Was tut eine christlich-wissenschaftliche Pflegerin? Diese Frage wurde mir schon oft gestellt, und ungefähr die Hälfte derer, die sie an mich richteten, waren Christliche Wissenschafter. Deshalb mag es nützlich sein, diese Frage von Grund auf in einem Artikel zu beantworten.
Wenn jemand, der sich wegen Heilung auf die Christliche Wissenschaft verläßt, pflegebedürftig ist, kann eine Pflegerin ihn in seiner Wohnung, in einem Sanatorium oder in einem von Der Mutterkirche anerkannten Pflegeheim betreuen. Eine Pflegerin verbindet Wunden, sorgt für die Körperpflege, das physische Wohlbefinden und die Ernährung des Patienten, so daß sein Denken von den Ansprüchen des Körpers möglichst wenig gestört wird. Und während die Pflegerin diese Pflichten erfüllt, unterstützt sie die gebeterfüllte Arbeit des Ausübers der Christlichen Wissenschaft, der dem Patienten durch sein Verständnis von Gott und der Beziehung, die zwischen Gott und dem Menschen, Seiner geistigen Widerspiegelung, besteht, hilft.
Eine Pflegerin, die bestätigt und versteht, daß die göttliche Liebe allgegenwärtig ist und der Mensch als Gottes Widerspiegelung all die Eigenschaften der Liebe, oder Seele, einschließt, bringt diese Eigenschaften ganz natürlich zum Ausdruck. Dies trägt zu einer harmonischen Atmosphäre bei und ist ein spürbares Zeichen für die Gegenwart der göttlichen Liebe. Die Pflegerin muß stets absolut davon überzeugt sein, daß weder sie noch der Patient jemals von etwas anderem als der Gegenwart der göttlichen Liebe umgeben sein kann. Die Liebe kann nicht aufstehen und fortgehen und jemanden mit dem Gefühl zurücklassen, allein und vergessen zu sein. Liebe ist Geist, und der Apostel sagt: „In ihm leben, weben und sind wir.“ 17:28. Die Pflegerin stützt sich auf die Gewißheit, daß Geist unendlich ist. Der Psalmist sang: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein —, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“ Ps. 139:7–12. Die Pflegerin weiß, daß die göttliche Liebe uns niemals im Stich läßt.
Die Pflegerin lernt ferner, Demut, eine der Eigenschaften, die von Gott kommen, zum Ausdruck zu bringen. Geschäftige Wichtigtuerei und Eigenwille haben im Krankenzimmer keinen Platz, denn sie beruhen auf der Annahme, es gebe ein Gemüt, das von dem einen göttlichen Gemüt getrennt ist. Eigenwille verbirgt sich bisweilen unter dem Deckmantel „praktischer Erfahrung“, wenn man unnachgiebig auf einer bestimmten Verfahrensweise besteht. Reinlichkeit ist z. B. äußerst wichtig, aber wenn sie zum Fetisch wird, setzt sich der menschliche Wille durch. Ist die Pflegerin bereit, demütig zu erkennen, daß es ein allwissendes Prinzip gibt, Gott, und daß der Mensch dieses Prinzip widerspiegelt, wird sie in jeder Situation wissen, was getan werden muß.
Eine andere wichtige Eigenschaft ist ein beharrliches Erwarten des Guten. Eine weise Pflegerin ermutigt den Patienten, umherzugehen, sich selbst anzukleiden, selbständig zu essen und sich in jeder Hinsicht möglichst normal und furchtlos zu betätigen. Die Pflegerin wird nichts für den Patienten tun, das er selbst ausrichten kann, nur um Zeit zu sparen; vielmehr wird sie ihn ruhig ermutigen, seine Herrschaft zu beweisen.
Sanftheit, die sich in der zarten Berührung zeigt, in der sanften Stimme, in beherrschten, angemessenen Bewegungen, ist eine Eigenschaft, die die Pflegerin unbedingt braucht, wenn sie den Patienten badet, eine Wunde verbindet oder ihm auf irgendeine andere Weise hilft. Die Sanftheit, die die Pflegerin zum Ausdruck bringt, fördert und nährt im Patienten ein Gefühl des Friedens und Vertrauens und läßt ihn das Gute erkennen und schätzen, das ihn umgibt. Sanftheit wird ihn niemals antreiben oder frustrieren.
Einflüsterungen des Ärgers, daß dieser Patient längst geheilt wäre, wenn er nicht so ichbezogen oder apathisch wäre, weist die wachsame Pflegerin mit dem barmherzigen Verständnis zurück, daß gerade dort, wo menschliche Schwächen sich zu zeigen scheinen, die vollkommene, liebevolle Idee der göttlichen Liebe zu finden ist.
