Was bedeutet es, ein Künstler zu sein?
Vom Standpunkt der Christlichen Wissenschaft aus betrachtet, läßt ein Künstler sein Denken zu einer klareren und weniger begrenzten Transparenz für Seele, den göttlichen Geist, werden. Um das tun zu können, muß er der Versuchung widerstehen, sich selbst für einen persönlichen Schöpfer zu halten, denn Gott ist der göttliche Autor, Architekt, Künstler. Mrs. Eddy erklärt: „Das unendliche Gemüt erschafft und regiert alles, vom mentalen Molekül bis zur Unendlichkeit. Dieses göttliche Prinzip aller Dinge bringt durch Gottes ganze Schöpfung hindurch Wissenschaft und Kunst sowie die Unsterblichkeit des Menschen und des Universums zum Ausdruck.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 507.
Die Versuchung, sich selbst für einen persönlichen Schöpfer zu halten, kann eine hypnotische Wirkung haben — vor allem wenn andere den Künstler unbewußt dazu drängen und ermutigen, indem sie seine Werke laut bewundern. Äußerungen der Bewunderung und Anerkennung können aufrichtig sein, doch wenn der Künstler sich dazu verleiten läßt, diese süße sterbliche Vorstellung von der Schöpferkraft zu akzeptieren, setzt er sich sofort den materiellen Annahmen über die Kunst aus: Ideenmangel, Stimmungsschwankungen, „künstlerisches“ Temperament, Eigenwille sowie all das quälende mentale Ringen, das mit dem Bemühen um ästhetische Perfektion in Verbindung gebracht wird. Vom Standpunkt der Christlichen Wissenschaft aus muß ein guter Künstler auch ein guter Christlicher Wissenschafter sein.
Jeder weiß, welche Bedeutung die Kunst hat. Um ihren Zweck zu verstehen, müssen wir von menschlichen Vorstellungen ausgehen. Definieren wir Kunst als das Empfinden von etwas Wahrem, dem mit Hilfe eines entwickelten, geübten Talents Ausdruck verliehen wird, und erweitern wir diese Definition metaphysisch, dann mögen wir die höchste menschliche Kunst darin sehen, den Christus, oder die Christus-Wissenschaft, im täglichen Leben anzuwenden.
Das hartnäckige Argument eines Künstlers, er sei ein persönlicher Schöpfer, kann also entkräftet werden, wenn er willens ist, in seiner Arbeit die höchste Kunst, die Kunst der Christlichen Wissenschaft, zum Ausdruck zu bringen. Das Wunderbare an einer solchen Bereitwilligkeit ist, daß sie das Talent nicht im geringsten beeinträchtigt. Im Gegenteil. Dadurch, daß Sie dem göttlichen Gemüt alle Schöpferkraft zuschreiben, erkennen Sie sich selbst als Widerspiegelung dieses Gemüts voll an, und somit überwinden Sie alle scheinbaren Begrenzungen Ihres artistischen Könnens.
Ein Künstler muß auch noch in anderer Hinsicht wachsam sein: Er darf Materie und Geist nicht miteinander verwechseln. Lassen Sie sich niemals von der Kunst so hinreißen, daß Sie die Materie zu vergeistigen suchen. Hierin wird der Künstler, der die Christliche Wissenschaft etwas versteht, eine Versuchung erkennen, die besonders subtil ist, weil sie mit den feinsten Regungen des Künstlers spielt oder zu spielen scheint. Ein Künstler liebt die Schönheit so sehr, daß er versucht ist, in der Materie tatsächlich einige der wahren Eigenschaften des Geistes zu sehen. Mrs. Eddy deutet an, daß die Schönheit in der Natur unserer Welt auf das Gemüt hinweist, doch sie betont mit Nachdruck, daß die Materie als das Unwirkliche und der Geist als das Wirkliche identifiziert werden muß. Der Christus ist es, der geistig inspiriert und wahre Schönheit enthüllt. Die Materie tut es nicht. Unsere Führerin erklärt: „Nichts, was wir hinsichtlich der Materie sagen oder glauben können, ist unsterblich; denn die Materie ist zeitlich und daher ein sterbliches Phänomen, ein menschlicher Begriff, der manchmal schön, aber immer irrig ist.“ Ebd., S. 277.
