Unsere geliebte Führerin Mary Baker Eddy sandte einmal eine Botschaft an eine Schülerversammlung, und eine ihrer Erklärungen könnte auch auf diese Zusammenkunft zutreffen. Sie schrieb: „Ihr seid nur zusammengekommen, um euch von dieser großen Wahrheit zu überzeugen, nämlich von der Einheit in der Christlichen Wissenschaft. Pflegt beharrlich diese Tatsache. Haltet an den Lehren der Bibel, des Lehrbuchs, Wissenschaft und Gesundheit‘ und unseres Kirchenhandbuchs fest, und ihr werdet das Gesetz und das Evangelium befolgen. Habt nur einen Gott, und ihr werdet keinen Teufel haben. Betätigt euch unablässig in der göttlichen Liebe“ (Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 251).
Es war das Jahr 1885; meine Mutter war schon seit über drei Jahren ans Bett gefesselt gewesen, als die Ärzte ihr schließlich mitteilten, daß sie nichts mehr für sie tun könnten. Da wurde sie auf die Christliche Wissenschaft aufmerksam durch einen Zeitungsartikel, der darüber berichtete, wie jemand durch mentale und geistige Mittel geheilt wurde. Das sagte meiner Mutter zu, und sie bat mich, mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Wir fanden eine Ausüberin, die meine Mutter besuchte und die Behandlung aufnahm. Nach einer Woche konnte meine Mutter aufstehen und im Haus umhergehen, und nach einer weiteren Woche war sie vollkommen wiederhergestellt. Wir besorgten uns sofort das Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, und meine Mutter und ich begannen, es zu studieren.
Im Jahre 1887 zogen wir von San Franzisko nach San Diego, Kalifornien, wo meine Mutter und ich die Christliche Wissenschaft einführten und die Heilarbeit aufnahmen.
1888 bewarb ich mich bei Mrs. Eddy um Klassenunterricht und wurde angenommen. Ich kam ein paar Tage vor dem Beginn des Unterrichts in Boston an und ging zur Lehranstalt in der Columbus Avenue 571, um nachzuschauen, ob Post für mich da war, und auch um Herrn Frye aufzusuchen, der zu der Zeit Mrs. Eddys Sekretär war. Mir wurde gesagt, Herr Frye sei in der Commonwealth Avenue 385, und so ging ich dorthin. Und dann wurde ich zum erstenmal von Mrs. Eddy begrüßt. Es trug sich folgendermaßen zu: Als ich gerade dort ankam, fuhr ein Mann, der Lebensmittel lieferte, vor dem Haus vor und klingelte. Während er wartete, daß die Tür geöffnet wurde, stieg ich die Stufen hinauf und stellte mich neben die Tür. Als das Dienstmädchen die Tür öffnete, fragte der Mann, ob er die Sachen hier oder an der Hintertür abliefern solle, und während sie sprachen, kam Mrs. Eddy, die im Flur gewesen war, an die Tür und sagte ihm, er möge die Sachen hinten herumbringen.
Als er sich umdrehte und die Stufen hinunterging, trat ich an die Tür und sagte: „Entschuldigen Sie bitte, ich suche Herrn Frye.“ Mrs. Eddy antwortete, daß er nicht im Haus sei. Dann erlaubte ich mir zu fragen, ob sie Mrs. Eddy sei, und als sie das bejahte, sagte ich ihr, daß ich Frank Gale sei. Als sie hörte, wer ich war, schüttelte sie mir die Hand, und dabei nahmen ihre Augen einen Ausdruck an, den ich nie vergessen werde. Ich kann ihn nicht beschreiben, aber ich fühlte mich dadurch wie zu Hause. Fast als erstes fragte sie, ob meine Mutter auch gekommen sei. Als ich ihr freimütig erzählte, daß meine Mutter gern gekommen wäre, wir aber nicht das Geld gehabt hätten, sagte sie, das tue ihr leid und es wäre nicht so gewesen, wenn sie davon gewußt hätte. Dann gab sie der Hoffnung Ausdruck, daß meine Mutter vielleicht zur nächsten Klasse kommen könne.
