Das Verständnis, das die Christliche Wissenschaft [Christian Science] von Gott als der ewigen Ursache oder als Prinzip allen wahren Seins vermittelt, nimmt die vielleicht hartnäckigste Annahme von Begrenzung hinweg, die das sterbliche Dasein bedrängt: die Zeit. Mrs. Eddy erklärt in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 468): „Ewigkeit, nicht Zeit, drückt den Gedanken des Lebens aus, und Zeit ist kein Teil der Ewigkeit. Das eine hört in dem Verhältnis auf, wie das andere erkannt wird.“
Ein Blick auf die Ewigkeit, die keine Vergangenheit und keine Zukunft einschließt, sondern das ewige Jetzt umfängt, hat sich in meiner Erfahrung oft als zweckdienlich erwiesen. Wenn das sterbliche Gemüt behauptete, daß ich zu wenig oder gar keine Zeit für eine notwendige Tätigkeit hätte, habe ich mit Bedacht innegehalten, um die geistige Seite der Situation zu betrachten. Wenn ich erkannt hatte, daß die an mich gestellten Forderungen recht und gerecht waren, mußte ich mir vergegenwärtigen, daß die Forderungen nicht an einen begrenzten Sterblichen gestellt waren, der über so und so viele Minuten in so und so vielen Stunden in so und so vielen Tagen, Wochen, Monaten oder selbst Jahren verfügt.
Wenn es zum Beispiel schien, als benötigte ich mehr Zeit für Haushaltspflichten, habe ich Erleichterung von diesem Druck in der ruhigen, klaren Erkenntnis gefunden, daß das Heim tatsächlich das Bollwerk der Liebe ist und daß die Harmonie des Menschen in der Wissenschaft immerdar ununterbrochen ist. Was immer wir brauchen ist nicht „mehr Zeit“, sondern die Vergegenwärtigung einer ewigen Wahrheit.
Manchmal, wenn eine Tätigkeit nicht sofort als durchaus notwendig klassifiziert und doch nicht umgangen werden konnte, mußte ich überlegen, welche geistigen Eigenschaften die Tätigkeit erforderte. Dann habe ich erkannt, daß diese Eigenscahften fortwährend im Menschen ausgedrückt und daß sie niemals von der sterblichen Annahme eines Zeitablaufs berührt werden, denn alles, was geistig ist, ist ewig.
Einmal hatte ich es freiwillig übernommen, einen Gegenstand anzufertigen und ihn innerhalb einer bestimmten Frist der Betreffenden zu übersenden. Doch das Gerät, mit dem er angefertigt werden sollte, funktionierte nicht. Da die Freundin, der ich das Versprechen gegeben hatte, den Gegenstand nicht dringend brauchte, schien es mir vernünftig, sie wissen zu lassen, was für einen Verdruß ich gehabt hatte, und ihr die Arbeit für einen späteren Zeitpunkt zu versprechen. Dann vergegenwärtigte ich mir, daß, ohne Rücksicht auf meine scheinbar vernünftige Entschuldigung, die einzig in Betracht kommende Seite der Situation die geistige Seite war.
Ich erkannte, daß meine Zuverlässigkeit genauso unberührt und unanfechtbar ist, wie jede andere von Gott hergeleitete Eigenschaft meiner geistigen Selbstheit, und daß jede Eigenschaft des Menschen ewig ist, nicht in der Zeit, sondern in der Ewigkeit ausgedrückt. Mit diesem Gedanken wurde ich mir darüber klar, daß mein Beweggrund rein war und ich mein liebevolles Vorhaben im Auge behalten mußte. Obgleich keine handwerkliche Reparatur vorgenommen wurde, wurde die Arbeit, die ich mir vorgesetzt hatte, mit demselben Gerät bewerkstelligt, das zuvor so schwierig zu bedienen war. Und der Gegenstand erreichte diejenige, der er versprochen worden war, zu der ursprünglich ausgemachten Zeit.
Manchmal überraschen wir uns oder andere dabei, wehklagend oder etwas bedrückt zu sagen: „Ich weiß, ich sollte dies oder jenes tun, und sicher würde ich es tun, wenn ich nur Zeit hätte.“ Eine derartige Behauptung erfolgt oft im Hinblick auf eine Tätigkeit in der Kirche, auf eine systematischere Vertiefung in die Lektionspredigten, wie sie im Viverteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft vorgezeichnet sind, auf ein regelmäßiges wissenschaftliches Gebet für die Welt, auf das Lesen der christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften oder darauf, für sie zu schreiben. Wir brauchen niemals „mehr Zeit“ für diese wesentlichen Tätigkeiten, sondern die rechte Perspektive, den entsprechenden Wert aller unserer Tätigkeiten zu bestimmen.
Die Christliche Wissenschaft [Christian Science] nennt alles, was sich unserem geistigen Wachstum widersetzen möchte, „tierischen Magnetismus“. Sie zeigt uns, daß es tierischer Magnetismus ist, der uns veranlassen möchte, der geistigen Tätigkeit die gleichen Begrenzungen von Zeit und Raum aufzuerlegen, die wir der materiellen Tätigkeit auferlegen. Wir müssen erkennen, daß alle wünschenswerten Vorhaben ihre Quelle im unsterblichen Gemüt haben, und da sie somit gotteingegeben sind, sie alles mit sich bringen, was zu ihrer Ausführung nötig ist.
