Nicht das menschliche Gemüt, sondern das göttliche Gemüt ist in der christlich-wissenschaftlichen Behandlung am Werk. Solch eine Behandlung ist Gebet und schaltet alles aus dem menschlichen Bewußtsein aus, was den Ausblick auf die Gegenwart und Tätigkeit des göttlichen Gemüts versperrt. Doch sie tut dies allein durch die Kraft des göttlichen Gemüts. Wenn die Behandlung christlich-wissenschaftlich ist, wird sich der Patient bis zu einem gewissen Grade bewußt, daß Gott, Gemüt, Alles ist und alles harmonisch regiert.
Es besteht ein klarer Unterschied zwischen der christlich-wissenschaftlichen Behandlung und den Methoden des mentalen Heilens durch die Tätigkeit des menschlichen Gemüts. Ein Verständnis dieses Unterschieds könnte für den Erfolg oder Mißerfolg in einem gegebenen Fall entscheidend sein. Daß es manchmal schwer ist, diesen Unterschied zu machen, liegt daran, daß die menschlich psychologischen Methoden oft eine Art positiven Denkens fördern, das scheinbar der Christlichen Wissenschaft sehr ähnelt. Und wenn auch das Ergebnis solchen Denkens mitunter eindrucksvoll sein mag, so ist es doch nur ein vorübergehender Erfolg.
Bei den Methoden des menschlichen Gemüts wird der Patient vielleicht aufgefordert, in Gedanken an dem Ergebnis festzuhalten, das er durch seine Gebete zu erzielen erhofft. Er wird angewiesen, sich einen gesunden materiellen Zustand anstatt eines krankhaften Zustandes vorzustellen, einen Sterblichen als liebevoll oder ehrlich anstatt als lieblos oder unehrlich zu sehen, sich als einen Erfolgsmenschen zu betrachten, der seine Rechnungen bezahlt hat und seine Wünsche erfüllt sieht, anstatt als einen Versager, der in Schulden steckt oder unbefriedigt ist. Wenn der Heiler versucht, sein mentales Wirken durch Tatsachen der Christlichen Wissenschaft zu stützen wie die Allheit, Güte, Macht und Liebe Gottes, des Geistes, und die Nichtsheit des Gegenteils des Geistes, der Materie, so scheint dies an die Christliche Wissenschaft zu erinnern.
Wird der Patient aufgefordert, im Lichte dieser Wahrheiten eine Heilung zu erwarten, dann reduziert sich der Unterschied auf eine Frage des Beweggrunds. Gutes zu erwarten kann geistig wissenschaftlich oder menschlich psychologisch sein, je nachdem ob die Erwartung aus einem Erwachen zu der Allheit und Güte des Geistes geboren ist oder auf dem menschlichen Wunsch nach Wohlbefinden in der Materie beruht.
Was die christlich-wissenschaftliche Behandlung tut, ist dasselbe, was Christus Jesus tat, als er die Kranken heilte, die Menge speiste, das Meer stillte und die Toten auferweckte. Er verstand seine eigene Beziehung zu seinem Vater, Gott. In allen Dingen erkannte er die Macht Gottes an. Er wußte, daß die Krankheitssymptome, die Anzeichen von Mangel, das Wüten eines Sturmes, der Augenschein des Todes Lügen waren, die die Macht und Güte Gottes leugneten. Und er widerlegte solche Reden mit der Autorität eines Menschen, der Gott versteht. Er sagte: „Mein Vater wirket bis auf diesen Tag, und ich wirke auch.“ Joh. 5:17;
Es gab Zeiten, wo Jesus etwas von dem menschlichen Gemüt forderte. Einigen seiner Heilungen schickte er solche Worte voraus wie: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ Mark. 5:36;, „Glaubt ihr, daß ich euch solches tun kann?“ Matth. 9:28; oder „Stehe auf, nimm dein Bett und gehe hin!“ Joh. 5:8; Doch diese Forderungen richteten das Denken nicht auf den gegenwärtigen oder den erhofften materiellen Zustand, sondern auf die geistige Macht, die er verkörperte.
Ebenso kann die christlich-wissenschaftliche Behandlung von Forderungen an das Gemüt des Patienten begleitet sein, nämlich für Gottes Güte dankbar zu sein, die Eigenschaften Gottes zum Ausdruck zu bringen, deren er sich jetzt bewußt ist, das Böse zu leugnen und die Wirklichkeit des Guten zu bejahen. Solche Forderungen beschleunigen den Heilungsvorgang, wenn sie den Patienten dazu führen, weniger an ein sterbliches Selbst und mehr an das göttliche Gemüt und seine vollkommene Idee zu denken. Sie stellen ein Hindernis dar, wenn sie die Hoffnung nähren, daß die Tätigkeit des menschlichen Gemüts Ergebnisse erzielen wird.
