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Die Bergpredigt hilft einer Familie

Aus der Mai 1987-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der Fußboden des Kinderzimmers war mit Matchbox-Autos, Lastwagen und Spielzeugfiguren übersät. Hans spielte still; dann kam Susi herein und wollte mitspielen. „Autos sind nichts für Mädchen“, fuhr Hans sie an. „Spiel doch mit deinen Puppen!“ Susi schnappte sich seinen Lieblingslastwagen und rannte auf den Flur. Die Hatz hatte begonnen — die Kinder rannten kreischend und schreiend durch das Haus. Die Mutter sah, wie Hans seine Schwester in die Enge trieb und seinen Lastwagen zurückforderte. Susi gab ihn aber nicht her. Hans riß ihn an sich, Susi schlug zu, und der Streit war da. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Zu oft will man uns glauben machen, daß Kabbeleien unter Geschwistern etwas ganz Normales und Alltägliches seien und man nichts dagegen tun könne, ja, es auch gar nicht versuchen solle. Einige Psychologen meinen sogar, ein bißchen häuslicher Streit baue Spannungen ab.

Die Bibel sagt uns: „Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so läßt er auch nicht davon, wenn er alt wird.“ Spr 22:6. Hätten wir uns nicht alle bei der Kindererziehung gern danach gerichtet? Doch wie oft wurde uns gesagt, wir sollten uns über ein Problem keine Sorgen machen, weil es normal oder natürlich oder gerade eine Phase sei, die die Kinder durchlaufen.

Müssen wir das glauben? Nein! Ist etwas schon deshalb wahr, weil viele es für wahr halten? Nein!

Als junge Mutter war ich jedesmal sehr bekümmert, wenn sich meine Kinder wegen eines Spielzeugs zankten oder sich gegenseitig hänselten. Ich wurde von einer Mutter erzogen, die selten, wenn überhaupt, ein barsches Wort sprach und die uns lehrte, nicht im Zorn zu reagieren. Als junges Mädchen hatte ich die Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft besucht und dort gelernt, den Menschen als in Wirklichkeit geistig und harmonisch zu sehen, als den Ausdruck der göttlichen Liebe, und den materiellen Sinn der Dinge mit seinen Disharmonien als Lüge zurückzuweisen.

Als ich eines Tages mit den Kindern im Park war, erwähnte ich diese Streitereien einer Freundin gegenüber. Sie antwortete spontan: „Ach, mache dir darüber keine Sorgen; das ist ganz normal. Alle Kinder tun das. Da wachsen sie wieder heraus. Außerdem kannst du nicht erwarten, daß sie die ganze Zeit über vollkommen sind.“ Plötzlich kam mir der Gedanke: „Aber der Mensch Gottes ist vollkommen, und es ist richtig, daß sich Kinder vertragen. Es ist natürlich, gut zu sein, und unnatürlich, ungezogen zu sein.“ Ich erkannte, daß hier das sterbliche Gemüt, der materielle Sinn, erklärte, Disharmonie sei ebenso wirklich und natürlich wie Harmonie.

Das göttliche Gemüt, das Prinzip allen wahren Seins, kennt keine Disharmonie. Die Bibel erklärt im ersten Kapitel des ersten Buches Mose klipp und klar: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ 1. Mose 1:31. Nun, so dachte ich, Disharmonie und Streiterei sind nicht gut und stammen daher nicht von Gott. Und wenn sie nicht von Gott, Gemüt, sind, können sie nicht Teil Seines Kindes, Teil Seiner geistigen Widerspiegelung sein. Aber wie konnte ich das beweisen?

Ich ging nach Hause und studierte und betete. Als ich dabei in der Bibel nachschlug, was Christus Jesus über das harmonische Sein des Menschen gesagt hat, wurde mir klar, daß der Meister von uns erwartete, daß wir die göttliche Norm der Vollkommenheit beweisen. Er sagte: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Mt 5:48. Und Mrs. Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit: „Die göttliche Forderung ‚Darum sollt ihr vollkommen sein‘ ist wissenschaftlich, und die menschlichen Schritte, die zur Vollkommenheit führen, sind unerläßlich.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 253. Ich erkannte, daß sicherlich gute, hingebungsvolle metaphysische Arbeit erforderlich war, aber was konnte ich außerdem tun? Ich hatte versucht, die Kinder zu strafen. Ich hatte sie in die Ecke gestellt, ihnen Beschränkungen auferlegt, das Spielzeug weggenommen, dessentwegen sie sich gestritten hatten. Es war alles umsonst. Strafe war daher nicht die Lösung. Disziplin mußte es sein.

