Wenn man im Sommer an einem Wochentag am Ufer eines Sees im ländlichen Osten des amerikanischen Bundesstaates Oklahoma sitzt, kann man einen tiefen Frieden empfinden. Vielleicht erklärt man sich dies so, daß man sich weitab von der „Zivilisation“ befindet und nur friedliche Zeichen des Lebens um sich her sieht. Sonnenlicht glitzert auf den silbrigen Schuppen eines Schwarms von Elritzen, die pfeilschnell durch das seichte Wasser schießen. Ein Habicht kreist gemächlich hoch in der Luft. Am Sandstrand sammeln Ameisen emsig Brotkrumen, die von Wochenendausflüglern zurückgelassen wurden. Und all das sind nur die ohne weiteres erkennbaren Anzeichen von Leben!
Ehrfurcht vor der augenscheinlichen Harmonie des Lebens in der Natur könnte uns sehr wohl die unendliche Harmonie des göttlichen Lebens, Gottes, bewußtmachen, die nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, aber durch die Christliche Wissenschaft offenbart wird. Die reiche Fülle, Schönheit und Harmonie der Natur sind bestenfalls schwache, begrenzte Hinweise auf die göttliche Schöpfung. Denn die Natur verhält sich nicht immer wie die Schöpfung eines ganz und gar guten Gottes. Tatsächlich zeigt die Natur oft das gerade Gegenteil der friedlichen und liebevollen Schöpfung des göttlichen Lebens, der Liebe.
Die göttliche Schöpfung schließt kein zerstörerisches Element, nichts Böses ein. Die Allheit ihres Schöpfers — des einen Gemüts, des einen Geistes, des Guten — schließt das aus. In der Natur jedoch scheinen die Organismen, die sich den bestehenden Verhältnissen am besten angepaßt haben, schnell durch Vorteil, Beherrschung und Zerstörung die Oberhand über diejenigen zu gewinnen, die sich am wenigsten angepaßt haben. Die Theorie vom Überleben des Geeignetsten — Darwins Lehrsatz von der natürlichen Auslese — faßt die langfristigen Folgen dessen zusammen, was das Gesetz des Dschungels auf gewaltsame und beschleunigte Weise bewirkt.
Betrachten wir doch einmal die „friedliche“ Szene am See. Die pfeilschnellen Elritzen können größeren Fischen oft nicht entkommen. Der Flug eines Habichts mag uns als reines Vergnügen erscheinen, aber während er langsam in der Luft kreist, späht er sorgfältig nach Beute. Größere Insekten machen den Ameisen die so mühsam zusammengetragenen Brotkrumen streitig und sind dabei im Vorteil; einige betrachten sogar die Ameisen als Nahrung. Hochwasser und Stürme können den See so aufpeitschen, daß er zu einer bedrohenden Gefahr für alles wird, was in seiner Umgebung lebt.
Und doch kann die Natur auf das Gesetz des Lebens, Gottes, reagieren — obgleich zerstörerische Elemente weder geistig noch unsterblich sein können, wie es das göttliche Leben ist. Materielle, sterbliche Beobachtungen oder „Gesetze“ der Natur sind den ewigen Gesetzen des Lebens untergeordnet; und das gleiche gilt auch für das sogenannte naturhafte Verhalten.
Das Gesetz des Lebens ist die Wissenschaft des Christus, der Wahrheit, die Christus Jesus lehrte und lebte. Jesus bewies die Überlegenheit des unendlichen, gottgegebenen Gesetzes über endliche, menschengemachte Theorien. Jesus vermehrte z. B. durch Gebet einige Brote und Fische, so daß mehr als fünftausend Menschen damit gespeist werden konnten. Er wandelte auf windgepeitschten Wogen; er stillte einen Sturm auf dem Meer. Er heilte Krankheiten, von denen man glaubte, daß sie das Leben besiegt hätten; er weckte sogar die Toten auf. Und was vielleicht das wichtigste ist: Er wandelte Sünder um — er verbesserte sowohl ihr Leben wie auch ihr Selbstverständnis und ihre Umgebung.