Wachsamkeit wird auch ein falsches Verantwortungsgefühl aufdecken, das entstehen mag, wenn ein Patient sagt: „Sie sind hier die beste Pflegerin; Sie sind am tüchtigsten und rücksichtsvollsten.“ Christus Jesus lehnte die Annahme, daß ein einzelner Mensch für das Gute persönlich verantwortlich sei, ein für allemal ab, als er jemandem, der ihn mit „guter Meister“ anredete, erklärte: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut als allein Gott.“ Mark. 10:17, 18. Der Ausdruck der göttlichen Güte in unserem Leben hängt nicht von einer bestimmten Person ab, sondern von der Erkenntnis, daß Gott stets und überall gegenwärtig ist und sich ewiglich durch den von Ihm erschaffenen Menschen kundtut. Und die Erkenntnis, daß es keine Vakuen gibt, daß die göttliche Liebe tatsächlich allen Raum erfüllt, daß das allwirkende Leben das einzige ist, was wirklich vor sich geht, befreit uns von der Last eines falschen Verantwortungsgefühls, das behauptet: „Wenn ich es nicht tue, wer wird es dann tun?“ Eine solche Frage schließt Gott aus.
Wenn eine Pflegerin sich von Gott veranlaßt fühlt, mehr als ihre Pflicht zu tun, kann das keine nachteiligen Folgen für sie haben, solange sie ihre Arbeit nicht für mühsam hält oder als persönliche Leistung ansieht — solange keinerlei Sünde geduldet wird.
Unsere Führerin, Mrs. Eddy, sagt: „Es ist möglich und die Pflicht des Menschen, das Gewicht seiner Gedanken und Handlungen so in die Waagschale der Wahrheit zu werfen, daß er immer auf der Seite mit seinem Schöpfer gefunden werde, nicht gleichen Gewichtes mit Ihm, doch — in der göttlichen Wissenschaft — durchaus der vollen Bedeutung dessen gewahr, was der Apostel meinte, wenn er sagte:, Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi.‘ “ Vermischte Schriften, S. 46.
Mein Leben wurde durch meine Arbeit als christlich-wissenschaftliche Pflegerin sehr bereichert — und zwar schon als ich begann, übers Wochenende als Pflegehelferin tätig zu sein. Ich merkte sehr bald, daß mich eine große Ruhe erfüllte, ob ich nun meine übliche Arbeit verrichtete oder im Sanatorium beschäftigt war. Auch war ich am Ende eines Arbeitstages nicht mehr müde. Und so unternahm ich den nächsten Schritt und meldete mich für die Ausbildung zur christlich-wissenschaftlichen Pflegerin an.
Kurz nach meiner Ankunft in der Ausbildungsstätte hatte ich das wunderbare Gefühl, daheim zu sein. Das überraschte mich, denn ich bewohnte dort ein kleines Zimmer und benutzte mit vielen anderen Schülerinnen ein gemeinsames Badezimmer, was mir völlig ungewohnt war.
Ich hatte zwei andere Karrieren verfolgt, die beide insofern erfolgreich waren, als sie mir ein ausreichendes Gehalt und große Anerkennung einbrachten. Doch keine meiner früheren Tätigkeiten hat mir je die Befriedigung gegeben, mich vor so viele Herausforderungen gestellt oder mich zu solch geistigem Fortschritt gezwungen, wie meine Arbeit als christlich-wissenschaftliche Pflegerin dies von Anfang an tat. Das warme Gefühl, daheim zu sein, das ich während meiner Ausbildung empfand, hat sich vertieft. Es ist eine jener unerwarteten Nebenvergünstigungen.
Aber der wertvollste Gewinn ist ein besseres Verständnis von Liebe. Ich habe gelernt, meine Einstellung und mein Verhalten an der Frage zu messen: „Ist das gütig?“ Liebe ist gütig. Und Besitzgier, Mitleid, Eifersucht, Kritik oder ein Übermaß von Nachsicht bringen keine Güte zum Ausdruck. Solche Empfindungen entspringen einem persönlichen Begriff von Liebe. Güte verrichtet die notwendigen Reinigungsarbeiten ohne Abscheu. Güte bringt niemals jemanden in Verlegenheit.
Wird im Krankenzimmer die liebevolle Güte Gottes praktisch zum Ausdruck gebracht, beweist das Seine Gegenwart; und es schafft eine warme, friedliche Atmosphäre, die der Heilung zuträglich ist.
