Ein Musiker namens John Buttrick schreibt: „Flüsse steigen nicht höher als ihre Quellen. Unsere Quellen müssen kultiviert, entwickelt und erneuert werden. Wir müssen uns die Zeit nehmen, uns mit den großen Ideen der Welt zu beschäftigen.“
Und er fährt fort: „Wir können nicht, wie das viele Musiker tun, unseren, Autopiloten‘ einschalten, auf die Knöpfe drücken, die richtige Einstellung wählen und so einfach die aufeinander abgestimmten Effekte produzieren. Wenn wir das tun, stehen wir in gravierendem Gegensatz zu der ursprünglichen Musikliebe, die uns einmal dazu gebracht hat, unser Leben aktiv mit der Musik zu verbinden.“ „Performing Beethoven: II, Healing the Wound“, Fanfare, Mai/Juni 1983, S. 59–62.
Diese Feststellung gilt nicht nur für die Musik und die Musiker, man kann sie genauso auf die Christliche Wissenschaft
Christian Science (kr’istjən s’aiəns) und die Christlichen Wissenschafter beziehen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, uns mehr mit den großen geistigen Ideen der Christlichen Wissenschaft vertraut zu machen, damit auch wir erneuert werden.
Wenn diese geistigen Ideen klarere Formen in unserem Denken annehmen und wir wirklich mit ihnen leben, dann bewegen sie uns, dann inspirieren und heilen sie. Dann reißen sie uns sozusagen mit. Dann empfinden wir die Anwendung der Christlichen Wissenschaft als etwas ganz Natürliches. Wenn wir andererseits versucht wären, „auf die Knöpfe zu drücken“ (d. h., die Christliche Wissenschaft „arbeiten“ zu lassen, ohne selber einen geistigen Standpunkt zu gewinnen), könnte man meinen, wir versuchten einfach, die begehrten Wirkungen zu produzieren.
Der vollkommene Gott und der vollkommene Mensch ist eine der großen geistigen Ideen, die in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy hervorgebracht werden. Diese Idee ist die Arbeitsgrundlage für die christlich-wissenschaftliche Behandlung, und alle Christlichen Wissenschafter kennen sie. Doch sind wir uns ihrer wirklich in ihrer ganzen Bedeutung bewußt?
Erzeugt z. B. das Wort vollkommen bei uns einen gewissen Widerstand? Vielleicht meint der eine oder andere, daß dieses Wort zu sehr an menschlichen Perfektionismus und Selbstgerechtigkeit erinnert — Eigenschaften, die tatsächlich alles andere als vollkommen sind. Oder vielleicht reagiert das sterbliche Gemüt so, daß es sich für das offensichtlich Unvollkommene entscheidet, weil es „zumindest etwas Greifbares“ ist.
Das sterbliche Gemüt stichelt: „Das, was ich kenne, ziehe ich jederzeit dem, was ich nicht kenne, vor. Wer hat schon jemals etwas Vollkommenes gesehen?“ Wenn wir uns solche Gedanken zu eigen machen, werden wir merken, daß uns auf unserem Wege, „die Wahrheit zu erkennen“, mehr die Worte als ihr Inhalt begleiten.
Wenn wir aber innehalten, um darüber nachzudenken, werden wir selbstverständlich erkennen, daß man sich Gott nicht anders als vollkommen vorstellen kann. So jedenfalls verstand Christus Jesus Gott und den Menschen. Der folgende Rat an seine Jünger veranschaulicht das: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Mt 5:48. Und hier handelt es sich nicht nur um eine logische Überlegung (wenn Gott weniger wäre als vollkommene Intelligenz und Liebe, dann wäre Er nicht Gott), sondern auch um reine geistige Eingebung (selbst ein Schimmer von Gott gibt Einblick in das Gute, nicht in das Böse, in das vollkommene Rechte, nicht in das Unrechte). Aber bei dieser Vollkommenheit handelt es sich nicht um einen vorherbestimmbaren geometrischen Zusammenhang. Der Christus, die Wahrheit, ist, menschlich ausgedrückt, selbstlose Liebe und Heilen — so wie es der Meister durch sein erhabenes Beispiel zeigte.
Interessanterweise benutzt Mrs. Eddy das Wort Harmonie häufiger als das Wort Vollkommenheit. Wie erleichtert ist man doch, wenn man anfängt zu begreifen, daß die Vollkommenheit Gottes, des Menschen und des Universums, die von der Christlichen Wissenschaft offenbart wird, voller Leben, Liebe und Reichtum ist. Diese Vollkommenheit ist Harmonie — geistige Musik! Sie hat nichts Eintöniges an sich. Daher können wir uns darauf verlassen, daß diese Vollkommenheit und dieses Gesetz, wenn wir sie wirklich wahrnehmen, unermeßliche Freude bereiten.
