Die Christliche Wissenschaft offenbart Gott als das vollkommene, unendliche Gemüt und den Menschen als das vollkommene Ebenbild oder die vollkommene Widerspiegelung dieses Gemüts. Aber wie die meisten von uns den Menschen sehen, scheint er sowohl materiell wie geistig zu sein und Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, gute Beweggründe und schlechte Beweggründe, Liebe und Haß usw. in sich zu vereinen. Mary Baker Eddy erklärt diesen menschlichen Dualismus in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift auf Seite 466. Die unsterblichen, unbegrenzten, intelligenten Eigenschaften im menschlichen Bewußtsein sind wahr, aber die sterblichen, begrenzten und unintelligenten Eigenschaften sind falsch. Und sie sagt: „Ferner, Wahrheit ist wirklich, und Irrtum ist unwirklich. Diese letzte Behauptung enthält den Punkt, den du äußerst widerwillig zugeben wirst, obgleich er von Anfang bis zu Ende der wichtigste ist, den es zu verstehen gilt.“
Wenn wir diesen Punkt zu verstehen beginnen, können die Zustände, denen wir im täglichen Leben begegnen, als scheinbar kombinierte Darstellungen des göttlichen Gemüts, das Wahrheit ist, und des sterblichen Gemüts, das Irrtum ist, angesehen werden. Ein Problem gibt uns Gelegenheit, die Wirklichkeit der geistigen Wahrheit und die Unwirklichkeit des sterblichen Irrtums besser zu verstehen. Die sterblichen, begrenzten, unintelligenten Elemente einer jeden Situation sind tatsächlich unwirklich. Wenn ihre Unwirklichkeit ans Licht kommt, verschwinden sie. Wir sagen, eine Heilung ist erfolgt. Und der Betreffende ist dem uneingeschränkten Verständnis vom vollkommenen Gemüt und vollkommenen Menschen einen Schritt näher gekommen.
„Die wissenschaftliche Erklärung des Seins,” die diesen „wichtigsten“ Punkt näher ausführt und die vollständige Lösung für das Problem des menschlichen Dualismus bereithält, steht auf Seit 468 des Lehrbuchs der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit. Sie beginnt mit den Worten: „Es ist kein Leben, keine Wahrheit, keine Intelligenz und keine Substanz in der Materie. Alles ist unendliches Gemüt und seine unendliche Offenbarwerdung, denn Gott ist Alles-in-allem.“ Wenn ein bloßes Hersagen dieser Erklärung uns befähigen könnte, den Irrtum von uns zu trennen, brauchten wir sie nur auswendig zu lernen und zu gegebener Gelegenheit herzusagen, und wir hätten eine Heilung. Wir müssen jedoch einer sittlichen Forderung entsprechen, wenn wir die Erklärung verstehen und uns ihre Macht nutzbar machen wollen.
In ihrer Antwort auf die Frage: „Welche Forderungen stellt die Wissenschaft der Seele?“ verweist Mrs. Eddy auf das Erste Gebot „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ 2. Mose 20:3; und auf das Geheiß „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Matth. 19:19; Ihre Erklärung dieser grundlegenden Forderungen schließt folgendes ein: „Die Wissenschaft enthüllt, daß Geist, Seele, nicht im Körper und daß Gott nicht im Menschen ist, sondern vom Menschen widergespiegelt wird“ und „Ein Hauptpunkt in der Wissenschaft der Seele ist der, daß das Prinzip nicht in seiner Idee ist.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 467.
Unser Zögern, in einem menschlichen Problem die Wirklichkeit der Wahrheit und die Unwirklichkeit des Irrtums zu sehen, ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß wir nicht die Wichtigkeit dieses „Hauptpunktes“ erkennen. Von der Annahme verleitet, daß das Leben aus der Materie hervorgegangen ist und daß die Menschen, nachdem sie erst einmal auf der Erde erschienen waren, sich selbst hervorbrachten, mögen wir denken, das menschliche Wesen könne durch die Theorie Befreiung finden, daß sittliche Maßstäbe von Menschen aufgestellt worden seien, weil die Menschen sie haben wollten, und daß es daher ihr Recht sei, sich neue zu schaffen, wenn sie neue Maßstäbe haben wollen. Diese Theorie leugnet die Selbst-Existenz Gottes oder des Prinzips. Sie besteht darauf, daß nur das, was die Menschen von sich aus tun, ihr Führer zu rechtem Verhalten ist.
