Geben ist eine Tätigkeit der Liebe. Die Liebe schenkt, erleuchtet, erweitert, stärkt, inspiriert und gibt immerwährend aus ihrer unerschöpflichen Schatzkammer des Guten. Begrenzung, Verlust und Zurückhalten liegen nicht in der Natur der Liebe; wenn Liebe gibt, so geschieht dies frei und uneingeschränkt.
Welche Beziehung hat der Mensch zu dieser Tätigkeit der Liebe? Mrs. Eddy gab eine Antwort auf diese Frage in ihrer Botschaft an die Christlichen Wissenschafter anläßlich der Einweihung des Erweiterungsbaues Der Mutterkirche, der selbst das Ergebnis eines von Liebe ausgelösten Gebens war. Sie sagte (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 5): „Gänzlich getrennt von diesem sterblichen Traum, dieser Illusion und Sinnestäuschung, kommt die Christliche Wissenschaft [Christian Science], um den Menschen als Gottes Ebenbild zu offenbaren, als Seine Idee, die mit Ihm zusammen besteht — wobei Gott alles gibt und der Mensch alles hat, was Gott gibt.“
Da Liebe ein Synonym für Gott ist, ist der Mensch als das Bild oder die Idee Gottes auch das Bild oder die Idee der Liebe, ausgestattet mit all der Tätigkeit, die von der Liebe ausgeht; er ist der Empfänger von allem, was Liebe ist und was sie gibt. Er spiegelt sein Verständnis von der Liebe wider und drückt es aus, indem er von den geistigen Ideen gibt, mit denen die Liebe sein Bewußtsein durchflutet; er gibt, weil die Überfülle der Liebe ihn hierzu veranlaßt.
Der Meister Christus Jesus gab uneingeschränkt, wie er von der Liebe getrieben wurde, und die Welt wurde dadurch für alle Zeiten unendlich bereichert. Sein Beispiel verlieh seinem Rat Nachdruck (Luk. 6:38): „Gebet, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überfließend Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man euch wieder messen.“
Jesus beschrieb damit nicht die Beweggründe für das Geben, sondern die unausbleiblichen Folgen, denn er hatte vorher gesagt (Vers 35): „Leihet, daß ihr nichts dafür hoffet.“ Der Antrieb zum wahren Geben muß völlig geistig sein, gänzlich frei von der menschlichen Neigung, sich Lohn und Gewinn zu wünschen oder sie zu erwarten, und nicht gehemmt durch die Furcht, man könne durch Geben Verlust erleiden.
Von der Liebe inspiriertes Geben kennt kein Aufgeben. Unreife und Materialität sind es, die uns glauben machen, geben sei aufgeben, oder die uns nur dann bereit sein lassen zu geben, wenn wir etwas dafür empfangen. Von der Liebe gelenktes Geben ist keine Tätigkeit des sterblichen Gemüts, und was geistig gegeben wird, wird immer mit anderen geteilt, niemals aufgegeben. Das einzige Aufgeben, das die Liebe fordert, ist in ihrem Gebot an das sterbliche Gemüt ausgedrückt, seine Hingabe an die Materie aufzugeben.
Studieren wir mit Hilfe der Konkordanzen die Werke unserer Führerin, so wird offenbar, daß Mrs. Eddy von Aufgeben nur in Verbindung mit Dingen spricht wie materiellen Annahmen, falschem Zeugnis, unvollkommenen Vorbildern, trügerischen Idealen und Irrtum. Liebe fordert nicht, daß auch nur das geringste wahrhaft Gute geopfert wird, obgleich einige böse Dinge den Anschein des Guten haben, bis wir das Wesen der Liebe verstehen. Es ist ein freudiger Fortschritt, solch eine Illusion zerstört zu haben und zu lernen, alles freudig aufzugeben, was dem Guten unähnlich ist.
Was wir geben und was am längsten in der Erinnerung haftet, ist immer etwas von unserer wahren geistigen Natur — unsere Freude, unser Interesse, unsere Aufmerksamkeit und Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer. Welch wertvolles Geschenk ist doch für jemanden, der sich in Not befindet, ein von Gemüt gelenktes, selbstloses Erbarmen.
Können wir nicht immer einem uns flüchtig bekannten oder einem geliebten Menschen jenes unschätzbare Zeichen der Liebe geben — im Zweifelsfall das Beste von ihm anzunehmen? Welch willkommene Gabe ist doch ein aufrichtiger Ausdruck der Anerkennung für Gefälligkeiten oder Leistungen eines Freundes! Könnte irgendein Geschenk, das einem Mitarbeiter gemacht wird, den Wert ersetzen, der darin liegt, daß man seine wohlüberlegten Ansichten achtet?