Das göttliche Gemüt oder Prinzip drückt sich immer im vollkommenen Menschen aus. Der Mensch ist die Idee des Gemüts. Er spiegelt die Eigenschaften des Gemüts wider. Er ist vollkommen, unversehrt, gesund, harmonisch, weise, liebevoll, rein, gut — doch immer geistig, niemals materiell. Die christlich-wissenschaftliche Behandlung erkennt diese Wahrheit an. Der Ausüber ist sich seiner eigenen Beziehung zum Gemüt bewußt, gibt seinen menschlichen Begriff von dem ihm vorliegenden Fall auf und ersetzt ihn durch die Wirklichkeit, der sich das Gemüt bewußt ist; er erkennt die Macht des Gemüts über alles, was behauptet, seiner vollkommenen Kundwerdung zu widerstehen, und widerlegt mit der Autorität eines ihm von Gott verliehenen Verständnisses die Lügen von Krankheit, Sünde, Mangel, Sorge, Enttäuschung und Tod.
Aber der Ausüber der Wissenschaft, die Jesus lehrte, macht nicht seine Behandlung zu einem Götzen. Seine grundsätzliche Arbeit bei der Behandlung besteht darin, die Wahrheit von Gott und dem Menschen, dem Prinzip und seiner Idee, zu verherrlichen. Ob er nun den Fall Schritt für Schritt durch Argumentieren behandelt oder den Irrtum dadurch beseitigt, daß er spontan die Wahrheit erkennt, seine Behandlungsweise in einem gegebenen Fall ist richtig, wenn er durch die Behandlung die Methode aus den Augen verliert und sich nur dessen bewußt wird, was Gott ist und was Er tut.
Wenn jemand lernen möchte, eine Behandlung im Sinne der Christlichen Wissenschaft zu geben, wird er durch das Studium der Bibel und der Schriften Mary Baker Eddys den Weg finden. Die Tätigkeitsbereiche der von ihr gegründeten Kirche — die Zeitschriften, die Gottesdienste, die Kirchenmitgliedschaft, der Klassenunterricht und vieles mehr — werden ihm auf seinem Wege helfen. Wenn er bereit ist, Behandlungen zu geben, wird sich die Gelegenheit bieten, denn wenn man Gott zu dienen sucht, stellt sich gleichzeitig auch die Fähigkeit und die Gelegenheit ein.
Eines der falschen Elemente in der irrigen menschlichen Vorstellung von der christlich-wissenschaftlichen Behandlung ist der Zeitbegriff. Wenn Zeit nicht als eine falsche Annahme erkannt wird, mag jemand, der eine Behandlung zu geben versucht, glauben, die Wirkung hänge davon ab, wie lange oder wie oft eine Behandlung gegeben wird. Doch die christlich-wissenschaftliche Behandlung kann nicht in Begriffen von „wie lange“ oder „wie oft“ gemessen werden. Was heilt, ist das ewige Gemüt und die Dauer der Behandlung hängt davon ab, wann das menschliche Gemüt dem ewigen Gemüt Raum gibt. Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, drückt es im Lehrbuch Wissenschaft und Gesundheit folgendermaßen aus: „Vergegenwärtige dir die Anwesenheit der Gesundheit und die Tatsache des harmonischen Seins, bis der Körper dem normalen Zustand von Gesundheit und Harmonie entspricht.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 412; Gesundheit und ein harmonisches Sein werden im Lehrbuch nicht als menschliche oder materielle Zustände dargestellt, sondern als geistige Eigenschaften des göttlichen Prinzips, das der Mensch widerspiegelt.
Die von einigen Psychologen vertretene Theorie, daß das menschliche Gemüt durch ein einziges, integrales, vollständiges Erlebnis neue Vorstellungen gewinne, hört sich für jemanden logisch und machtvoll an, der glaubt, daß die Tätigkeit des menschlichen Gemüts heile. Was in der Christlichen Wissenschaft heilt, ist jedoch nicht ein Erlebnis des menschlichen Gemüts; die Heilung wird dadurch bewirkt, daß wir die unveränderlichen Wahrheiten über das göttliche Gemüt erkennen und ihnen bewußt Raum geben.
Sollte einer Bitte um Hilfe durch Gebet in der Christlichen Wissenschaft durch eine einzige Behandlung entsprochen werden, durch eine vollständige Erfahrung, in der alles, was getan werden muß, getan wird? Die Behandlung ist immer bestimmt, methodisch und endgültig, doch Mrs. Eddy bedient sich in ihren Schriften des Wortes Behandlung nur im Sinne eines Gattungsnamens — Behandlung —, nicht in dem zersplitterten Sinn von einer einzigen Behandlung oder Behandlungen.
Eine Verherrlichung der Rolle des menschlichen Gemüts hat menschliche Meinungsverschiedenheiten darüber zur Folge, was eine Behandlung ausmacht. Ordnungsgemäße Schritte in der Behandlung eines Falles durch Argumente sind wichtig, doch Gottes Segen ruht auf Seiner eigenen wahren geistigen Idee, dem Christus, der immer vollkommen ist. Die Behandlung, ganz gleich in welcher Form, ist erfolgreich, wenn sie das menschliche Bewußtsein dazu bewegt, seine materiellen falschen Vorstellungen aufzugeben und sie durch die geistige Idee zu ersetzen. Der Ausüber der Christlichen Wissenschaft sucht im Lichte des Christus das Denken des Patienten zu erkennen und intuitiv zu wissen, welchen Irrtum er leugnen und welche Schritte er unternehmen muß, um ihn zu widerlegen. Zugleich erfaßt er die geistigen Wahrheiten, die anzuwenden sind, und er wendet sie an, bis die Heilung eintritt.