Aber diese Ablehnung der Materie läßt uns nicht ausweglos in einem Vakuum zappeln. Mrs. Eddy schreibt an einer anderen Stelle: „Aus unserer unreifen Auffassung von geistigen Dingen laßt uns von den Schönheiten des sinnlichen Universums sagen: ‚Ich liebe eure Verheißung, und einst werde ich die geistige Wirklichkeit und Substanz von Form, Licht und Farbe erkennen, von dem, was ich jetzt durch euch nur schwach wahrnehme, und in diesem Wissen gebe ich mich zufrieden... ‘ “ Vermischte Schriften, S. 87.
Das Wort „zufrieden“ ist in der Welt der Kunst wichtig. Ein Künstler sehnt sich mehr nach Zufriedenheit als nach Lob oder Geld. Und bisweilen wird sein Verlangen nach Zufriedenheit zu einer Herausforderung. Wenn nämlich der Künstler ein Christlicher Wissenschafter ist, der seinen menschlichen Willen aufzugeben sucht und stets anerkennt, daß Ideen einer höheren Quelle entspringen, übergeht er dann nicht sich selbst? Beraubt er sich dadurch nicht des einen glorreichen Elements, ein Künstler zu sein?
Keinesfalls. Nicht wenn wir erkennen, daß der Mensch — unser wahres Selbst — in gewissem Sinne der künstlerische Ausdruck Gottes ist. Und obwohl dieser künstlerische Ausdruck nicht selbst das Prinzip ist, bringt der Mensch doch die völlige Zufriedenheit des Prinzips mit sich selbst zum Ausdruck. Der Künstler, der ein Christlicher Wissenschafter ist, spürt dies und ist zufrieden.
Andererseits wird der Künstler, der Zufriedenheit in der Materie und durch persönliche Genugtuung zu finden hofft — der sich ständig mit dem Sinnlichen befaßt, sich von der Gesellschaft, von fleischlicher Faszination, wollüstiger Erregung beherrschen läßt —, schließlich feststellen, daß er in eine ernste moralische Sackgasse geraten ist und seine Wertvorstellungen verliert. Warum? Weil die Kunst gerade aufgrund ihrer Definition eine bessere, nicht eine niedrigere Interpretation von dem geben sollte, was im Leben wertvoll ist.
Wer einsieht, daß Disziplin notwendig ist, wird sich eher wahrer Zufriedenheit in der Kunst erfreuen. Schließlich stellt Mrs. Eddy eine Verbindung zwischen der Christlichen Wissenschaft und der Kunst her, wenn sie sagt, das „göttliche Prinzip aller Dinge bringt durch Gottes ganze Schöpfung hindurch Wissenschaft und Kunst ... zum Ausdruck“. Kunst geht offensichtlich aus Prinzip hervor, und das Prinzip verlangt naturgemäß die höchste Disziplin. Die Fähigkeit, durch geistige und moralische Disziplin Gottes Kunstwerk — den wahren Menschen — sichtbar werden zu lassen, ist die wunderbarste Form der Zufriedenheit und bringt den höchsten Lohn.
Ferner können wir uns die Beziehung zwischen der Christlichen Wissenschaft und der Kunst vergegenwärtigen, wenn wir bedenken, daß Gefühle und Empfindungen in der Kunst im allgemeinen besonders hervorgehoben werden. Hingegen wird von einer Wissenschaft zumeist das Gesetz, die Regel, die Begründung betont. Für mich als Künstler geht daraus deutlich hervor, daß Gefühle und Empfindungen sich auf unsere Vernunft stützen und von ihr beherrscht werden sollten, nicht umgekehrt. Gibt man Emotionen, die unbeeinflußt von jeder geistigen Disziplin aufwallen, den Vorrang, kann das nur zu einem moralischen Chaos führen.
Da Kunst danach strebt, Prinzip zum Ausdruck zu bringen, kann sie in der Christlichen Wissenschaft mit ihren geistigen Gesetzen und Regeln natürlich niemals vorherrschen. Ja, Mrs. Eddy sagt es geradeheraus: „Die Kunst darf nicht das Übergewicht gewinnen über die Wissenschaft.“ Ebd., S. 107. Dennoch kann die Kunst in Erfüllung ihrer höchsten Aufgabe auf wissenschaftliche, vom Christus enthüllte Weise all den Lohn, den Ruhm und die Zufriedenheit des Geistes interpretieren.
Ein Künstler in der Christlichen Wissenschaft, oder ein christlich-wissenschaftlicher Künstler, kann mit Christus Jesus sagen: „Ich suche nicht meine Ehre.“ Joh. 8:50.
Singet dem Herrn ein neues Lied;
die Gemeinde der Heiligen soll ihn loben.
Israel freue sich seines Schöpfers,
die Kinder Zions seien fröhlich über ihren König.
Psalm 149:1, 2