Nach dem Passahfest in Jerusalem und dem kurzen, aber ereignisreichen Aufenthalt in Samarien ging Jesus offenbar direkt nach Galiläa, wo er einige seiner bemerkenswertesten Werke vollbringen sollte. „Da er nun nach Galiläa kam, nahmen ihn die Galiläer auf, die gesehen hatten alles, was er zu Jerusalem auf dem Fest getan hatte; denn sie waren auch zum Fest gekommen“ (Joh. 4:45).
Johannes berichtet (Vers 46): „Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser hatte zu Wein gemacht.“ Dort traf er den Mann, der in des Königs Dienst stand und dessen Sohn krank zu Kapernaum lag. Da er Jesu Zusicherung: „Dein Sohn lebt!“ akzeptierte, bestand er die Prüfung seines Glaubens. Auf seinem Rückweg war er anscheinend nicht von Angst getrieben, denn erst am nächsten Tag begegneten ihm seine Knechte auf der Straße, und sie bestätigten die Worte des Meisters. Johannes schließt den Bericht mit den Worten (Vers 54): „Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa nach Galiläa kam.“
Wie Matthäus berichtet, wiederholte Jesus, als er in Galiläa zu predigen begann, den aufrüttelnden Mahnruf, für den Johannes der Täufer weithin bekannt geworden war: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (4:17). Während er sein Wirken fortsetzte, verbreitete sich die Nachricht von seinen Taten weit und breit.
Lukas gibt folgenden Bericht über den Empfang in Nazareth: „Und er kam nach Nazareth, wo er erzogen war, und ging in die Synagoge nach seiner Gewohnheit am Sabbattage und stand auf und wollte lesen“ (4:16).
Man reichte ihm das Buch (strenggenommen eine Schriftrolle) des Propheten Jesaja. Die Stelle, die er las (61:1, 2), mag er selbst gewählt haben, da einige Autoritäten vermuten, daß nur beim Lesen des Gesetzes eine bestimmte Ordnung vorgeschrieben war. Er las die Worte des Propheten: „Der Geist des Herrn ist bei mir, darum weil er mich gesalbt hat...“, und er identifizierte sich mit der befreienden, heilenden Aufgabe jenes Auserwählten: „Heute ist dies Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren“ (Luk. 4:18, 21).
Seine Zuhörer, die ihn als „Josephs Sohn“ (Vers 22) kannten, schienen zuerst bereit zu sein, ihm aufrichtiges, aufmerksames Interesse entgegenzubringen, doch als Jesus sie darauf hinwies, daß die Propheten ihre großen Heilungen nicht unter ihren eigenen Landsleuten vollbrachten, wurden sie zornig und versuchten ihn vom Rande des Berges hinabzustürzen. „Aber er ging mitten durch sie hinweg. Und er kam nach Kapernaum, einer Stadt Galiläas, und lehrte sie am Sabbat“ (Vers 30, 31).
Markus (1:23–28) und Lukas (4:33–37) berichten, wie er am Sabbat in der Synagoge zu Kapernaum einen Mann heilte, der geistesgestört oder, wie sie es beschreiben, „von einem unsaubern Geist“ besessen war. Diese Heilung ist nur eine von vielen, auf die in den Evangelien Bezug genommen wird. Die Gelehrten nehmen an, daß die in den Evangelien beschriebenen Heilungen als Beispiele für die unzähligen Fälle dienen sollen, die von der Menschenmenge vor ihn gebracht wurden.
Mit charakteristischer Lebendigkeit beschreibt Markus diese frühe Heilung in des Meisters Laufbahn und deren hervorragende Wirkung: „Sie entsetzten sich alle, so daß sie untereinander sich befragten und sprachen: Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht! Er gebietet auch den unsaubern Geistern, und sie gehorchen ihm!“ (1:27.) Bei dieser wie auch bei anderen Gelegenheiten gaben die Zeugen ihrer Verwunderung Ausdruck, wenn sie in allen Richtungen ihren Häusern und Städten zustrebten, denn „die Kunde von ihm erscholl alsbald umher im ganzen galiläischen Land“ (Vers 28).
Die Synagoge in Kapernaum, wo sich diese Heilung ereignete, war wohl die, die der freundliche Hauptmann seinen Nachbarn, den Juden, für deren Gottesdienste erbaut hatte (s. Luk. 7:5), und Jairus war vielleicht der „Oberste“ dieser Synagoge (s. Mark. 5:22; Luk. 8:41).
