Ich dachte immer, ich könne vom Gebet für die Welt freigestellt werden. Nicht, daß ich nicht bereit war, mein Teil beizutragen. Auch zweifelte ich nicht an der Macht des Gebets. Nur glaubte ich, ich hätte genug eigene Probleme, die ich erst lösen müsse.
Mit der Zeit merkte ich jedoch, daß ich meine eigene Erlösung nicht wirklich ausarbeiten konnte, solange ich mich von meinen Mitmenschen abwandte. Um die eigene Erlösung zu erlangen, braucht man schließlich eine umfassendere, selbstlosere Lebenseinstellung. Tatsächlich lernte ich, daß unser geistiger Fortschritt nicht im geringsten beeinträchtigt wird, wenn wir uns an Gott wenden, um anderen zu helfen. Vielmehr fördert das diesen Fortschritt. In der Bibel heißt es: „Und der Herr wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde Fürbitte tat. Und der Herr gab Hiob doppelt soviel, wie er gehabt hatte.“ Hiob 42:10. Das bedeutete nicht, daß ich aufhören sollte, für mich zu beten. Ich mußte nur aufhören, ausschließlich für mich zu beten.
Ich wußte aber auch, daß meine Versuche, anderen zu helfen, erst dann erfolgreich sein würden, wenn sie durch das beständige, aufrichtige Streben nach geistiger Erneuerung im eigenen Leben bekräftigt würden. Ohne dieses Bemühen würden meine guten Absichten niemals Gestalt annehmen.
Inspiriertes, tägliches Gebet für uns selbst ist sehr wichtig. Niemand kann uns diese Arbeit abnehmen. Wir sind es uns und der Welt schuldig, uns jeden Tag, nicht nur gelegentlich, darüber klarzuwerden, wer wir in Wahrheit sind: das geistige, sündlose Kind Gottes. (Ein von Inspiration getragenes Studium der Bibel bestätigt das.) Wenn wir unsere geistige Identität erkennen, können wir die begrenzte und materielle Auffassung von uns und anderen aufgeben. Wir sind imstande, durch das Heilen von Sünde und Krankheit zu beweisen, daß der Mensch keine vergängliche sterbliche Person aus Fleisch und Blut ist; er ist die makellose Idee des Geistes. Dieses tägliche Gebet ist für unseren individuellen geistigen Fortschritt unerläßlich, aber es sollte nicht in dem Vakuum bloßen Eigennutzes steckenbleiben.
Wenn wir darüber hinauswachsen, nur unsere eigene kleine Welt schützen zu wollen, werden unsere Gebete zweifellos wirkungsvoller. Warum? Allein schon deshalb, weil es weniger wahrscheinlich ist, daß wir törichterweise versuchen, Gott eine persönliche Vergünstigung abzugewinnen. Von selbstloser Liebe motiviertes Gebet erreicht eine höhere Stufe, von der aus wir stellvertretend für die ganze Menschheit den allumfassenden Christus, die Wahrheit, verstehen und beweisen können.
Die ideale Wahrheit, die Christus Jesus lebte, veranschaulicht das geistige Selbst des Menschen — und das schließt jeden einzelnen von uns ein. Gottes Mensch ist rein und heilig. Er ist ewig eins mit der göttlichen Liebe und ist niemals im Fleisch. Das Böse jedoch gehört, da es Gott nicht zugehört, niemandem zu, keinem Mann und keiner Frau, keiner Nation, Kultur oder Rasse. Jede Form des Bösen, die sich im einzelnen Menschen oder in der Welt zeigt, ist nur ein verschiedenes Stadium einer grundlegend falschen Lebensauffassung — der Auffassung nämlich, daß Leben materiell und von Geist, Gott, getrennt sei. Aber diese falsche Auffassung besteht nur aus den Annahmen der Sterblichen. Sie ist nicht die Wahrheit. Leben ist Gott, und Gott ist Alles. Wenn wir das voll und ganz verstehen, gewinnen wir die Oberhand über die sterblichen Annahmen, die uns begrenzen möchten.
Dies ist der Punkt, an dem unsere Verantwortung für die Menschheit einsetzt. In Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift erläutert Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr’istjən s’aiəns), auf welcher Grundlage wir dieser Verantwortung gerecht werden können: „Der Christliche Wissenschafter hat sich in den Dienst der Verminderung des Bösen, der Krankheit und des Todes gestellt und wird sie durch das Verständnis ihrer Nichtsheit und der Allheit Gottes oder des Guten überwinden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 450.
Jede Heilung, die wir durch geistige Mittel bewirken, beweist, daß Gottes Allheit praktische Wirklichkeit ist, nicht nur zu unserem eigenen Wohl, sondern zum Wohl der ganzen Welt. Dies kann uns neue Inspiration verleihen, wenn wir einen disharmonischen Zustand in unserem Leben zu heilen suchen. Wir können uns bewußt sein, daß die geistigen Wahrheiten, die wir erkennen, gleichermaßen für uns wie für alle gelten. Dadurch, daß wir die ganze Welt selbstlos mit ins Herz unseres Gebets hineinnehmen, schenken wir einem vorhandenen Problem nicht etwa weniger Aufmerksamkeit als ihm zukommt; wir bereichern vielmehr unser Gebet mit dem belebenden und heilenden Schwung der göttlichen Liebe. Unsere Arbeit geht über den bloßen Buchstaben hinaus und wird durch den Geist des Christus belebt.