Ein paar Tage später hatte ich das gesegnete Vorrecht, im Klassenunterricht zu sitzen. Das Sonnenlicht der Wahrheit, das sich in Mrs. Eddys Gesicht widerspiegelte, erhellte die grauen Tage während des Klassenunterrichts. Sie war die Vornehmheit in Person. Worte können sie nicht beschreiben. Sie war so gelassen und würdevoll, und doch fühlte man solche Güte, Demut und Sanftmut.
Mrs. Eddy stellte den Schülern Fragen. Sie ging den Stoff durch, der im Kapitel „Zusammenfassung“ in Wissenschaft und Gesundheit enthalten ist, und gab uns natürlich Beispiele zur Veranschaulichung. Einen Punkt betonte sie besonders und machte ihn eindeutig klar. Um schnell heilen zu können, dürfen wir keine Krankheit in einem Patienten anerkennen, nicht einmal eine Annahme, denn wenn wir das tun, machen wir mehr oder weniger eine Wirklichkeit daraus; vielmehr sollten wir zu einem Patienten gehen in dem Bewußtsein, daß er gesund ist und daß wir ihm zeigen wollen, daß er gesund ist. Sie sagte uns, daß sie bei Heilungen, die sie augenblicklich vollbracht habe, die Persönlichkeit ganz aus den Augen verloren und nur die Gegenwart des Geistigen und Vollkommenen wahrgenommen habe.
Einmal erlaubte Mrs. Eddy der Klasse, die meiste Zeit Fragen zu stellen, und am Ende des Unterrichts kündigte sie an, daß sie während der nächsten Lektion die Fragen stellen werde und wir darauf gefaßt sein sollten, gesiebt zu werden. Und sie hielt ihr Versprechen. Durch ihre scharfe Wahrnehmungsgabe deckte sie den Irrtum im Denken eines jeden Schülers auf, und sie zögerte niemals, jemanden zu korrigieren, tat es aber mit viel Liebe und Verständnis.
Ich werde nie das Licht vergessen, das ihr Gesicht erhellte, als wir das Thema Liebe besprachen. Soweit ich mich an ihre Worte erinnere, sagte sie: „Gott ist Liebe; zu lieben heißt, Gott auszudrücken, und da Gott ewiges Leben ist, würden wir immer Leben ausdrücken, wenn wir immer liebten, und wir würden niemals eine Annahme von Tod haben. Haß ist das Gegenteil von Liebe und führt zum Tod; hassen Sie also nie etwas.“
Kurz nachdem ich nach San Diego zurückgekehrt war, begannen meine Mutter und ich, Sonntagsgottesdienste abzuhalten, die später zur Gründung Erster Kirche Christi, Wissenschafter, in jener Stadt führten.
