Als ich in einem Sommerlager arbeitete, war ich dafür verantwortlich, daß die Betreuer ihre Pflichten im Rahmen des Programms erfüllten. Meinem Arbeitgeber hatte ich zugesichert, ihn über alles zu informieren, was das Wohl des Lagers beeinträchtigen könnte. Dann bat mich ein Freund, ihm zu versprechen, daß ich das, was er mir erzählen wollte, für mich behalten würde. Ich gab ihm mein Wort. Allerdings betraf sein Bericht zwei Betreuer, die ihren Verpflichtungen nicht nachkamen und illegale Drogen zu sich nahmen.
Was sollte ich tun? Offensichtlich hatte ich zwei miteinander unvereinbare Versprechen gegeben: eines meinem Arbeitgeber, das andere meinem Freund. Konnte ich meinem Verpflichtungen als gewissenhafter Leiter und als wahrer Freund nachkommen? Würde ich nicht das Vertrauen des einen oder des anderen enttäuschen müssen?
Manchmal geraten wir trotz ehrlichen Bemühens in eine Situation, die allgemein als moralisches Dilemma bezeichnet wird; wir sind dann gezwungen, uns zwischen zwei gleichermaßen unbefriedigenden Dingen zu entscheiden. Und bei der Wahl müssen wir, wie es scheint, bestimmte moralische Wertvorstellungen aufgeben.
Die Christliche WissenschaftChristian Science (kr’istjən s’aiəns) enthüllt, daß nichts auf der Erde das unwandelbare Gesetz Gottes, des göttlichen Prinzips, außer Kraft setzen kann. Um jedoch unsere menschliche Erfahrung mit dem Gesetz Gottes in Übereinstimmung zu bringen, müssen wir uns zuerst darüber klar werden, daß der Christus die Macht hat, unser Bewußtsein für die universale, göttliche Harmonie, die immer gegenwärtig ist, zu wecken. Die Annahme, wir seien von Gott getrennte Sterbliche, möchte uns daran hindern, die ununterbrochene Harmonie unserer Existenz in Gott zu demonstrieren. In Wirklichkeit kann es kein moralisches Dilemma geben, weil es nur ein Gemüt gibt und in diesem Gemüt kein Wertsystem besteht, das vom göttlichen Prinzip, Liebe, getrennt ist oder ihm widerspricht. In Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift schreibt Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft: „Alles wirklich Bestehende ist das göttliche Gemüt und seine Idee, und in diesem Gemüt wird das ganze Sein als harmonisch und ewig erfunden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 151.
Was sollen wir nun tun, wenn wir scheinbar in einer Zwickmühle sitzen und uns entscheiden müssen? Zunächst einmal können wir wissen, daß es in der Wahrheit keine mißliche Lage gibt. Nur das sterbliche Gemüt läßt sich irritieren, und zwar von seiner eigenen Endlichkeit. Gott ist unendlich. Daher kann der Mensch als Gottes Idee nicht in die Falle gehen. Dem Anschein nach befinden sich die Menschen oft in Situationen, aus denen es nur wenige, engbegrenzte Auswege gibt. Aber in Gottes Allheit ist nur Sein Wille gegenwärtig. Jedes Problem, bei dem die einzig ersichtliche Lösung auf irgendeine Weise mit dem göttlichen Prinzip zu kollidieren scheint, ist lediglich ein Köder des sterblichen Gemüts, das uns davon abhalten möchte, die Tatsache des einen allharmonischen und leitenden Gemüts zu erkennen. In Wissenschaft und Gesundheit finden wir die folgende Erklärung: „Das allmächtige und unendliche Gemüt hat alles gemacht und schließt alles in sich. Dieses Gemüt macht keine Fehler und verbessert sie dann nachträglich.“ Ebd., S. 206.
Wenn wir uns vor zwei Alternativen gestellt sehen, die unseres Erachtens beide richtig sind, sich aber widersprechen, dann ist das ein Zeichen dafür, daß wir uns noch intensiver der Einheit zwischen dem göttlichen Prinzip und der göttlichen Liebe bewußt werden müssen. Gott übermittelt dem menschlichen Bewußtsein durch Seinen Christus die göttliche Botschaft. Wenn wir uns dem Christus ergeben, können wir wissen, daß Liebe das göttliche Gesetz des Friedens und der Harmonie aufrechterhält, wie Prinzip eine Situation berichtigt und regiert. Der Christus wird dem empfänglichen Herzen den rechten Weg zeigen, sofern der Mensch sich vom Menschlichen zum Göttlichen wendet.
Wenn wir um die Lösung eines Dilemmas beten, können wir uns als erstes darüber freuen, daß wir uns bemühen, das Rechte zu tun. Schon dieses Verlangen wird von unserem Vater gesegnet. Im Lehrbuch lesen wir in dem Kapitel „Gebet“: „Verlangen ist Gebet; und kein Verlust kann uns daraus erwachsen, daß wir Gott unsere Wünsche anheimstellen, damit sie gemodelt und geläutert werden möchten, ehe sie in Worten und Taten Gestalt annehmen.“ Ebd., S. 1.
