Wenn wir mit einem körperlichen oder moralischen Problem oder mit irgendeinem anderen unharmonischen Zustand zu ringen haben, können wir Ermutigung finden in der Bitte des Psalmisten an Gott: „Siehe an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden“ (Ps. 25:18).
Die Christliche Wissenschaft bringt das heilende Wirken der göttlichen Vergebung ans Licht. Sie erklärt, daß die Sünde ein falscher Sinn des Seins ist, eine Annahme, daß die Materie anstelle des Gemüts die Quelle des Denkens und daß der Mensch materiell sei. In diesem falschen sündigen Bewußtsein treten körperliche Beschwerden und andere menschliche Disharmonien als Bestandteil der Illusion von Sünde auf.
Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft „Wissenschaft und Gesundheit“ gibt Mrs. Eddy die Glaubenssätze der Christlichen Wissenschaft, von denen der eine wie folgt lautet (S. 497): „Wir bekennen Gottes Vergebung der Sünde in der Zerstörung der Sünde und in dem geistigen Verständnis, welches das Böse als unwirklich austreibt. Aber die Annahme von Sünde wird so lange bestraft, wie die Annahme währt.“ Wenn der falsche Sinn aufgrund seiner Nichtsheit bloßgestellt wird, verschwinden beide, die Sünde und das von ihr verursachte Leiden.
Der falsche Sinn, der Sünde genannt wird, ist daher ein wichtiger Faktor bei Leiden aller Art. Aber die Sünde ist die unpersönliche, böse Suggestion des sterblichen Gemüts und nicht nur die persönliche Tätigkeit eines Sterblichen. Die Christliche Wissenschaft erlöst die Sterblichen von dem falschen Sinn der Sünde, indem sie seine Unwirklichkeit bloßstellt. Diese Wissenschaft erlöst alle, die sich an Gott, das göttliche Prinzip oder Gemüt, wenden, von dem Glauben, die Sünde habe Macht, den Menschen zu einem sterblichen Sünder zu machen, der zur Strafe für seine sündige Natur Leiden erdulden müsse. Auf Seite 23 von „Wissenschaft und Gesundheit“ schreibt Mrs. Eddy: „Die Versöhnung ist ein schweres Problem in der Theologie; aber seine wissenschaftliche Erklärung ist, daß Leiden ein Irrtum des sündigen Sinnes ist, den Wahrheit zerstört, und daß schließlich Sünde wie Leiden zu den Füßen der ewigen Liebe niederfallen werden.“
Das heilende Gebet des Christlichen Wissenschafters festigt im menschlichen Bewußtsein die Überzeugung von der göttlichen Wahrheit. Der Wissenschafter, der den Irrtum des Denkens erkennt, der die Sünde sowohl wie auch den sich aus ihr ergebenden unharmonischen Zustand in sich schließt, verneint mental alles, was neben dem einen Gemüt Anspruch auf Macht, Gegenwart, Substanz oder Intelligenz erhebt. Hierbei handelt es sich nicht um bloße abstrakte Verneinungen, sondern um greifbare Darstellungen der Wahrheit, die den sterblichen Irrtum zerstören.
Wenn es sich bei dem Anspruch um Schwäche handelt, verneint ihn der Wissenschafter mit dem klaren Bewußtsein der unendlichen Kraft des Prinzips. Wenn es sich um den Anspruch von Sinnlichkeit handelt, verneint er ihn mit dem Verständnis von der vollkommenen Reinheit der göttlichen Liebe. Wenn es sich um den Anspruch von persönlicher Beherrschung handelt, verneint er ihn mit der Überzeugung von der absoluten Einheit des Gemüts und der Vergegenwärtigung von der individuellen Identität des Menschen als der Widerspiegelung des unendlichen Einen.
Die Christliche Wissenschaft vergibt die Sünde, indem sie sie zerstört, wie Jesus es tat. Der Heiland stellte den Christus oder die Wahrheit dar. Sein Beispiel und die Offenbarung der Wissenschaft des Christus — oder der Christlichen Wissenschaft — befähigen uns heute, dieselbe Wahrheit darzustellen, die Sünde vergibt und Krankheit heilt. Wenn wir uns menschlichem Leiden gegenübergestellt sehen, können wir diese Wissenschaft nutzbar anwenden und den Betreffenden von der Vorstellung erlösen, er sei vom geistig Guten getrennt. Um dies tun zu können, ist es unerläßlich zu verstehen, daß derjenige, der sich der Sünde ergibt, auch die Folgen tragen muß, die damit verbunden sind. Und doch ist derjenige, der sich der Sünde ergibt, in Wirklichkeit nicht der Anstifter der Sünde; er ist ihr Opfer. Er kann Vergebung finden, wenn er seine Sünde bekennt und aufgibt, weil er in seinem wirklichen Sein nicht schuldig ist. Doch insoweit wie er den falschen Sinn als seine Daseinsauffassung akzeptiert, wird das Leiden anhalten, und zwar solange, bis er sich nicht mehr damit identifiziert.