„Der Herr, dein Gott, ist bei dir, ein starker Heiland. Er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein“, sagt Zefanja, „er wird dir vergeben in seiner Liebe und wird über dich mit Jauchzen fröhlich sein.“ Zef 3:17.
Wenn wir für diese Idee der göttlichen Freude empfänglich werden, wenn wir diese Vollkommenheit allen geistigen Seins, das uns selbst mit einschließt, als etwas Wunderbares, etwas, was Freude bringt, verstehen, dann gewinnen wir ein wenig von der wahren Bedeutung des vollkommenen Gottes und des vollkommenen Menschen zurück.
Im Gegensatz zu den skeptischen Vorstellungen des sterblichen Gemüts, das dies alles für unwahrscheinlich hält, übersteigt der geistige Sinn des Seins keinesfalls unser Begriffsvermögen. Er erfüllt das Universum. Geistige Harmonie wird nicht von dem Christlichen Wissenschafter geschaffen. Die Harmonie, die wir demonstrieren wollen, besteht bereits. Sie ist unendlich in ihrem Ausmaß. Gott ist ihre Quelle. Da es sie gibt, können wir sie erkennen. Die Wahrheit ist, daß sie bereits in uns ist, denn wir sind der Mensch, das Bild und Gleichnis Gottes.
Vor einigen Jahren las ich in einer christlich-wissenschaftlichen Zeitschrift ein Zeugnis. Einige Sätze daraus beeindruckten mich sehr, weil sie die Ausübung und das Heilen in einem wundervollen Licht erscheinen ließen. Eine Frau schrieb, daß sie hoffnungslos krank und niedergeschlagen war. Doch nach beharrlichem Beten merkte sie, daß ihr Herz sang. Sie verstand das zunächst nicht, doch nachdem sich diese Erfahrung dreimal an einem Tag wiederholte, wurde ihr plötzlich klar, daß die Krankheit, mit der sie kämpfte, sie niemals wirklich berührt hatte. Sie erkannte, daß diese Krankheit nur eine ihr aufgezwungene Annahme war. Die Heilung begann in dem Augenblick, als sie das begriff.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wovon die Frau geheilt wurde. Wichtig ist, daß die reine geistige Freude an der Wirklichkeit des Seins den Zustand so darstellte, wie er war — unwirklich und aufgezwungen.
Solche Erfahrungen kann jeder von uns machen. Sie mögen nicht genauso ablaufen wie die geschilderte, aber wir können ähnliche Freude über die Vollkommenheit oder Harmonie des Seins empfinden, und das zeigt uns, daß Schmerzen, Krankheit und Trauer ein Traum sind, der nichts mit uns zu tun hat, der aufgezwungen ist.
Dazu muß man nicht eine Frohnatur oder jung sein, dafür braucht man keine Freunde, keine Familie oder finanziellen Mittel. Solche Erfahrungen kommen aus dem Herzen, und sie sind das Ergebnis von Gebet und christlicher Nachfolge, eines Lebens in Übereinstimmung mit unserem Gebet.
Dieses lebendige Gebet befähigt uns, Gott zu erkennen, die göttliche Liebe zu fühlen und sie in gewissem Maße widerzuspiegeln. Nach und nach lernen wir, daß die Materie mit ihren Begrenzungen eine mentale Illusion ist, die weder Raum einnimmt noch eine furchterregende Bedeutung hat. Durch einen Augenblick der Liebe oder manchmal durch etwas so Einfaches wie Dankbarkeit kann und wird diese Illusion oder dieser Traum zerstört werden. Oft muß man auch metaphysisch für die Allgegenwart des Guten und gegen die Wirklichkeit von irgend etwas anderem argumentieren. Dieser Durchbruch läßt dann sozusagen das wahre Wesen des Seins einströmen. Dann verstehen wir, was Mrs. Eddy folgendermaßen erklärt: „In dieser ewigen Harmonie der Wissenschaft ist der Mensch nicht gefallen: er unterliegt dem gleichen Rhythmus, von dem die Heilige Schrift sagt, da, die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Gottessöhne‘.“ Vermischte Schriften, S. 259.
Die biblischen Bilder, die singenden Engel und die jauchzenden Gottessöhne, haben ihre wissenschaftliche Grundlage in dem göttlichen Prinzip der Harmonie, das das Universum regiert und es bis in den entferntesten Winkel mit der Musik der Seele erfüllt — falls es solch einen Winkel überhaupt gibt! Diese Bilder sollen das darstellen, was für die sterblichen Sinne und das sterbliche Gemüt nahezu unbeschreiblich, aber trotzdem durch und durch wahr ist. Tatsächlich gibt es ein wahres Bewußtsein, das Bewußtsein der Seele. Es ist unser Bewußtsein, es singt.