Das Gesetz des Lebens, das Jesus so vollkommen demonstrierte — das Gesetz ewiger Dauer und unaufhörlicher Entfaltung, das für jede geistige Idee gilt —, stellt für alles, was im menschlichen Leben moralisch richtig und geistig gut ist, Fürsorge, Schutz und Fortschritt sicher. Dieses Gesetz befähigt uns immer mehr, unser wahres Selbst zu erkennen, das Gottes höchste Idee — Sein Ebenbild, der geistige Mensch — ist, der Herrschaft über alles gegeben ist. In Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy: „Jedes Gesetz der Materie oder des Körpers, das den Menschen angeblich regiert, wird durch das Gesetz des Lebens, Gottes, null und nichtig gemacht.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 380.
Das Gesetz oder die Wissenschaft des Lebens befreit uns von dem Übergriff des Gesetzes des Dschungels auf das menschliche Verhalten. Die falsche Auffassung von Gott und Seiner Schöpfung, die diesem Gesetz zugrunde liegt — die Annahme, daß Gottes Schöpfung aus vielen Sterblichen bestehe, von denen einige überlegen und einige unterlegen seien —, möchte uns glauben machen, daß wir über andere herrschen müssen, wenn wir nicht selbst beherrscht werden wollen, daß wir z. B. unsere Konkurrenten unterbieten müßten, bevor sie unsere Gelegenheiten wegschnappen. Von dem grundlegenden Irrtum, daß es viele Gemüter und viele Menschen gebe, die miteinander im Streit liegen, kommt auch die Suggestion, daß Verteidigungsmittel angebracht seien, wenn Nationen potentielle Vernichtungswaffen insgeheim anhäufen oder offen gegen andere Länder einsetzen. Wenn wir die Einheit und Harmonie von Gott und Seiner Schöpfung verstehen, entwachsen wir immer mehr dem Glauben, daß Rüstung unser Überleben gewährleisten könne und sie deshalb immer erforderlich sei. Geistiges Verständnis offenbart, daß die Schöpfung ihr Leben unmittelbar von Gott erhält und deshalb ewig und unzerstörbar ist. Durch dieses Verständnis können wir beweisen, daß das göttliche Gesetz konkurrierende und zerstörerische Impulse unterbindet und die Harmonie entfaltet, die dem Menschen von Natur aus angehört.
Wenn man die Tauglichkeit zum Überleben auf der Grundlage des „Gesetzes“ des Dschungels definiert, müßten wir, um überleben zu können, materielle Normen physischer, verstandes- oder zahlenmäßiger Überlegenheit erfüllen. Die geistige Eignung zum ewigen Leben jedoch liegt in der geistigen Wahrheit, daß der Mensch zugleich mit Gott besteht. So zu sein, wie Gott uns geschaffen hat — liebevoll und harmonisch —, erschließt uns das Gesetz des göttlichen Lebens, das jedes gottlose Gesetz aufhebt und Konflikte durch Frieden ersetzt. Mrs. Eddy schreibt: „Der Mensch ist mehr als eine physische Person, mehr als das, was wir durch die materiellen Sinne wahrnehmen. Gemüt ist mehr als die Materie, ebenso wie die unendliche Idee der Wahrheit weit über eine endliche Annahme hinausgeht. Gemäß einem Gesetz vom ,Überleben des Tüchtigsten' überlebt der Mensch die endlichen, sterblichen Definitionen seiner selbst. Der Mensch ist die ewige Idee seines göttlichen Prinzips oder Vaters.“ Nein und Ja, S. 25.
Die Menschheit im allgemeinen mag bei weitem noch nicht bereit sein, sich mit den Neigungen der Natur auseinanderzusetzen und sie zu überwinden. Aber wir alle sind in der Lage, in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, in unseren geschäftlichen Angelegenheiten und in unseren Aufgaben als Bürger die Mentalität von Elritzen fressenden Fischen, Beute jagenden Habichten oder um Nahrung kämpfenden Ameisen zu überwinden. Da Frieden eine Eigenschaft Gottes ist, gehört er zu unserer wahren geistigen Individualität. Ja, Frieden herrscht in der einzig wahren Umwelt, die es gibt. Machen wir es uns doch zur Aufgabe, in Frieden zu leben, wo immer wir auch sind, denn Frieden ist die ewige göttliche Wirklichkeit.
Herr, die Erde ist voll deiner Güte;
lehre mich deine Gebote.
Deine Hand hat mich gemacht und bereitet;
unterweise mich,
daß ich deine Gebote lerne.
Laß mir deine Barmherzigkeit widerfahren,
daß ich lebe; denn ich habe Freude an deinem Gesetz.
Psalm 119:64, 73, 77