Wenn der Ausüber einen Fall annimmt, besteht seine Aufgabe nicht nur darin, eine Behandlung zu geben, sondern zu heilen. Wenn er den Fall annimmt, tut er dies mit dem Verständnis, daß das göttliche Gemüt das einzige Gemüt ist und daß die Macht, die er über die Ansprüche des Bösen ausübt, die Macht Gottes, des Guten, ist. Die Ethik verlangt deshalb, daß mit dem Patienten eine klare Vereinbarung dahingehend besteht, daß der Ausüber die Behandlung des Falles fortsetzen wird, bis die Heilung eintritt oder der Ausüber oder der Patient die Beziehung abbricht. Der Patient wird mit dem Ausüber in angemessenem Kontakt bleiben, und der Ausüber wird ihm in angemessener Weise zur Verfügung stehen, solange beide mit der Fortsetzung der Behandlung einverstanden sind.
Um die christlich-wissenschaftliche Behandlung zu verstehen, muß man das Lehrbuch von Mary Baker Eddy studieren. In dem Kapitel über die Betätigung der Christlichen Wissenschaft schreibt sie: „Fange deine Behandlung stets damit an, daß du die Furcht der Patienten beschwichtigst. Flöße ihnen stillschweigend die Gewißheit ein, daß sie von Krankheit und Gefahr frei sind. Beobachte das Ergebnis dieser einfachen Regel der Christlichen Wissenschaft, und du wirst gewahr werden, daß sie die Symptome jeder Krankheit mildert.“ ebd., S. 411;
Um zu verstehen, wie solch eine Gewißheit stillschweigend eingeflößt werden kann, ohne daß ein menschliches Gemüt versucht, stillschweigend die Ängste eines anderen zu beseitigen, ist ein gründliches Studium des gesamten Buches erforderlich. In Beantwortung der Frage: „Willst du Krankheit erklären und zeigen, wie sie geheilt werden kann?“ verweist Mrs. Eddy auf ihr Kapitel über die Betätigung der Christlichen Wissenschaft. Und sie sagt: „Eine erschöpfende Antwort auf obige Frage bedingt Lehren, das den Heiler befähigt, das Prinzip und die Regel der Christlichen Wissenschaft oder des metaphysischen Heilens zu demonstrieren und sich selbst zu beweisen.“ ebd., S. 493.
Behandlung in der Christlichen Wissenschaft geben ist nicht etwas, was man getrennt von den sich entfaltenden Begriffen erlernt, die seine geistige Wiedergeburt kennzeichnen — das Ersetzen des materiellen Sinnes durch den geistigen Sinn, des persönlichen Begriffs durch einen göttlichen Begriff von Liebe, des endlichen Sinnes durch eine unendliche geistige Schau, des sterblichen Sinnes durch die unsterbliche Identität. Und nur wenn man den geistigen Begriff von sich selbst und seiner Beziehung zu Gott gewinnt, ist man in der Lage, in einem gegebenen Fall zu erkennen, was notwendig ist und welche Wahrheiten angewandt werden sollten.
Eine Zusammenfassung des Unterschieds zwischen dem, was die christlich-wissenschaftliche Behandlung ausmacht, und dem, was sie nicht ist, können wir in Mrs. Eddys Erläuterung auf Seite xi des Vorworts zu Wissenschaft und Gesundheit finden. Sie sagt: „Viele meinen, die Phänomene der physischen Heilung in der Christlichen Wissenschaft stellten nur eine Phase der Tätigkeit des menschlichen Gemüts dar, einer Tätigkeit, die auf irgendeine unerklärte Weise die Heilung von Krankheit zur Folge habe.“ Sie weist darauf hin, daß es andere Methoden sind — nicht die Christliche Wissenschaft —, die sich auf das menschliche Gemüt wegen Heilung verlassen. Dann fährt sie fort: „Das physische Heilen durch die Christliche Wissenschaft ist jetzt, wie zu Jesu Zeiten, das Ergebnis der Wirksamkeit des göttlichen Prinzips, vor dem Sünde und Krankheit ihre Wirklichkeit im menschlichen Bewußtsein verlieren und ebenso natürlich und unvermeidlich verschwinden, wie Dunkelheit dem Licht und Sünde der Umwandlung Raum gibt.“
Wenn wir lernen, zwischen diesen beiden Anschauungen klar zu unterscheiden — zwischen dem, was „viele meinen“, und der „Wirksamkeit des göttlichen Prinzips“ —, werden wir lernen, jenen Zustand geistigen Bewußtseins zu haben, von dem sich die angezogen fühlen, die ehrlichen Herzens Heilung in der Christlichen Wissenschaft suchen, und unsere Heilarbeit wird entsprechend wirkungsvoll sein.