatte. Dies wurde nicht durch ein wunscherfülltes Denken oder die Ausübung des menschlichen Willens ermöglicht, sondern weil die Christliche Wissenschaft die Wahrheiten der Bibel erklärt und ihr gezeigt hatte, wie sie dieselben anwenden konnte.
Welch ein Unterschied zwischen dem christusähnlichen Weg, den Irrtum mit der Wahrheit zu berichtigen, und dem winkelzügigen Pfad rein menschlicher Systeme! Die letzteren, die glauben, daß das Böse eine Wirklichkeit sei, rufen oft Pessimismus, eine bittere Art von Unerschütterlichkeit oder sogar Verzweiflung hervor.
Die Wissenschaft des Christentums oder Christliche Wissenschaft ist revolutionär; da sie rein geistig ist, steht sie dem von den materiellen Sinnen dargebotenen Augenschein entgegen. Diese Wissenschaft unterscheidet klar zwischen Geist und Materie und lehrt, daß die letztere unwirklich sei, weil sie nicht von Gott geschaffen wurde. Sie nimmt den Standpunkt ein, daß alles, was nicht in Gott seinen Ursprung hat, unwirklich ist und deshalb leistet sie der Sünde nachdrücklich Widerstand. Sie besteht auf der Vollkommenheit Gottes und Seines Universums — auf der Unantastbarkeit der göttlichen Wahrheit und ihrer Idee.
In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ schreibt Mary Baker Eddy (S. 405): „Die Christliche Wissenschaft gebietet dem Menschen, die Triebe zu meistern — Haß mit Freundlichkeit im Zaum zu halten, sinnenlust durch Keuschheit, Rache durch Menschenliebe zu besiegen und Unehrlichkeit mit Ehrlichkeit zu überwinden. Ersticke diese Irrtümer in ihren ersten Anfängen, wenn du nicht ein Heer von Verschwörern gegen Gesundheit, Glück und Erfolg unterhalten willst.“
Unsere Führerin sagt auch (ebd., S. 453): „Ehrlichkeit ist geistige Kraft. Unehrlichkeit ist menschliche Schwachheit, welche die göttliche Hilfe verwirkt. Du deckst die Sünde auf, nicht um dem körperlichen Menschen zu schaden, sondern um ihn zu segnen, und ein richtiger Beweggrund trägt seinen Lohn in sich.“
Diejenigen, die diese geistigen Tatsachen erfassen, sind verpflichtet, in ihrem Denken und in ihren Handlungen Wahrhaftigkeit zu bekunden. Die Atmosphäre, die von ihnen ausgeht, wird die menschliche Ehrlichkeit fördern; doch sie werden nicht in Schrecken versetzt, wenn unlautere Handlungen vorkommen, auch werden sie nicht zu Opfern solcher Handlungen werden.
Lehrer, Eltern und die in der Sozialarbeit Tätigen mögen wohl bemerkt haben, daß man eine falsche Neigung oder einen Charakterfehler nicht dadurch heilen kann, daß man ständig darauf herumhackt, dadurch daß man die, die diese Fehler zu bekunden scheinen, erbarmungslos zurechtweist oder solche Schwächen der Erblichkeit oder irgendeiner anderen physischen Ursache zuschreibt. Selbst wenn solche Methoden in guter Absicht angewandt werden, sind sie dazu angetan, die Heilung zu verzögern; denn sie machen eine Wirklichkeit aus dem Irrtum, den sie auslöschen wollen.
Die Christliche Wissenschaft dagegen entfernt nicht nur körperliche Beschwerden, sondern auch die Sünde durch das Verständnis solcher Tatsachen wie diese: Was dem Guten entgegengesetzt ist, ist nicht von Gott geschaffen worden; daher ist es in der höheren Bedeutung des Ausdrucks unwirklich. In der Wissenschaft ist alles, was wirklich ist, harmonisch, ewig, unzerstörbar. Die bemerkenswerten Heilungen, die von Christus Jesus vollbracht wurden — und die meistens augenblicklich waren — wären nicht möglich gewesen, wenn Sünde, Krankheit und Tod im Einklang mit Gottes Willen ständen.
Wie tröstend ist es doch, klar zu erkennen, daß die Übel, um deren Überwindung wir uns bemühen, keine Grundlage in der Wahrheit haben und niemals in unserem wahren Wesen oder dem unseres Nächsten eingeschlossen sind! Sie gehören dem sterblichen Traum an, dem falschen Sinn, der allein leidet und vergeht. Dadurch, daß wir uns standhaft an die Vollkommenheit Gottes und Seines Werkes halten, sind wir in der Lage, der Anweisung des Apostels Paulus zu gehorchen (Röm. 12:21): „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Auf diese Weise vermag sich der einzelne über die Annahmen der Unehrlichkeit und andere Irrtümer zu erheben und den vollkommenen Menschen zu erschauen, der von Gott zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffen wurde.
