Die Frage Jesu an den Kranken am Teich von Bethesda: „Willst du gesund werden?“ Joh. 5:6; könnte in uns leicht ein Erstaunen wecken, denn dieses Mannes ganzes Bemühen war doch offensichtlich darauf gerichtet, gesund zu werden. Zu diesem Zweck befand er sich tagein, tagaus am Teich, der demjenigen Heilung verhieß, der sich zuerst hineinbegab, wenn das Wasser sich bewegte.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob die Frage Jesu wirklich so überraschend ist und überflüssig war, wie es zunächst den Anschein hat. Erlebt man nicht manchamal, daß einem Kranken in seiner Not die Christliche Wissenschaft angeboten wird und er diese Hilfe ausschlägt? Seine Lebensauffassung mag sich auf eine materielle Grundlage stützen, und obwohl ihm materielle Mittel keine Heilung gebracht haben und womöglich auch keine Heilung mehr versprechen, wagt er es nicht, diese materielle Lebensgrundlage zu verlassen und sich auf unbekannten Boden zu begeben.
Oder er glaubt vielleicht als religiös gesinnter Mensch, seinen Gott zu verlieren, wenn er dies tut. Er will lieber in den Armen seines gegenwärtigen, wenn auch vergeblichen Glaubens sterben. Sein Wunsch, gesund zu werden, ist offensichtlich nicht groß genug, um ihn zu veranlassen, seine gegenwärtige Lebensgrundlage und seinen Glauben an die Materie aufzugeben, wenn sie in dem neuen Licht als mangelhaft erfunden werden.
Die Frage: „Willst du gesund werden?“ ist tatsächlich von großer Bedeutung, und zwar nicht nur für den, der die Christliche Wissenschaft bis dahin nicht kannte, sondern auch für den Christlichen Wissenschafter selbst, der sich einem körperlichen Problem gegenübersieht. Will er ernstlich genug gesund werden, um zu prüfen, ob seine gegenwärtige innere Lebensgrundlage mit den Lehren der Christlichen Wissenschaft genau übereinstimmt? Ist sein Glaube an Gott — als den unendlichen und daher alleinigen Schöpfer, der allenthalben Seine Vollkommenheit und Güte zum Ausdruck bringt — groß genug, daß er nicht die geringste Unvollkommenheit als wirklich anerkennt?
Für manche Menschen scheint es leichter zu sein, eine Krankheit zu ertragen, als beharrlich deren Wirklichkeit zu verneinen und die Allgegenwart der göttlichen Vollkommenheit zu behaupten. Sie meinen, letzteres zu tun ginge über ihr gegenwärtiges Vermögen. Sie sind nicht von der Notwendigkeit überzeugt, ihre Einstellung zu einer geistigen Lebensgrundlage zu überprüfen.
Wenn sie es jedoch tun, stellen sie fest, daß sie immer noch mehr die Vorstellung von einem materiellen Dasein aufgeben müssen, um die Christliche Wissenschaft mit Erfolg auf ein Problem anwenden zu können. Dies ist gewiß nicht leicht; es erfordert große Beständigkeit und Liebe zur Sache der Christlichen Wissenschaft.
Warum Liebe zur Sache? Der Christliche Wissenschafter hat sich in den Dienst der Verminderung des Bösen gestellt! Wo anders kann er beginnen als bei sich selbst? Er sollte sich nie mit einer halben Lösung zufriedengeben. Er kann natürlich nichts mit menschlichem Willen erzwingen, aber er kann es sich nicht leisten, in seinem ehrlichen Streben nach Vollkommenheit nachzulassen.
Der Trost, den wir aus der Erklärung schöpfen, daß es sich bei einer Krankheit um eine falsche Annahme handelt, bringt uns nicht weit. Mrs. Eddy hat folgendes hierzu zu sagen: „Krankheit als einen falschen Anspruch anzusehen vermindert die Furcht vor ihr; doch dies zerstört nicht die sogenannte Tatsache des Anspruchs. Um gesund zu sein, müssen wir gegen jeden Anspruch des Irrtums unempfindlich sein.“ Die Einheit des Guten, S. 54;
Diese Unempfindlichkeit wird nicht dadurch erreicht, daß man verhältnismäßig guter Dinge ist — daß man nur dann zuversichtlich ist, wenn der Ausblick verheißungsvoll ist. Mrs. Eddy sagt an anderer Stelle: „Der Mensch ist harmonisch, wenn er von Seele regiert wird. Daher die Wichtigkeit, die Wahrheit des Seins zu verstehen, die die Gesetze des geistigen Daseins enthüllt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 273;
Die Gesetze des geistigen Daseins sind Gesetze Gottes. Sie sichern einen vollkommenen, harmonischen Ablauf in allen Phasen unserer Widerspiegelung des Lebens, das Gott ist. In der Allgegenwart Gottes hat der Mensch kein von Gott getrenntes Dasein, denn der Mensch besteht als der Ausdruck, die Offenbarung, des göttlichen Seins. Tatsachen wie diese beständig im Bewußtsein festzuhalten ist für den Christlichen Wissenschafter nicht etwas, was über sein Vermögen geht. Ein solcher Anspruch ist ebenso ungültig wie der Anspruch von Krankheit selbst und kann ebenso kräftig verneint werden. Wir tun dies, indem wir die Wahrheit für uns beanspruchen, daß Gott nicht nur Leben, sondern auch Gemüt ist.
Für den Christlichen Wissenschafter schließt das Verlangen, gesund zu sein, mehr ein als den verständlichen Wunsch, von Schmerzen und Behinderung frei zu sein. Nicht einmal das Sehnen, der Menschheit die Wahrheit der Christlichen Wissenschaft zu veranschaulichen, reicht aus, um dieses Verlangen wirksam zu machen, denn wir erkennen damit immer noch das unvollkommene, materielle Bild, das sich der Menschheit bietet, als wirklich an.
Nur wenn es uns allein darum geht, Gott als allmächtigen Geist anzuerkennen, sind wir in der Lage, das Böse als unwirklich abzutun. Nur wenn wir Gottes Allheit vorbehaltlos anerkennen und von uneingeschränkter Dankbarkeit für sie erfüllt sind, wird für uns der materielle Augenschein unwirklich. Dann können wir uns über ihn erheben und unsere Freiheit erleben, die eine immerwährende Eigenschaft unseres Seins als Gottes Offenbarwerdung ist.
Solch eine Demonstration segnet nicht nur den, der auf diese Weise geheilt wird, sondern hat Folgen, die von vornherein gar nicht zu ermessen sind. Sie zeigt seinen Mitmenschen, welche Möglichkeiten bestehen. Sie werden ermutigt, den ersten Schritt in einer neuen Richtung zu tun, und sie werden eher bereit sein, die Frage: „Willst du gesund werden?“ bejahend und voller Verständnis zu beantworten und die Bedingungen auf sich zu nehmen. Mrs. Eddy schreibt: „Nur langsam erkennt die Welt den Fortschritt des einzelnen; wenn sie sich aber zu dem Denken erhebt, das ihn bewirkt hat, ist sie willens, geheilt zu werden, und streitet nicht länger mit dem einzelnen.“ Christliches Heilen, S. 8.
Wir können uns auf der Grundlage unseres bewiesenen Verständnisses von der unverletzbaren Wirklichkeit des Seins mit der Autorität Christi Jesu unserem leidenden Nächsten zuwenden. Dann wird er, wie der Mann am Teich von Bethesda, seine innere Abhängigkeit von der Materie fallenlassen und „gesund werden“.