Weil die Sünde das unpersönliche Böse ist, kann keine Person ihr Wesenheit verleihen. Man wird von ihr erlöst, wenn man aus ihrem mesmerischen Einfluß aufgeweckt wird. Das wirksame Gebet des Christlichen Wissenschafters klassifiziert die Sünde als einen falschen Anspruch im Hinblick auf Gott und den Menschen, ersetzt den Anspruch durch die Wahrheit und befreit das Opfer von der Sünde und ihren Folgen.
Um in der Heilarbeit erfolgreich zu sein, müssen wir wahrhaft barmherzig, liebevoll und vergebend sein. Wir müssen ein tiefes Verlangen haben, die von anderen bekundeten Irrtümer als unwirklich zu sehen und den Menschen zu vergeben, nicht indem wir die auftretenden Übel tolerieren, sondern indem wir sie mental zerstören. Es an echter Vergebung fehlen zu lassen bedeutet im Heilen durch die Christliche Wissenschaft zu versagen; wirksame Vergebung dagegen führt zum Erfolg. Jesus betonte dies, als er dem Gebet des Herrn die Ermahnung folgen ließ: „So ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben“ (Matth. 6:14, 15).
Jesus war das vollkommene Vorbild. Obwohl er zu Unrecht vor Gericht gestellt, verurteilt, ans Kreuz genagelt, verhöhnt, verspottet, gehaßt und verlassen wurde, betete er für seine Feinde. Er wußte, daß sie, obwohl sie die Anstifter des gegen ihn gerichteten Bösen zu sein schienen, eigentlich dessen Opfer waren. Diese Vergebung bewirkte nicht die Heilung der großen Menschenmengen, die ihn haßten — sie baten nicht um diese Heilung. Aber sie wies damals die selbstgerechte Überheblichkeit zurecht und tut es auch heute noch. Jesus vollendete seine Mission. Ebenso wird jeder von uns seine individuelle Mission erfüllen, und zwar in dem Maße, wie er Jesu Beispiel folgt.
In Mrs. Eddys Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1902 lesen wir (S. 18): „Jesu Natur ließ ihn die Ungerechtigkeit, die Undankbarkeit, den Verrat und die Grausamkeit, die ihm zuteil wurden, scharf empfinden. Doch sehet seine Liebe! Sobald er die Fesseln des Grabes gesprengt hatte, eilte er, seine treulosen Nachfolger zu trösten und ihre Befürchtungen zu entwaffnen.“
Schuldet uns jemand Gerechtigkeit, Dankbarkeit, Respekt, Anerkennung, Zusammenarbeit, Liebe, Unterstützung? Wenn ja, sollten wir dann nicht Jesu Beispiel folgen — niemals, nicht einmal in Gedanken, eine Begleichung dieser Schuld zu fordern, sondern zu vergessen und zu lieben?
In Wirklichkeit muß ein jeder seine Schuld Gott gegenüber begleichen, und zu zweifeln, daß Gott, die Wahrheit, die Begleichung der Schuld fordern wird, heißt bezweifeln, daß das göttliche Prinzip gerecht ist; und damit ladet man eine weitere Schuld auf sich. Die Bezahlung, die Gott verlangt, muß in der Währung der Liebe erfolgen, und die göttliche Liebe liefert das gesetzliche Zahlungsmittel, mit dem die Forderung erfüllt werden kann.
Wenn unser Denken der Bitte des Psalmisten gleicht: „Siehe an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden“, mögen wir wohl über unsere Treue zum Gebet des Herrn nachdenken und insbesondere über die Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern“ (Matth. 6:12). Durch den Gehorsam gegen diesen Teil des Gebets des Herrn wird unsere individuelle Beziehung zum göttlichen Gemüt aufgerichtet, denn unsere wahre Selbstheit spiegelt das Wesen der göttlichen Liebe wider, und Liebe zerstört das Böse und heilt Krankheit, indem sie deren Ursache beseitigt.