Aber das menschliche Wesen kann nur dadurch befreit werden, daß man es von dem Glauben frei macht, Leben, Wahrheit, Intelligenz und Substanz seien in der Materie. Und diese Freiheit wird dadurch erlangt, daß Gottes Selbst-Existenz anerkannt wird und daß man sowohl sich selbst wie seinen Nächsten als Ideen erkennt, die den einen Gott, das eine Gemüt, das göttliche Prinzip, Liebe, widerspiegeln. Durch Gehorsam gegen das Sittengesetz — einschließlich des Gesetzes, das eheliche, jedoch nicht außereheliche geschlechtliche Beziehungen zuläßt — wird die Wahrheit über Gott und den Menschen, Prinzip und seine Idee, anerkannt, Durch diesen Gehorsam zeigen wir auch, daß wir die Unwirklichkeit des Irrtums verstehen, sowohl wir selbst wie auch unser Nächster könnten anderen Zuständen unterworfen sein als denen, die im göttlichen Prinzip herrschen.
Die Forderung, Gott und unseren Nächsten zu lieben, schließt mehr ein als Lippendienst. Wie sittenstreng sind wir in Wirklichkeit? Verteidigen wir eine menschliche Verhaltensweise, weil wir nicht möchten, daß sich etwas ändert, oder arbeiten wir energisch daran, in unserem ganzen Verhalten die Liebe zur Menschheit zu veranschaulichen, die Christus Jesus lebte und lehrte? Inwieweit machen wir uns Gedanken über die Gettos — die Art, wie ihr Vorhandensein das Gesetz, unseren Nächsten zu lieben, verletzt? Befassen wir uns wirklich mit der moralischen Seit der Wehrpflicht? Betrachten wir lässig gewisse Geschäftspraktiken, die das Gesetz verletzen, das zum Schutz des Eigentums anderer erlassen ist? Unterstützen wir die Ehegesetze und übersehen dabei die Misere derer, die das Gefühl haben, durch diese Gesetze an eine für ihr Dafürhalten unzweckmäßige, ja unmenschliche Situation gebunden zu sein?
Wenn die Gebote, nur einen Gott zu haben und unseren Nächsten zu lieben, wie wir uns selbst lieben, zueinander in Beziehung stehen, wie Jesus durchblicken ließ, dann ist es unmoralisch, die Christliche Wissenschaft zu lehren und nicht die Notwendigkeit zu betonen, die Bedürfnisse und die Gesichtspunkte der Männer, Frauen und Kinder am Ort und in der heutigen Welt zu verstehen. Es ist unmoralisch, Mitglied einer Kirche Christi, Wissenschafter, zu sein und nicht eifrig nach neuen Wegen zu suchen, um in der Gemeinde diejenigen zu finden und zu speisen, die nach der Wahrheit hungern. Es ist unmoralisch, sich der Christlichen Wissenschaft zu bedienen, um für sich selbst eine angenehme menschliche Lage zu schaffen, und die Bedürfnisse der übrigen Menschheit zu übersehen.
Wenn wir den moralischen Forderungen entsprechen, läßt unser Zögern nach, die Wahrheit dessen, was wahr ist, und die Nichtsheit dessen, was falsch ist, zuzugeben. Dann können wir „die wissenschaftliche Erklärung des Seins“ als die machtvolle Lösung für die menschlichen Probleme erkennen, die sie wirklich ist, und sie als die Lösung für unsere eigenen Probleme und für die der übrigen Menschheit benutzen.