Niemand wird bezweifeln, daß viele aus reiner Liebe zur Menschheit ihrem Nächsten Gutes tun. Sie geben reichlich und selbstlos von ihrer freien Zeit und ihren materiellen Gütern, um anderen zu helfen. Von ihrem Standpunkt aus gesehen, opfern sie sich selbst auf, wenn sie aus dieser Nächstenliebe heraus handeln. Die Aufforderung, auch an sich selbst zu denken, weisen sie als Egoismus zurück.
Wie sehen wir unseren Nächsten? Sehen wir ihn so, wie er sich selbst sieht? Beurteilen wir ihn nach dem, was wir sehen? Oder schließen wir uns dem Urteil anderer über ihn an? Bei solch einer Verschiedenheit der Standpunkte können völlig unterschiedliche Vorstellungen über ein und denselben Menschen ans Licht kommen.
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn (s. Luk. 15) zeigt Christus Jesus u. a., wohin unterschiedliche Anschauungen führen können. Der jüngere Sohn glaubt, so tief gesunken zu sein, daß er nichts Besseres verdiene, denn als einer der Tagelöhner seines Vaters zu arbeiten. Er hat, mit anderen Worten, seine Stellung als Sohn aufgegeben. Der ältere Sohn betrachtet ihn zwar als Bruder, aber zugleich auch als Übeltäter und Rivalen, der mit ihm um die Zuneigung des Vaters wetteifert. Die Prüfungen, die der jüngere Sohn durchstehen mußte, haben ihm den Blick für sein wahres Sein getrübt; den älteren hindert Selbstgerechtigkeit daran, das wahre Sein des Bruders zu sehen.
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