Als ich das Wort Disziplin in einem Wörterbuch nachschlug, fand ich als Bedeutung: Lehren, Unterweisung, Training, das berichtigt, formt, stärkt oder vervollkommnet. Hier war meine Antwort. Wo konnte ich eine Anleitung zu einem derartigen Training finden? Nun, genau dort, wo Mrs. Eddy sie gefunden hatte — in der Bibel. Ich erinnerte mich daran, daß mir eine Bekannte einmal erzählt hatte, daß ihre Söhne jedesmal die Bergpredigt vorlesen mußten, wenn sie sich stritten. Das klang gut! Dann kam mir der Gedanke, das „trainieren“ auch „aufbauen“ bedeutet. Was benötigt denn ein Architekt zum Bauen? Die besten Baupläne, die er finden kann. Die Christen haben die großartigsten Baupläne, die der Menschheit jemals gegeben wurden. Alles, was erforderlich ist, um den menschlichen Charakter zu formen, zu berichtigen und zu stärken, findet sich in Christi Jesu Bergpredigt. Ich erinnerte mich an Mrs. Eddys Worte: „Meiner Ansicht nach wäre die Bergpredigt, wenn sie jeden Sonntag ohne Erläuterung gelesen und die Woche hindurch befolgt würde, ausreichend für christliche Betätigung. Das Wort Gottes ist ein machtvoller Prediger, und es ist nicht zu geistig, um anwendbar zu sein, noch zu übersinnlich, um gehört und verstanden zu werden.“ Botschaft an Die Mutterkirche für 1901, S. 11.

Ich dachte eine Weile über diese Stelle nach und fragte mich, wie sie wohl auf mich und meine Kinder anwendbar sei. Ich betete; ich wußte, daß ich nicht etwas tun wollte, was die Kinder dazu brächte, das Bibellesen mit einer Bestrafung für kleinliches Gezänk gleichzusetzen. Ich wünschte mir, sie merkten, daß die Bibel — insbesondere die Bergpredigt — Botschaften enthält, die auf jede Situation anwendbar sind. Ebenso war mir klar, daß ich nicht wollte, daß diese Disziplinierung im Zorn ankam oder als Ersatz für Geduld und Zuneigung verstanden wurde. Daher betete ich, daß mir ein liebevoller Weg gezeigy würde, wie ich den Kindern meine Gedankengänge verständlich machen könnte.

Mir kam folgende Erklärung für die Kinder in den Sinn: Wenn die Schullehrerin möchte, daß man eine neue Lektion lernt, verweist sie neben ihrem mündlichen Unterricht auf schriftliche Unterlagen — gewöhnlich ein Buch. So sagte ich ihnen, ich wünschte, daß sie die Lektion der brüderlichen Liebe lernten und daß ich dafür keine bessere Quelle wüßte als die Bibel und die Bergpredigt unseres Meisters.

Als die Kinder das nächste Mal wieder stritten, gab ich ihnen eine Bibel und bat sie, die ganze Bergpredigt Siehe Mt, Kap. 5–7. zu lesen. Wenn sie damit fertig wären, sollten sie in die Küche kommen und mir sagen, was sie gelernt hätten. Der Älteste war zehn Jahre und seine Schwester erst sechs Jahre alt. Daher bat ich ihn, ihr vorzulesen. Zuerst war seine Stimme laut, ärgerlich und gereizt. Doch wie er nun die vertrauten Seligpreisungen las, wurde seine Stimme normaler. Er las mit Interesse weiter, als er einige Stellen wiedererkannte, die er in der Sonntagsschule gelernt hatte.

Als er zu Ende gelesen hatte, kamen beide mit leuchtenden Gesichtern in die Küche und erzählten mir eifrig, was sie entdeckt hatten. Ob ich wüßte, daß das Gebet des Herrn in der Bergpredigt stand? Und ob ich wüßte, daß auch die goldene Regel dort zu finden war? Und wie aufgeregt sie waren, daß sie mich auf diese Stellen hinweisen konnten. Schließlich herrschte Harmonie — für ungefähr zwei Wochen. Dann ging die Streiterei wieder los. Die Bibel wurde hervorgeholt, die Kinder mußten sich setzen, und wieder lasen sie die Bergpredigt von Anfang bis zu Ende.

Ich mußte emsig dranbleiben. Jedesmal wenn sich die Kinder zankten oder hänselten, lasen sie alle drei Kapitel. Und jedesmal mußten sie mir erzählen, was sie gelernt hatten, durften aber nicht etwas schon einmal Gesagtes wiederholen. Ich gab ihnen die Bibel nie im Zorn, und ich ging nie auf ihre Bemerkung ein: „Warum müssen wir das schon wieder lesen?“ Ich erklärte ihnen bloß liebevoll und geduldig (aber mit Nachdruck), daß ich sie zu sehr liebte, als daß ich ihnen erlaubte, sich weiter lieblos zu betragen.

Während sie lasen, betete ich, um zu erkennen, daß die wahre Identität der Kinder die Widerspiegelung der göttlichen Liebe ist, die immer gehorsam bleibt gegen Gottes Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Mt 19:19. Ich erkannte nur das an, was geistig wahr war und weigerte mich, das unwirkliche Bild einer Rivalität unter Geschwistern anzunehmen.