Als der Meister aus der Synagoge kam, ging er zum Haus der Brüder Simon Petrus und Andreas. Jakobus und Johannes, die auch Fischer waren, begleiteten ihn. Dort erfuhr er, daß Simons Schwiegermutter krank war, und er ging unverzüglich zu ihr. Markus berichtet (1:31): „Er trat zu ihr und faßte sie bei der Hand und richtete sie auf“, und das Fieber verging; und Lukas sagt (4:39): „Er neigte sich zu ihr und gebot dem Fieber, und es verließ sie.“ Beide betonen die Tatsache, daß sie sofort wieder gesund war, denn sie stand auf und „diente ihnen“ (s. auch Matth. 8:15).
An jenem Abend, als die Sonne untergegangen war, wurden alle Kranken und die, die von „bösen Geistern“ geplagt waren, zu Jesus gebracht. Vor allem Markus scheint zu betonen, daß Jesus viele verschiedene Krankheiten heilte und daß er sie augenblicklich heilte, und er fügt hinzu (l:33): „Und die ganze Stadt versammelte sich vor der Tür.“
Der Meister stand vor Tagesanbruch auf und machte sich unbemerkt davon, da er offenbar allein sein und mit Gott Gemeinschaft haben wollte. Als seine Jünger ihn schließlich fanden, sagten sie ihm, daß alle ihn suchten. Und er gab ihnen zur Antwort: „Laßt uns anderswohin in die nächsten Städte gehen, daß ich daselbst auch predige; denn dazu bin ich gekommen“ (Mark. 1:38) — und er predigte weiterhin in den Synagogen Galiläas.
Als nächstes erzählt Markus von der Heilung eines Aussätzigen, den Jesus aufforderte, das mosaische Gesetz zu befolgen und sich den Priestern zu zeigen und zum Zeugnis seiner Heilung das entsprechende Opfer darzubringen (s. 3. Mose, Kap. 14). Doch der Mann mißachtete die andere Anweisung des Meisters, niemandem etwas von seiner Heilung zu sagen. Markus berichtet (l:45): „Da er hinauskam, hob er an und sagte viel davon und machte die Geschichte kund, so daß Jesus hinfort nicht mehr konnte öffentlich in eine Stadt gehen; sondern er war draußen an einsamen Orten, und sie kamen zu ihm von allen Enden.“
Wie Lukas es berichtet, waren nun unter der versammelten Menge auch Pharisäer und Schriftgelehrte aus allen Orten in Galiläa, Judäa und sogar von Jerusalem (s. 5:7). Matthäus spricht schon vorher einmal in seinem Bericht davon, daß die Kunde von Jesus durch ganz Syrienland erscholl und Menschen aus den Zehn Städten (einem Bund griechischsprachiger Stadtstaaten, die zum größten Teil heidnisch waren) und von jenseits des Jordan zu ihm kamen (s. 4:24, 25); und Markus nennt in einem späteren Kapitel auch Idumäa (das alte Edom) und die Hafenstädte Tyrus und Sidon (s. 3:8).
Es wird vermutet, daß Jesus im Haus des Petrus in Kapernaum predigte, als er den Gichtbrüchigen heilte — den Mann, der wegen der großen Menschenmenge vor der Tür durch das Dach zu Jesu Füßen herabgelassen wurde. (S. Mark. 2:1–12; Matth. 9:1–8; Luk. 5:17–26.) Die meisterhafte Antwort des Nazareners auf die Beschuldigung, er lästere Gott — er erkannte, daß sie solches in ihren Herzen dachten —, und die Heilung der ernsten Krankheit muß sowohl Bestürzung als auch Ehrfurcht hervorgerufen haben. Lukas berichtet, daß die Leute die Bemerkung machten (5:26): „Wir haben heute seltsame Dinge gesehen.“
Levi, der Sohn des Alphäus, besser bekannt unter dem Namen Matthäus, ein Steuer- und Zolleinnehmer, hat vielleicht oft Jesus gesehen, wenn dieser sich in Kapernaum aufhielt, denn auf die schlichte Aufforderung: „Folge mir nach!“ stand Matthäus auf „und folgte ihm nach“ (Mark. 2:14).
Daß Jesus im Hause des Matthäus zusammen mit „Zöllnern und Sündern“ aß (Vers 16) — Lukas betrachtet es als ein Festmahl, das Matthäus zu Ehren seines neuen Meisters gab —, löste weitere Kritik seitens der Schriftgelehrten und Pharisäer aus. Doch es wird geschildert, daß, wie bei anderen Gelegenheiten, ihre feindselige Kritik Jesus zu einigen seiner bemerkenswertesten Worte veranlaßte. (S. Matth. 9:10–13; Mark. 2:15–17; Luk. 5:29–39.)