Wenn wir aufgrund unseres Gebens Mangel fürchten oder es als ein Opfer empfinden, dann ist unsere Gabe materiell geworden, und der geistige Beweggrund ist aufgegeben worden. Materielle Gaben sind für den Empfänger nur dann wirklich wertvoll, wenn es offensichtlich ist, daß sie die tieferen geistigen Gaben versinnbildlichen, die dem Geben zugrunde gelegen und es begleitet haben.
Als Mrs. Eddy sich für die ihr von der Kirche gemachten Geschenke bedankte, schrieb sie (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 123): „Für mich ist jedoch die Liebe das größere Wunder, daher muß ich auch weiterhin die Liebe noch höher schätzen als die Geschenke, die diese Liebe auszudrücken suchen. Der große Lohn der göttlichen Liebe, der die Herzen der Menschen zu Güte und Größe anspornt, wird diesen Spendern zuteil werden, und das ermutigt mich, euch auch fernerhin dringend zu ermahnen, das vollkommene Vorbild als das Ziel der Christlichen Wissenschaft [Christian Science] anzunehmen.“
Nirgends wird die Lektion des durch Liebe inspirierten Gebens klarer veranschaulicht als in der Erfüllung der Verpflichtung, die ein Kirchenmitglied seiner Kirche gegenüber hat. Der Kirche geben bedeutet viel mehr als eine wöchentliche Spende oder auf Heller und Pfennig den Zehnten des Einkommens, obwohl der Christliche Wissenschafter feststellt, daß es kein Opfer für ihn ist, wenn Liebe ihn zu dieser notwendigen finanziellen Unterstützung veranlaßt.
Er widmet ihr auch sein Interesse, seine Arbeitskraft und seine Zeit, wenn er sich an den Unternehmungen beteiligt, die für die Verbreitung der Wahrheit an seinem Ort notwendig sind. Er gibt, indem er betet, daß alle menschliche Tätigkeit unter Gottes Leitung und Herrschaft ausgeführt werden und deshalb beschützt und fruchtbringend sein möge. Er zeigt seine Liebe durch Höflichkeit, Rücksichtnahme und Anteilnahme gegenüber den anderen Mitgliedern und dem Fremdling, der in den Toren seiner Zweigkirche ist.
Er bringt am Mittwoch in den Zeugnisversammlungen und in täglichen Begegnungen Dankbarkeit zum Ausdruck, und in all seinem Geben hat er nichts geopfert. Er hat das gegeben, was sich durch Mitteilen vermehrt.
Die Verfasserin zählte einmal zu ihren größten Schätzen eine wunderschöne Erleuchtung der Wahrheit, die sie durch das Studium der Bibel und des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, „Wissenschaft und Gesundheit“ von Mary Baker Eddy, empfangen hatte. Diese Erleuchtung erschien ihr besonders wertvoll, weil sie sich zum erstenmal einer solchen Entfaltung bewußt geworden war. Dann war sie jedoch versucht zu glauben, daß dieser Gedanke, wenn sie ihn mit anderen teilte, nicht länger ganz ihr eigen wäre und sie seines Besitzes beraubt würde.
Eine Zeitlang handelte sie dieser Überlegung entsprechend. Eines Tages aber, als sie mit jemand sprach, der in großer Not war, wurde ihr bewußt, wie sie diese Wahrheit frei und freudig mit dem anderen teilte. Liebe hatte die Bande einer falschen persönlichen Auffassung von Besitz gelöst, und die Macht des Gedankens selbst hatte sie gezwungen, ihn auszudrücken. Die Empfängerin dieses Gedankens erklärte, daß die mit ihr geteilte Wahrheit gerade das war, was sie brauchte, und sie bereicherte dann jenen Gedanken, indem sie etwas dafür wiedergab und eine treffende Veranschaulichung aus ihrer eigenen Erfahrung darbot.
Die Verfasserin erkannte, daß ihr eigener Gedanke durch diese Veranschaulichung noch kostbarer für sie wurde, und daß ihr in dem Maße, wie sie gegeben hatte, wiedergegeben worden war. So teilte sie nunmehr mit anderen bereitwilliger die Gedanken, die sich ihr mit zunehmender Klarheit entfalteten, und immer wurden die Gedanken, obgleich sie die ihren blieben, bereichert und erweitert, wenn sie sie mit anderen teilte. Dadurch hat sie die Wahrheit der Worte unserer geliebten Führerin erlebt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 79): „Geben im Dienst unseres Schöpfers macht uns nicht arm, ebensowenig bereichert uns Zurückhalten.“