Die Osterbotschaft spricht vom ewigen Leben. Sie spricht auch von lebendiger Liebe. Am Ostermorgen zollen die Christen in der ganzen Welt der siegreichen Auferstehung Christi Jesu aus dem Grabe ihren Tribut. Dieser große, irdische Triumph des Meisters illustriert die Ewigkeit des Lebens, Gottes, und die ununterbrochene Existenz des zu Seinem Ebenbild geschaffenen Menschen. Und sie weist auf Jesu große Liebe zu Gott und den Menschen hin; es war diese Liebe, die ihn dazu führte, die Erfahrung am Kreuz zu erdulden, und die ihn aus dem Grabe auferstehen ließ.
Dieser Liebe Jesu ist niemandes Liebe vor ihm oder nach ihm gleichgekommen. Er erklärte: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde“ Joh. 15:13;, und er bewies es allen Menschen. Wenn Jesus nur an sich selbst gedacht hätte, hätte er sich der Kreuzigung entziehen können. Aber seine Hingabe an das Gute, an Gott, und den Menschen gab ihm die Inspiration, den Versuch seiner Feinde, seinen menschlichen Begriff von Leben zu zerstören, zuzulassen. Auf diese Weise konnte er der Welt und denen, die sich um ihn geschart hatten, die absolute Unzerstörbarkeit des göttlichen Lebens offenbaren, das der Mensch als das vollkommene Ebenbild Gottes widerspiegelt.
Jesus hörte niemals auf zu lieben. Und er hörte niemals auf zu leben. Seine scheinbar leblose menschliche Gestalt wurde vom Kreuz abgenommen und in ein Grab gelegt. Aber er war sich des todlosen Lebens und der lebendigen Liebe geistig so sehr bewußt, daß er drei Tage später der Grabeshöhle entstieg. Er bewies, daß das Leben unsterblich und die Liebe allerhaben ist. Kein Stein, kein haßerfülltes Verhindernwollen, keine begrenzende Annahme von einer Existenz, die in der Materie verwurzelt ist, konnte ihn daran hindern, zu lieben und zu leben.
Jesu Tat veranschaulichte: lieben heißt leben. Wir leben nur dann wahrlich, wenn wir wirklich lieben. Mary Baker Eddy betont diesen Punkt in ihrem wunderschönen Gedicht „Liebe“:
Durch Deine Liebe leben wir,
da Liebe Leben ist.Vermischte Schriften, S. 388;
Die Heilige Schrift definiert Gott als Liebe (s. 1. Joh. 4:8). Die Liebe des Meisters zu Gott und den Menschen war ein voller Ausdruck dieser göttlichen Liebe. Solch eine Liebe ist niemals eine zuckersüße Vorspiegelung oder lüsterne Sinnlichkeit. Sie ist ein von Gott stammender Einfluß. Sie ist zeitlos, unveränderlich, unparteiisch, allumfassend, grenzenlos, ausdauernd. Jeder kann sie verstehen und zum Ausdruck bringen.
Jesu Lebensaufgabe war, allen Menschen das wirkliche Wesen Gottes als göttliche Liebe und den Menschen als die geistige, vollkommene Kundwerdung der Liebe zu offenbaren. Und es war sein Gedanke, daß alle, die ihm nachfolgten und sich an seine Lehren hielten, seine Werke in etwa nachtun würden. Er sagte sogar: „Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue.“ Joh. 14:12;
In der einzigartigen Beziehung zwischen de himmlischen Vater und dem Sohn sind Gott und der Mensch untrennbar, aber deutlich verschieden. In der göttlichen Ordnung von Gott und Mensch spiegelt das geringere alles wider, was in dem größeren vorhanden ist, aber es schließt das größere niemals ein. Gott und der Mensch sind qualitativ einer, jedoch quantitativ unterschiedlich. Daher verkörpert der wirkliche, geistige Mensch — die tatsächliche Wesenheit eines jeden von uns — solche widergespiegelten Eigenschaften der göttlichen Liebe wie Liebe, Beständigkeit, Unparteilichkeit, Reinheit, Verständnis.
Wenn wir erkennen, daß die Osterbotschaft eine Botschaft der Liebe ist, heißen wir diese uns von der Liebe verliehenen Eigenschaften willkommen und erleben ihre Segnungen. Die Liebe gibt dem Leben Energie und Freude sowie Fortschritt, Zielstrebigkeit, Befriedigung. Sollte jemand aufhören zu lieben, aufhören, die lebenspendenden Eigenschaften der göttlichen Liebe wahrzunehmen und weiterzugeben, würde im gleichen Verhältnis seine Zielstrebigkeit dahinwelken, er hätte nichts mehr zu geben, und seine Interessen würden absterben. Liebe ist die schöpferische Kraft des Lebens. Ohne sie wäre das Dasein kalt, leer, abstrakt. Es gibt nichts Vitaleres als den Lebensstrom der Liebe, der durch unser Sein fließt.