Und wenn wir darauf vertrauen, daß Gott unsere Wünsche formt und läutert, stellen wir fest, daß selbst unser höchster Sinn von dem, was richtig ist, oft über unser derzeitiges Verständnis hinaus geläutert und veredelt werden kann. Ist unser Denken erst einmal von den Fesseln frei, die uns die materiellen Sinne durch ihre Berichte anlegen, dann mögen wir eine Lösung sehen, die plötzlich ganz offensichtlich ist. Vom sterblichen Gesichtspunkt aus betrachtet bieten sich uns immer nur begrenzte Alternativen, aber wenn wir uns dem göttlichen Gemüt ergeben, wird unser Denken frei, so daß wir einen weiteren Blick gewinnen.
Diesen wichtigen Punkt sollten wir uns merken. Wir können wissen, daß Gebet uns veranlassen wird, das moralisch Richtige zu tun. Nur wenn wir das skeptische, unsichere Gefühl, das für das sterbliche Gemüt charakteristisch ist, zum Schweigen bringen, können wir den Frieden spüren, der mit richtigem Handeln kommt und der bestätigt, daß wir auf dem rechten Weg sind.
Wie trat ich nun in jenem Sommer, als ich in dem Lager arbeitete, dieser Herausforderung entgegen? Eine Ausüberin der Christlichen Wissenschaft unterstützte mich im Gebet, und durch ihre Hilfe wurde mir klar, daß es meine oberste Pflicht war, Gott zu gehorchen. Ich wußte, daß Gott Wahrheit ist und daß ich daher für die Aufdeckung des Irrtums beten mußte, der eine Lüge über die sündlose Idee Gottes, den Menschen, aufrechterhalten wollte. Als ich mich nicht mehr darauf konzentrierte, lediglich eine menschliche Lösung zu finden, und mich statt dessen über die unerschütterliche Wahrheit freute, daß Gemüt absolute Kontrolle hat, wurde die Frage „Was muß ich tun?“ durch das demütige Gebet „Dein Wille geschehe“ ersetzt.
Mir kam der Gedanke, noch einmal mit meinem Freund zu sprechen und ihm klarzumachen, wie notwendig es war, die Integrität des Programms für die Gegenwart und die Zukunft zu wahren. Da er sich nun nicht nur als persönlichen Freund der beiden Missetäter betrachtete, sondern in der Tat als Vertreter des Prinzips, erstattete er der Lageraufsicht einen Bericht. Durch diesen Schritt zeigte sich eine heilende Lösung, ohne daß ein Versprechen gebrochen wurde. Vielmehr wurde das Gesetz der Liebe erfüllt, was das gesamte Programm wie auch die Betreuer segnete. Außerdem erneuerten alle Beteiligten ihre Verpflichtung, die Integrität des Programms aufrechtzuerhalten.
Wenn wir mit unserer Liebe zu Gott beginnen und davon ausgehen, wird uns die moralische Führung unweigerlich zuteil. Das Dilemma bleibt, wenn uninspiriertes, menschliches Argumentieren unser Ausgangspunkt ist. Daß die Pharisäer nur eine beschränkte Auffassung von moralischer Verpflichtung hatten, zeigten sie durch viele ihrer Fragen an den Meister, Christus Jesus: „Ist's recht, daß man dem Kaiser Steuer zahle, oder nicht?“ Matth. 22:17. „Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche [Ehebrecher] zu steinigen. Was sagst du?“ Joh. 8:5. In beiden Fällen erhellt aus den vorausgegangenen biblischen Berichten, welch eine begrenzte und materialistische Vorstellung vom Sein die Fragesteller hatten. Jesus aber wußte die Wahrheit. Er verstand, daß das Prinzip und die göttliche Liebe eins sind. Deshalb löste er jedes scheinbare moralische Dilemma mit einer göttlich inspirierten Antwort. Genauso wirksam wie damals kann auch heute der Christus, die Wahrheit, unser aller Leben berichtigen und regieren.
Der hingebungsvolle Christliche Wissenschafter bemüht sich, in allen Lebenssituationen sein Bestes zu geben — als Verwandter, Freund, Geschäftsmann, Bürger. Aufgrund seiner großen Liebe zu Gott fühlt er sich durch die Gnade dazu gezwungen, in Übereinstimmung mit dem Gesetz der Liebe zu handeln. Er ist bestrebt, sich vom unwandelbaren Prinzip führen zu lassen und nur das zu tun, was zu allen Zeiten ehrbar ist.
Unser Ausdruck des göttlichen Prinzips kann niemals mit unserer Widerspiegelung der göttlichen Liebe in Konflikt geraten. Ein treuer Freund und ein gewissenhafter Geschäftsmann zu sein ist miteinander vereinbar. Warum? Weil alle rechte Tätigkeit von dem Gesetz Gottes gestützt und regiert wird, das Harmonie bringt. Wenn wir uns stärker der Tatsache bewußt werden, daß wir die geliebten Kinder unseres himmlischen Vaters sind, können wir erwarten, Gottes Segen in unserem täglichen Leben ausgedrückt zu finden. In den Sprüchen Salomos lesen wir die folgende Verheißung: „Der Segen des Herrn allein macht reich, und nichts tut eigene Mühe hinzu.“ Spr. 10:22.
Prinzip und Liebe sind immer eins. Und je mehr wir uns unserer eigenen, unzertrennlichen Beziehung zu dem Göttlichen bewußt werden, um so häufiger wird unsere gegenwärtige Erfahrung mit der Wahrheit des Seins harmonieren, und moralische Dilemmas werden gelöst.