Unsere Führerin sagte, als sie von Christus Jesus sprach (Wissenschaft und Gesundheit, S. 44): „Seine dreitägige Arbeit im Grabe drückte der Zeit das Siegel der Ewigkeit auf.“ Vertrauensvoll können wir erwarten, daß alle Fesseln gesprengt werden, die uns die Annahme aufgezwungen hat, daß der Mensch sterblich sei, Anfang und Ende und bestenfalls eine kurze Lebensspanne habe. Aber wir können uns nicht auf den bloßen Ausspruch dieser Wahrheit vom Leben stützen, wie sehr wir auch davon überzeugt sein mögen. Mrs. Eddy hat uns einen praktischen Rat gegeben, der — wenn er befolgt wird — uns befähigt, seine Wirksamkeit in einem volleren, reicheren und nützlicheren Leben zu beweisen.
Mrs. Eddy sagt in ihrer Botschaft an Die Mutterkirche von 1900 (S. 2): „Der genau Beobachtende berichtet von drei Typen der menschlichen Natur — dem recht Denkenden und Arbeitenden, dem Faulen und dem zwischen beiden Stehenden.“ Wenn wir uns häufig an die Rat gebenden Worte unserer Führerin wenden, wird uns dies zur Erfüllung unseres Wunsches verhelfen, in die Klasse der recht Denkenden und Arbeitenden eingereiht zu werden.
Eine Christliche Wissenschafterin hatte einmal eine Erfahrung, an die sie gern zurückdenkt; sie brachte ihr eine sehr fruchtbare Entfaltung, als sie über den Vers der Offenbarung nachdachte, in dem die Worte vorkommen (10:6) „... daß hinfort keine Zeit mehr sein soll.“ Sie wurde darauf aufmerksam gemacht, daß sie nach einer Pause von 20 Jahren zum College zurückkehren solle, um ihr nicht abgeschlossenes Studium zu beenden. Dieser Schritt vorwärts wäre nicht nur sehr wünschenswert, er würde auch ihre Nützlichkeit für die Sache der Christlichen Wissenschaft [Christian Science] erhöhen, denn er würde sie befähigen, an der Gestaltung einer christlich-wissenschaftlichen Hochschulvereinigung teilzunehmen.
Sie hatte sich wegen der unüberwindlich scheinenden Hindernisse, die ihr im Weg standen, davor gescheut, den Schritt zu tun. Es wäre ein Geldaufwand damit verbunden gewesen, der beträchtlich über dem lag, was ihr — so weit sie sehen konnte — zur Verfügung stand, und dieser Schritt würde eine Menge Zeit verschlingen, gut über ein Jahr und möglicherweise zwei oder drei Jahre.
Nach sechs Jahren des Aufschubs wurde die Wissenschafterin von einem Gefühl der Hemmung und Selbstverurteilung überwältigt. Schließlich nahm sie, als sie die wöchentliche Lektionspredigt studierte, zu einer modernen englischen Übersetzung der Verse 5 und 6 im zehnten Kapitel der Offenbarung Zuflucht. Sie lautet: „Dann hob der Engel, den ich auf dem Meer und auf der Erde stehen sah, seine Hand auf gen Himmel und schwur bei Ihm, der von Ewigkeit lebt, der den Himmel geschaffen hat und was darin ist, die Erde und war darin ist und das Meer und was darin ist:, Es soll hinfort keinen Verzug mehr geben.‘ “
Die Worte: „Es soll keinen Verzug mehr geben“, eine moderne Wiedergabe des griechischen Originals „Es soll hinfort keine Zeit mehr sein“, ragten für die Wissenschafterin hervor, als wenn sie eine besondere, unmittelbar an sie gerichtete Botschaft wären. In diesem Geist nahm sie sie an.
Ehe der Tag vorüber war, hatte sie begonnen, die Mittel und Wege zu untersuchen, um gehorsam sein zu können, und ein jedes der scheinbar unüberwindlichen Hindernisse schwand dahin wie substanzloser Nebel. Derjenige, der sie ursprünglich auf die Notwendigkeit dieser Entfaltung aufmerksam gemacht hatte, sagte seinerzeit als Antwort auf die vielen Ausflüchte, die die Wissenschafterin der Ausführung des Planes entgegengestellt hatte: „Sie ziehen eine Kreidelinie um sich herum und weigern sich, über sie hinwegzusteigen.“ Die Wissenschafterin erkannte, daß die Linie für sie tatsächlich nicht bindender gewesen war als Kreide und daß sie sie nicht einmal auszulöschen brauchte; sie mußte nur über sie hinweg in die Freiheit steigen. Der Schritt hätte sechs Jahre zuvor ebensoleicht getan werden können.
Die Zeit, während der sie diesen Schritt vorwärts getan hatte, war die fruchtbarste und inspirierendste in der Erfahrung der Wissenschafterin bis zu diesem Augenblick, und sie hat sie während der folgenden Jahre weiterhin inspiriert und gesegnet. Und seitdem konnte sie mit wachsender Bereitschaft die Aufforderung annehmen: „Es soll keinen Verzug mehr geben.“