Andererseits ist es wichtig, daß wir uns gewissenhaft prüfen, wenn wir spezifisch über ein Weltproblem beten. Finden wir uns auf individueller Ebene unwissentlich mit einem Konflikt ab, indem wir mit der einen oder anderen Furcht leben? Durch das Verständnis, daß alle wahre Macht Gott, dem Guten, angehört, können wir uns Furcht jeder Art bewußt entgegenstellen. „Nützt jede Gelegenheit, die Sünde durch Eure eigene Vollkommenheit zurechtzuweisen“ Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 249., rät uns Mrs. Eddy. Wenn wir durch unsere Gebete für die Menschheit dazu geführt werden, unser eigenes Herz zu erforschen, und wenn wir uns daraufhin wirklich verändern, dann können wir sagen, daß wir unsere Arbeit gut und nicht vergeblich getan haben.
Bei eigenen Problemen scheint es manchmal unser erstes und einziges Bedürfnis zu sein, das Problem — schnell — zu lösen, damit wir unser gewohntes Leben weiterführen können. Aber die Kämpfe des einzelnen können ein Mikrokosmos der Umwälzungen in der Welt sein, so etwas wie das Echo eines gewaltigen Hilferufes. Wenn wir die Lösung unserer individuellen Probleme von einem rein persönlichen Standpunkt aus angehen, könnten wir die Chance verpassen, diesem Ruf gerecht zu werden und zur geistigen Heilung eines Weltproblems beizutragen.
Natürlich gibt es Zeiten, in denen wir das Empfinden haben mögen, mit einem Übermaß an Schwierigkeiten konfrontiert zu sein. Anderen zu helfen, mag dann unmöglich scheinen, von der Welt ganz zu schweigen. Und doch ist vielleicht genau das nötig, um geheilt zu werden.
Ein Beispiel: Eines Abends, als ich auf einer Geschäftsreise war, war ich sehr aufgewühlt und konnte keinen Schlaf finden. Ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir; ich fühlte mich nicht wohl. Und wenn ich an meinen übervollen Terminkalender für den nächsten Tag dachte, fühlte ich mich noch elender. In dieser Nacht war meine Welt ohne Frieden. Auch in der übrigen Welt schien nicht gerade viel Frieden zu herrschen! Und obgleich man mein Problem kaum mit dem vergleichen konnte, was im Nahen Osten oder in Südafrika vor sich ging, konnte ich zu diesem Zeitpunkt über meinen eigenen Kampf nicht weit genug hinaussehen, um über irgend etwas anderes auch nur nachdenken zu wollen.
Ich ließ daher die Welt außer acht und versuchte, mir selbst zu helfen. Aber es gelang mir nicht. Ich wandte mich an Gott in dem Wunsch, den vertrauten Trost Seiner heilenden Gnade zu spüren. Ich betete. Ich versuchte, der biblischen Mahnung zu folgen: „So vertrage dich nun mit Gott und habe Frieden.“ Hiob 22:21 [n. der engl. King-James-Ausgabe]. Noch immer fühlte ich mich scheußlich.
Da kam mir mit einem Mal der Gedanke, die ganze Welt in mein Gebet um Frieden einzubeziehen. Das überraschte mich, aber ich tat es. Ich erkannte dankbar an, daß Gott, der Vater und die Mutter aller Menschen, die Harmonie aller Seiner Kinder ununterbrochen bewahrt. Ich dankte dafür, daß Gott allumfassende Liebe ist und daß niemand von Seiner Fürsorge und Seinem Schutz abgeschnitten ist. Ich dachte kaum noch an mich. Und was glauben Sie, was geschah? Ich wurde ruhig. Ein tiefes Gefühl geistigen Friedens überkam mich. Ich schlief ein und erwachte am nächsten Morgen ausgeruht — und demütig.
Offenkundig waren während dieser Nacht die Spannungen und Kriege in der Welt nicht verschwunden. Aber ich hatte mich verändert. Ich hatte angefangen, die Menschheit mehr zu lieben und ihr besser zu dienen. Und das, so scheint mir, mußte die Welt ein klein wenig verändert haben.
Die Menschheit braucht dringend das Licht Ihres geläuterten Lebens. Sie braucht Ihre Gebete. Nein, Sie müssen nicht alle Ihre Probleme gelöst haben, um Ihr Teil beitragen zu können. Aber Sie sollten jeden Tag bereit sein, Ihr Gebet weiter zu fassen. Wenn Sie für die Heilung der Welt beten, helfen Sie sich selbst. Und wenn Sie Sünde und Krankheit in sich selbst überwinden, helfen Sie der Menschheit.