Ich fuhr fort zu beten, Gottes Kind zu sehen, den vollkommenen Menschen, der zum Bild und Gleichnis des Guten, zu Gottes Ebenbild erschaffen ist. Ich verwahrte mich gegen die Lüge, daß diese Zänkerei für irgend jemand das „normale“ Betragen sei. Ich war nicht bereit, dieses unharmonische Bild in mir aufzunehmen, daß der Mensch ein Sterblicher sei mit sterblichen Stimmungen und Neigungen. Damit der Mensch unharmonisch sein könnte, müßte Gott unharmonisch sein. Aber das ist nicht möglich. Tatsache ist, daß alle Harmonie von Gott ausgeht und von Ihm aufrechterhalten wird. In Wissenschaft und Gesundheit heißt es: „Alle Wirklichkeit ist in Gott und Seiner Schöpfung, harmonisch und ewig. Was Er schafft, ist gut, und Er macht alles, was gemacht ist. Daher ist die einzige Wirklichkeit von Sünde, Krankheit und Tod die schreckliche Tatsache, daß der menschlichen, irrenden Annahme Unwirklichkeiten wirklich scheinen, bis Gott ihnen ihre Maske abnimmt. Sie sind nicht wahr, weil sie nicht aus Gott sind.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 472.

Erwartungsvoll hielt ich nach Anzeichen von Wachstum und Fortschritt Ausschau. Bald wurden Fragen zu den nicht so vertrauten Versen gestellt. „Was bedeutet Gegner?“ „Was heißt das, ‚so geh mit ihm zwei [Meilen]‘?“ Jetzt begann das wirkliche Lernen. Hier wurden die Weisungen unseres Meisters erfaßt. Mein Sohn lernte, daß er auf Bemerkungen seiner kleinen Schwester nicht zu reagieren, nicht Hieb für Hieb heimzuzahlen brauchte. Bald verstand er, daß es nichts gab, auf das er reagieren, nichts, für das er etwas heimzahlen müßte.

Während dieses Lernprozesses wurde auch mein Denken größerer Disziplin unterworfen. Ich ließ nicht mehr die Suggestion ein, der Mensch sei von Natur aus sterblich oder tierisch und richte sich nach dem oder reagiere auf das, was durch die sogenannten physischen Sinne aufgenommen wird. Der Mensch ist die Idee des göttlichen Gemüts und wird vom Gemüt regiert. Er untersteht dem Gesetz Gottes und nichts anderem. Disharmonie wird nicht von Gottes Gesetz hervorgerufen. Wenn wir Disharmonie statt Harmonie als Tatsache akzeptieren, glauben wir, daß es Situationen gebe, in denen Gott abwesend sei, und daß es eine Macht neben Ihm gebe. Wenn wir aber anerkennen, daß Harmonie die ewige Wahrheit des Seins ist, werden wir frei.

Wissenschaft und Gesundheit versichert uns: „Harmonie wird durch ihr Prinzip hervorgebracht, von ihm beherrscht, und sie beharrt bei demselben. Das göttliche Prinzip ist das Leben des Menschen. Daher hat der physische Sinn über das Glück des Menschen nicht zu verfügen. Wahrheit wird vom Irrtum nicht befleckt. Harmonie im Menschen ist ebenso schön wie in der Musik, und Disharmonie ist unnatürlich, unwirklich.“ Ebd., S. 304.

Wenn wir meinen, es sei natürlich, daß sich Kinder streiten, wie wollen wir dann den Krieg überwinden? Ist Zanken nicht eine Art Krieg, der Auftakt zu größerem Kampf?

Es ist wichtig, daß wir dem sterblichen Gemüt auch nicht das geringste Zugeständnis machen. Wenn wir es dennoch tun, binden wir uns um so länger an das Fleisch und an fleischliche Annahmen — wo uns doch Jesus sagt: „Das Fleisch ist nichts nütze.“ Joh 6:63.

Statt dessen können wir an jener Predigt festhalten und sie befolgen, die alle Menschen — Kinder und Erwachsene gleichermaßen — lehrt, wie sie das reine Christentum praktizieren und sich seiner Früchte erfreuen können.

PS Liebe Schriftleiter,

ich schreibe Ihnen diesen Brief, um die Richtigkeit dessen zu bestätigen, was meine Mutter in ihrem Artikel „Die Bergpredigt hilft einer Familie“ berichtet hat. Ich kann mich noch heute gut daran erinnern, wie oft ich vor elf Jahren meiner jüngeren Schwester die Bergpredigt vorlas. Ich weiß sogar noch, daß ich meine Mutter fragte, was es bedeute, „so geh mit ihm zwei [Meilen]“. Obwohl wir uns, wie ich mich erinnere, selten wirklich in den Haaren lagen, gab es doch Zeiten, in denen ich meine Schwester nicht ausstehen konnte und sie mich ebensowenig. Inzwischen sind wir ein Herz und eine Seele geworden. In diesem Herbst werden wir gemeinsam das College besuchen. Ich fühle mich meiner Mutter dankbar verpflichtet und rechne ihr ihre Geduld hoch an. Diese Erfahrung hat mich sehr viel gelehrt.


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