Von frühester Jugend an quälte mich ernstlich die Frage von Leben und Tod. Der Erste Weltkrieg und die Revolution in dem Lande, wo ich als junges Mädchen lebte, machten diese Frage nur noch dringlicher. Mrs. Eddys Erklärung: „Das sterbliche Dasein ist ein Rätsel“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 70;, kennzeichnete treffend meinen Gedankenzustand, und mich verlangte dringend danach, dieses Rätsel um jeden Preis zu lösen, andernfalls wäre das Leben kaum lebenswert für mich gewesen.
Die Prophezeiung des Paulus: „Gleichwie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden“ 1. Kor. 15:22;, bot mir die Antwort auf meine Frage. Diese Antwort aber hatte in ihrer theologischen Ausdrucksweise damals wenig Bedeutung für mich. Wer war dieser Adam, der unvermeidlich sterben mußte, und wer war dieser Christus, in dem ich lebendig gemacht würde?
Die Christliche Wissenschaft, die ich etliche Jahre später fand, beantwortete diese brennenden Fragen vollständig, indem sie den Unterschied zwischen körperlicher, materieller Persönlichkeit und geistiger Individualität herausstellte und ihn erklärte. Obwohl die Wörterbücher diese zwei Ausdrücke — Persönlichkeit und Individualität — oft als sinnverwandt hinstellen, erklärt Mrs. Eddy kategorisch: „Die Persönlichkeit ist nicht die Individualität des Menschen“, und sie fügt hinzu: „Ein schlechter Mensch mag eine anziehende Persönlichkeit haben.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 491;
Das Wort „Persönlichkeit“ stammt von dem lateinischen Wort persona und war die Bezeichnung für die von einem Schauspieler getragene Maske. Der Schauspieler konnte seine Maske wechseln, je nach der Art des Spiels, in dem er mitwirkte — Tragödie oder Komödie —, aber seine wahre Identität blieb unverändert.
Diese Tatsachen werfen Licht auf den Begriff „Persönlichkeit“. Mrs. Eddy erklärt: „Die materielle Persönlichkeit ist nicht Realismus; sie ist nicht die Widerspiegelung oder das Gleichnis des Geistes, des vollkommenen Gottes.“ S. 337;
Was ist dann wahre Identität oder geistige Individualität? Das Wort „Individualität“ wird vom lateinischen individuus hergeleitet, das „unteilbar“ bedeutet. Deshalb besagt Individualität etwas, was einzigartig in sich selbst oder von etwas oder jemandem untrennbar ist.
Als Jesus erklärte: „Ich und der Vater sind eins“ Joh. 10:30;, bekundete er seine Individualität als den Christus, seine wahre geistige Natur, untrennbar von Gott, seinem Urquell. Der Christus war für die menschlichen Sinne unsichtbar, aber dennoch mächtig im Leben und in der Tätigkeit des körperlichen Jesus.
In einer anderen Feststellung: „Ehe denn Abraham ward, bin ich“ 8:58;, erklärte Jesus sogar noch deutlicher, daß im Gegensatz zu seiner menschlichen Körperlichkeit, welche er als „Fleisch und Bein“ Luk. 24:39; definierte, die Ewigkeit des Christus seine wahre Selbstheit, seine geistige Individualität ist.
Unsere Individualität, unsere wahre Selbstheit, unsere einzige Identität — den von Gott zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen, der geistig, vollkommen und daher unsterblich ist — finden wir also in unserer Untrennbarkeit von dem Vater allen Seins.
Doch wie demonstrieren wir diese Individualität, wie bringen wir sie in unserem täglichen Leben ans Licht, und was tun wir, damit sie von den Menschen besser erkannt werden kann? Wie durchdringen wir die Maske materieller Persönlichkeit, und wie gelangen wir zu dem Bewußtsein der ewigen Gegenwart unserer unsterblichen Individualität? Der einzige Weg, auf den die Bibel hinweist, ist das Streben nach Geistigkeit, das durch ein Abweisen der Sterblichkeit mit ihren Leidenschaften bewirkt wird.
Alle christlichen Gemeinschaften predigen einstimmig, daß es nötig ist, dem schmalen Weg der Moral, der zur Vergeistigung führt, zu folgen, das heißt zur fortschreitenden Entfaltung des Christus im Bewußtsein. Aber Mrs. Eddy ging darüber hinaus, denn sie offenbarte die große Tatsache der Schöpfung, daß nämlich das geistige Universum — einschließlich des Menschen — das einzig wahre Universum ist, das den einen Gott als Schöpfer hat.
Wenn diese Offenbarung der Christlichen Wissenschaft vom menschlichen Denken angenommen wird, befreit sie uns von einer großen Last und verkürzt den schmalen Weg christlicher Disziplin. Wir beginnen einzusehen, daß alle Entstellungen der körperlichen Persönlichkeit, die wir zu sehen, zu hören und zu fühlen scheinen, nur die entstellten Bilder des materiellen Sinnes sind. Wenn die Maske erst einmal entfernt ist, erblicken wir durch geistiges Sehen das wahre Universum und den wahren Menschen, und den Trugbildern der persönlichen Sinne glauben wir nicht mehr.
Wenn wir uns dem Christus, der Wahrheit, zuwenden, vertreiben wir den Nebel, der „von der Erde“ 1. Mose 2:6. aufstieg und der sich anmaßte, ein materielles Gesetz hervorzubringen. Die Christliche Wissenschaft kehrt dieses sogenannte Gesetz um und ersetzt es durch das geistige Gesetz, das einzige Gesetz, das den Menschen in Wirklichkeit regiert.
Der erste Schimmer, den ich vom Unterschied zwischen der körperlichen Persönlichkeit und der geistigen Individualität erhaschte, brachte mir unschätzbar viel Gutes. Das Verlangen nach Alkohol, in dem ich meine Trübsal zu ertränken gedachte, verschwand bald, einzig und allein durch das Lesen von Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy. Meine zweite Demonstration von der Macht der Christlichen Wissenschaft war die Heilung von einem krankhaften Verlangen, Selbstmord zu begehen, ein Verlangen, das ich mehrmals in die Tat umzusetzen suchte; eine Qual, die meinen Mann und jeden in meiner Umgebung zehn Jahre lang unglücklich machte. Auch diese Heilung ergab sich dadurch, daß ich das Lehrbuch immer wieder mit unverminderter Aufmerksamkeit las.
Diese Beweise brachten mir so viel Freude, daß ich mich entschloß, alles Tierisch-Sinnliche in meinem Bewußtsein auf dem Altar der Wahrheit niederzulegen. Die erste große Prüfung in diesem erlösenden Vorgang war mein Ringen mit der Angewohnheit des Tabakgenusses. Der Kampf war lang und mühsam, und der Adamsnebel löste sich nur langsam auf. Aber wie groß war meine Freude, als ich meine Freiheit errungen hatte und ein klarer Himmel erschien!
Diese drei Demonstrationen, die das Ergebnis meines Studiums und dessen Anwendung waren, werden mir immer ein Licht auf dem schmalen Weg vom Sinn zur Seele bleiben — dem Weg beständiger Ablehnung der materiellen Persönlichkeit und der Demonstration der geistigen Individualität.
