Vor Jahren hatte ich als Lehrerin der sechsten Klasse viele unvergeßliche Erlebnisse.
Seit ich Christliche Wissenschafterin bin, habe ich die Bedeutung einiger dieser Erlebnisse verstehen gelernt, die, als sie sich zutrugen, lediglich bereichernd, warm und menschlich waren.
Eins dieser Erlebnisse hatte ich mit einem Jungen namens Johnny, der vom Kindergarten an allen Lehrern ein Dorn im Auge gewesen war. Jedes Jahr hielten die Lehrer der nächsten Klasse den Atem an und hofften, daß Johnnys Name nicht auf ihrer Klassenliste stehen würde. Ich war ziemlich neu an jener Schule und wußte über Johnnys Betragen in der Vergangenheit weniger Bescheid. Aber sein Name stand nicht auf meiner Liste. Es war das Los einer neuen, unerfahrenen und aushilfsweise angestellten Lehrerin, Johnny zu übernehmen.
In den folgenden Wochen, ja Monaten, fiel mir auf, daß der sommersprossige, rothaarige Junge die meiste Zeit im Gang verbrachte. Da ich Kinder sehr gern habe und ich mich für ihr Wohl verantwortlich fühle, sprach ich mit dem Rektor, der mir etwas hilflos erklärte, daß es anscheinend keine Alternative gebe, da der Junge durch seine Possen die Klasse ständig in Aufruhr versetze.
Ehe mir bewußt wurde, was ich sagte, fragte ich: „Warum schicken Sie ihn nicht in meine Klasse?“ Die erstaunte Antwort war: „Wissen Sie, worauf Sie sich da einlassen?“ Ich versicherte ihm, daß ich keine Bedenken hätte.
Als ich meiner Klasse davon erzählte, reagierte sie zunächst mit Stöhnen, Brummen, Seufzen und Verwunderung. Ich sagte den Kindern, daß Johnny der gute Kamerad sein würde, den wir uns wünschten, vorausgesetzt, wir zeigten ihm durch unser Beispiel, was eine Klasse freier, fröhlicher Schüler im sechsten Schuljahr erreichen kann, wenn alle zusammenarbeiten. Sollte Johnny seinen Mutwillen an uns ausprobieren, würde es unsere Aufgabe sein, richtig zu reagieren. Die Kinder waren bereit.
Am nächsten Morgen, noch vor Schulbeginn, kam eine Mutter mit Tränen in den Augen in mein Klassenzimmer. Sie sagte: „Fräulein Kay, als Johnny mit der Nachricht von seinem Klassenwechsel nach Hause kam, sagte er: ‚Mutti, Fräulein Kay ist die erste Lehrerin, die mich jemals in ihrer Klasse haben wollte.‘ “
Johnny paßte sich der Klasse an, und die Klasse paßte sich — etwas stolz — unserem häßlichen Entlein an. Inzwischen bin ich mit der folgenden Erklärung Mrs. Eddys vertraut geworden: „Liebe zu Gott und dem Menschen ist der wahre Ansporn zum Heilen wie zum Lehren. Liebe inspiriert, erleuchtet, bestimmt und führt den Weg.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 454.
Wenn unsere Liebe zu anderen bis zu einem gewissen Grade die Liebe Gottes für Seine geistige Schöpfung widerspiegelt, vergeistigt sich unser Denken, so daß wir die Vollkommenheit des Menschen wahrnehmen, den Er zu Seinem Ebenbild geschaffen hat. Die Kraft dieser Liebe, Charakterschwächen zu heilen und Probleme der Disziplin zu lösen, ist Systemen wie Psychologie, Hypnose, Psychoanalyse und -therapie sowie allen anderen Formen menschlicher Behandlung bei weitem überlegen. Sie ist ein Ausdruck des Christus, der wahren Idee Gottes, der göttlichen Liebe, die Christus Jesus lebte und ausübte, indem er sowohl seelische wie physische Leiden heilte. Sie befähigt uns, die makellose Identität eines jeden Menschen als der Widerspiegelung Gottes deutlicher wahrzunehmen; sie bewirkt, daß der sterbliche, böse, selbstsüchtige Charakter des materiellen Menschen offensichtlicher als falsch erkannt wird und verschwindet.
Die Christliche Wissenschaft hat die Liebe nicht erfunden, und man braucht kein Christlicher Wissenschafter zu sein, um zu lieben. Aber wenn wir von dieser Wissenschaft des Christentums etwas begreifen, beginnen wir zu sehen, daß der Mensch von der göttlichen Liebe selbst geschaffen worden ist. Diese reine Vision von der Wirklichkeit heilt.