Jedesmal, wenn ich das Gleichnis vom Unkraut und Weizen lese oder Stellen, wo Mrs. Eddy sich auf dieses Gleichnis bezieht, muß ich an einen Brief denken, den sie mir 1891 schrieb, in dem sie sagte: „Sie wachsen. Der Vater hat Sie versiegelt, und das Öffnen der Siegel darf Sie nicht überraschen. Das Wesen des Christus wird gerade durch solche Vorgänge in unserem Leben hervorgebracht. Das Unkraut und der Weizen wachsen scheinbar nebeneinander bis zur Ernte; dann wird das Unkraut zuerst eingesammelt, d. h., es gibt Zeiten, wo Sie Ihre Fehler sehen — und danach wird infolge dieses Sehens das Unkraut verbrannt, der Irrtum wird zerstört. Dann erkennen Sie deutlich die Wahrheit, und der Weizen, wird in die Scheunen gesammelt‘ — er bleibt für immer im Verständnis.“
Im gleichen Brief fügte sie hinzu: „Das Heilen wird einfacher werden und wird schneller erfolgen, wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß Gott, das Gute, alles ist, und das Gute ist Liebe. Sie müssen Liebe gewinnen und den falschen Sinn verlieren, der sich Liebe nennt. Sie müssen die Liebe fühlen, die nimmer aufhöret — jene vollkommene göttliche Macht, durch die das Heilen keine Kraft mehr ist, sondern zur Gnade wird. Dann werden Sie die Liebe haben, die die Furcht austreibt, und wenn die Furcht vergangen ist, sind die Zweifel verschwunden, und Ihre Arbeit ist getan. Warum? Weil sie niemals ungetan war.“
Viele Jahre lang kam ich zur Jahresversammlung nach Boston und hatte mehrmals interessante und lehrreiche Gespräche mit Mrs. Eddy.
Sie kennen alle das Bild, auf dem Mrs. Eddy auf dem Balkon ihres Hauses in Pleasant View steht, wo sie am 29. Juni 1903 vor einer großen Versammlung eine kurze Ansprache hielt (Verschiedenes, S. 170). Ich half an jenem Morgen beim Anweisen der Besucher und Kutschen, und am Nachmittag befand ich mich in der Menge, die aufmerksam jedem ihrer Worte lauschte.
Es ist mir immer eine Quelle der Inspiration und des Mutes, wenn ich darüber nachdenke, wie unermüdlich sich Mrs. Eddy für ihre Schüler und die Sache der Christlichen Wissenschaft einsetzte. Die meisten Briefe, die ich im Laufe der Jahre von ihr erhielt, hatte sie selbst mit der Hand geschrieben. Und wie unpersönlich sie uns auf ihre Werke lenkte. Kurz vor der Veröffentlichung einer neuen Ausgabe von Science and Health schrieb sie mir: „Ich habe mich gefreut, von Ihnen zu hören. Hatte das Gefühl, daß unser Vater Ihnen Weisung über Weisung gab, und Sie hatten den besten Lehrer und den liebevollsten in aiien Seinen Wegen. Dies verringerte alle meine Sorge für Sie.
Um meine revidierte Ausgabe zu lesen, die übrigens diese Woche erscheint, bedarf es keiner besonderen Richtlinien. Im allgemeinen sollte man mit dem ersten Kapitel beginnen, langsam lesen, und im Lesen innehalten, um gewisse Abschnitte, die augenblickliche Bedürfnisse stillen, auf das Denken anzuwenden, das sie in die Tat umsetzen wird. Das Buch ist in sich selbst vollständig, es ist ein Lehrer und Heiler. Hat fünfzig Seiten mehr als die alte, vorherige Ausgabe. Die Arbeit, die ich darauf verwandt habe, können Sie nicht ermessen, es gibt mehr Anzeichen dafür, als Sie sehen können, aber nicht mehr, als man in Zukunft fühlen wird.“
Mögen wir vorwärtsschreiten in dem Bewußtsein der Liebe, die heilt — in dem unwiderstehlichen, ununterdrückbaren, inbrünstigen Wunsch zu segnen und dadurch der Ermahnung unserer Führerin in den Vermischten Schriften (S. 206) gehorchen: „Wenn Ihr auf der Wanderung Euch zeitweilig nach der Ruhe am ‚frischen Wasser‘ sehnt, denkt über diese Lektion der Liebe nach. Erkennt ihren Zweck; und in Hoffnung und Glauben, wo Herzen einander begegnen und sich gegenseitig segnen, trinkt mit mir die lebendigen Wasser des Geistes meines Lebenszweckes: — der Menschheit die echte Erkenntnis der praktisch anwendbaren, wirksamen Christlichen Wissenschaft einzuprägen“
Fortsetzung dieser Serie folgt