Ich pflegte zu glauben, die erste Forderung des Lebens wäre, am Leben zu bleiben. Das ist unter Menschen und Tieren nichts Ungewöhnliches und definiert wahrscheinlich die Losung des Dschungels: der Stärkste überlebt. Die Christliche Wissenschaft enthüllt, daß es unsere erste Pflicht ist, nicht aufzuhören zu lieben. Jesus betonte dies nachdrücklich in seiner großen Bergpredigt und bewies es am Kreuz und im Grab.
Auf die Frage „Welche Forderungen stellt die Wissenschaft der Seele?“ antwortet Mrs. Eddy in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Die erste Forderung dieser Wissenschaft ist: ‚Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.‘ Dieses mir ist Geist. Daher bedeutet dieses Gebot: Du sollst keine Intelligenz, kein Leben, keine Substanz, keine Wahrheit, keine Liebe haben außer der, die geistig ist. Und die andere Forderung ist ihr gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ “ Wissenschaft und Gesundheit, S. 467;
Als meine Frau und ich in Ländern reisten, deren Sprache wir nicht sprechen oder verstehen konnten, spürten wir die Liebe im Herzen der anderen und hofften, daß sie sie in unserem Herzen spürten. Zu solchen Zeiten hatten wir das starke Empfinden, daß wir uns gegenseitig verstanden, ohne daß ein verständlicher Laut hervorgebracht oder gehört wurde.
Das wichtigste Verständigungsmittel in der heutigen Welt ist nicht ein Erzeugnis der Elektronik. Es ist die Liebe. Der größte Schiedsrichter über die Schwierigkeiten der Menschen ist nicht eine Gruppe von Experten. Es ist die göttliche Liebe. Der größte Versorger für die Bedürfnisse der Menschen ist nicht eine menschliche Organisation. Es ist die Liebe. Die größte vereinigende Kraft inmitten der Zwistigkeiten der Welt sind nicht Massenkundgebungen, die Gesetzgebung oder rein gerichtliche Entscheidungen. Es ist die Liebe, verstanden und demonstriert. Der größte Friedensstifter unter den Menschen ist nicht Bewaffnung, ein Vertrag oder Reichtum. Es ist die Liebe. Ehe nicht die Menschheit allgemeiner die göttliche Liebe widerspiegelt, werden die Zustände der Sterblichkeit bestehenbleiben.
Die heutige Welt wie auch jeder einzelne in dieser Welt braucht die Liebe, die die Widerspiegelung der göttlichen Liebe ist. Henry Drummond schreibt in seinem Buch Das Größte in der Welt: „Es ist der Mann, der der Missionar ist, es sind nicht seine Worte. Seine Persönlichkeit ist seine Botschaft. Im Herzen Afrikas, zwischen den großen Seen, bin ich schwarzen Männern und Frauen begegnet, die sich an den einzigen weißen Mann erinnerten, den sie jemals vorher gesehen hatten — David Livingstone; und so oft Ihr seine Fußstapfen in jenem dunklen Erdteil kreuzt, leuchten die Gesichter der Menschen auf, wenn sie von dem gütigen Doktor sprechen, der Jahre vorher dort durchgezogen ist. — Sie konnten ihn nicht verstehen, aber sie fühlten die Liebe, die in seinem Herzen schlug.“ Das Größte in der Welt (Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses, 1951), S. 7;
Lassen Sie uns Jesu große Errungenschaft und Botschaft nicht auf nur einen Erinnerungstag im Jahr verweisen. An jedem Tag wird von uns die gleiche geistige Liebe verlangt wie an jenem Tag vor zweitausend Jahren, als der erste Christ die Macht der Liebe bewies. Die Macht, die Gegenwart, der Einfluß der göttlichen Liebe im menschlichen Bewußtsein ist heute nicht weniger wirkungsvoll. Der Hauptunterschied liegt darin, daß man so wenig darauf zurückgreift, daß so wenig davon Gebrauch gemacht wird. Aber der wahre Nachfolger des Meisters, der wirkliche Christliche Wissenschafter, bemüht sich, jeden Tag zu einem Osterfest zu machen, zu einem Tag, an dem er etwas mehr Materialität ablegt und etwas mehr Geistigkeit als am vorhergehenden Tag gewinnt.
Wir hätten eine wunderbare Welt, wenn den Tätigkeiten eines gewöhnlichen Tages überall in der Welt genausoviel Ehrerbietung entgegengebracht würde wie dem Friedefürsten am Ostersonntag. Die Osterbotschaft von ewigem Leben und immerwährender Liebe ist unparteiisch und allumfassend. Sie spricht von einem erhobenen menschlichen Leben. Das menschliche Bewußtsein muß erlöst und geläutert werden. Wer dieses Ziel ernsthaft verfolgt, wer lernt, daß das Wesen Gottes die göttliche Liebe und der Mensch das Ebenbild Gottes ist, für den wird „jeder Tag ein Ostern“ Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 171..