Fällt es Ihnen manchmal schwer zu lieben? Ja, gewiß. Wenn jemand Sie ungerecht behandelte; wenn ein Freund Sie im Stich gelassen hat; wenn man Lügen über Sie verbreitete oder Sie sich übergangen fühlten. Man könnte noch unzählige weitere Beispiele aufführen.
Vielleicht sollte man die Frage anders formulieren. Ist es wichtig zu lieben? Ja, es ist unbedingt notwendig. Sowohl unsere Gesundheit als auch unser Glück hängen davon ab. Es ist äußerst wichtig, wenn wir das Leid der Menschheit heilen wollen. Sträuben wir uns dagegen, Liebe zum Ausdruck zu bringen, dann schaffen, verlängern und intensivieren wir Probleme jeder Art.
Christus Jesus sagte: „Wenn ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben?“ Matth. 5:46. Aber diejenigen zu lieben, die uns nicht lieben, bringt unermeßlichen Segen mit sich. Warum? Weil selbstlose Liebe ein mächtiger Heiler ist. Sie überbrückt die Kluft und behebt den Bruch. Johannes sagt uns, warum. Er erklärt: „Gott ist Liebe.“ 1. Joh. 4:16.
Gott ist Liebe, und der Mensch ist Gottes Ebenbild. Also ist der Mensch das Ebenbild der Liebe. Welch gewaltige Wahrheiten, über die wir nachdenken können! Der Mensch ist der Ausdruck der unendlichen Liebe. Die Substanz seines ganzen Seins ist Liebe. Seine Tätigkeit spiegelt die Tätigkeit der Liebe wider.
Da Gott das einzige Gemüt ist, besitzt der Mensch kein anderes Gemüt als die göttliche Liebe; alle seine Gedanken gehen von dem Gemüt aus, das Liebe ist. Der Mensch ist sich nur der Gegenwart Gottes und Seines Ausdrucks bewußt. Das mutmaßliche Gegenteil der göttlichen Liebe, Haß genannt, und die Fälschung der Liebe, die als rein persönliche Zuneigung bezeichnet wird, sind ihm unbekannt. Der von Gott geschaffene Mensch besteht ewiglich mit Ihm und spiegelt den heiligen Zweck der Liebe wider.
Wer diese Wahrheiten über sein wahres Sein versteht und sie praktisch anwendet, dem wird es immer leichter fallen, Liebe zum Ausdruck zu bringen. Er wird die mangelnde Bereitschaft zu lieben immer weniger rechtfertigen. Er wird anderen nicht mehr für sein unglückliches Leben und seine beschränkten Verhältnisse die Schuld geben, sondern sich bemühen, solche Zustände zu berichtigen, indem er tief in seinem eigenen Bewußtsein danach forscht, was korrigiert werden muß. Wenn er lieblose Charakterzüge entdeckt, weist er sie zurück, weil sie in Wirklichkeit nicht zu ihm gehören, und er bestätigt seine reine, liebevolle Identität als Gottes Ebenbild. Auf diese Weise zerstört er solche negativen Charakterzüge.
Während wir danach streben, lieben zu lernen, lernen wir auch, zu vergeben. Unser Meister lehrte uns zu beten: „Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ 6:12. Und Mrs. Eddy zeigt uns, wie wir dies tun können. „Und Liebe spiegelt sich in Liebe wider“, Wissenschaft und Gesundheit, S. 17. lautet ihre geistig wissenschaftliche Auslegung dieser Zeile aus dem Gebet des Herrn.
Fällt es uns schwer, Gottes Liebe widerzuspiegeln? Sie im Alltag in die Tat umzusetzen? Sie zum Ausdruck zu bringen, wenn wir glauben, uns sei schweres Unrecht zugefügt worden? Ja. Doch wenn wir wahrhaft willens sind, wird sich uns der Weg öffnen. Eine Christliche Wissenschafterin erlebte dies.
Sie befand sich im zweiten Studienjahr, und ihrer Meinung nach hatte der Professor ihre Leistungen in Wirtschaftswissenschaft für das Semester unfair beurteilt. Sie reagierte mit großem Ärger: „Engstirniger Mensch, Frauenfeind.“ Ihr erster Gedanke war, daß die Gerüchte, die sie über ihn gehört hatte, tatsächlich stimmten.
Doch sogleich folgten andere Gedanken: „Du hast diesen Lügen über ihn Gehör geschenkt. Du hast sie als wahr akzeptiert. Du hättest es besser wissen müssen! Du hättest diese falschen Annahmen durch geistige Tatsachen ersetzen sollen — Tatsachen wie: Gott hat niemals einen ungerechten, voreingenommenen Sterblichen geschaffen. Er hat nur Gutes hervorgebracht, und Er hat alles geschaffen. Gottes Kind ist liebevoll und liebenswert.“
Dann fiel der jungen Christlichen Wissenschafterin Mrs. Eddys Erklärung ein: „Ich will lieben, wenn ein anderer haßt.“ Vermischte Schriften, S. 104. Sie dachte: „Ich kann ihn nicht lieben.“ Und dann: „Aber ich kann das lieben, was er liebt. Damit kann ich anfangen. Ich werde das lieben, was er liebt. Ich will sein Fach lieben — Wirtschaftswissenschaft!“
Sie begann sofort, diese Liebe in die Tat umzusetzen. Sie suchte ständig nach Möglichkeiten, wie sie aufrichtig Liebe zum Ausdruck bringen konnte. Voll Freude nahm sie an Diskussionen während des Unterrichts teil. Ihre Liebe zu dem Fach wuchs. Es war eine glückliche Zeit. Als im nächsten Semester die Zensuren erteilt wurden, lautete ihre: „Wirtschaftswissenschaft — Eins plus.“ Der Professor ließ sie zu sich kommen.
„Wie Sie wissen, geben wir am College keine, Eins plus‘. Ich habe es symbolisch gemeint. Sehen Sie, man kann ein Leben lang unterrichten, und plötzlich kommt jemand, der die ganze Mühe belohnt. Für mich sind Sie dieser Jemand!“
Liebe, in die Tat umgesetzt, hatte die Kluft überbrückt. Sie hatte blinden Eifer und Vorurteil auf der einen Seite und Groll auf der anderen geheilt. Und was zwischen einzelnen Personen ausgearbeitet werden kann, kann auch unter Rassen und Völkern geheilt werden.
Ja, mitunter scheint es schwerzufallen, liebevoll zu sein. Doch je mehr wir uns bemühen zu lieben, desto einfacher wird es. Gottes Liebe ist unendlich, und es gibt unzählige Wege, sie zum Ausdruck zu bringen. Zu lieben, was ein anderer liebt, könnte ein Anfang sein.
Jeder möchte das Gefühl haben, geliebt zu werden. Jeder kann sich geliebt fühlen. Wir selbst müssen angesichts einer unharmonischen Situation willens sein zu lieben und es auch tun. Wenn wir dann in unseren Bemühungen aufrichtig und konsequent sind, wird die Liebe, die wir zum Ausdruck bringen, immer größere Kreise ziehen, bis sie die ganze Situation umfaßt — und auch diejenigen berührt, von denen wir glauben, sie bedürften der Heilung —, uns selbst eingeschlossen!
