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Der alte Prophet, der Mann Gottes und geistiger Gehorsam

Aus der September 1988-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Im 1. Buch der Könige Siehe 1. Kön, Kap. 13. findet sich eine Geschichte, die dort fast untergeht. Aber sie ist ein Juwel. Sie umfaßt nur ein Kapitel, doch durch ihre meisterhafte Erzählweise und ihre ungewöhnliche Ironie hinterläßt sie einen tiefen Eindruck. Sie kann uns, wie die bekannteren Bibelgeschichten, wichtige geistige Erkenntnisse vermitteln.

Ein nicht näher benannter, unbedeutender Prophet weissagt wider die Politik des Königs Jerobeam. Der König hört das, streckt seine Hand gegen den Propheten aus, und seine Hand verdorrt; er kann sie nicht mehr benutzen. Daraufhin fleht der König den Mann Gottes um Hilfe an, und der heilt die Hand des Königs. Somit wird klar, daß dieser Prophet die Macht hatte, zu weissagen und zu heilen. Er ist also doch nicht so „unbedeutend". Und die Erzählung läßt seine eigentliche Reinheit erkennen.

Der König will sich dem Mann Gottes erkenntlich zeigen und lädt ihn zu sich in seinen Palast ein, damit er sich dort „labe" und seine Gastfreundschaft genieße. Doch der Mann Gottes lehnt diese Einladung ganz unmißverständlich ab: „Wenn du mir auch die Hälfte deiner Habe geben wolltest, so käme ich doch nicht mit dir; denn ich will an diesem Ort kein Brot essen noch Wasser trinken. Denn das ist mir geboten durch des Herrn Wort: Du sollst kein Brot essen und kein Wasser trinken und nicht den Weg zurückgehen, den du gekommen bist."

Als nächstes trifft der Mann Gottes mit einem alten Propheten zusammen, den die Kunde von seinen heiligen Taten erreicht hat. Der alte Prophet will ihn zu sich nach Hause zum Essen einladen. Der Mann Gottes gibt ihm fast die gleiche Antwort, die er zuvor dem König gegeben hat. Doch der Fremdling läßt nicht locker. Er behauptet, er habe von Gott eine Botschaft empfangen. Ein Engel habe ihm gesagt, er solle den Mann Gottes zum Essen zu sich nach Hause mitnehmen. Der Mann Gottes gibt nach und nimmt die Einladung an. Doch noch bevor die beiden ihr Mahl beendet haben, poltert der alte Prophet auf eine Art los, die wohl für unerquickliche Gespräche bei Tisch einmalig sein dürfte. Er sagt dem Mann Gottes den Untergang vorher, weil er dem Wort des Herrn nicht gehorcht und seine Mission unterbrochen habe, um der Einladung des alten Propheten zu folgen.

Die Voraussage trifft ein, und der Mann Gottes wird von einem Löwen getötet. Als der alte Prophet das erfährt, erwidert er ungerührt: „Es ist der Mann Gottes, der dem Mund des Herrn ungehorsam gewesen ist. Darum hat ihn der Herr dem Löwen gegeben."

Oberflächlich betrachtet, geht es in dieser Geschichte ganz offensichtlich um die Bedeutung unbeirrbaren Gehorsams gegen Gott und um den Schutz, den uns dieser Gehorsam gewährt. Die Geschichte greift des vertraute biblische Thema der weltlichen Versuchung auf. Doch hier tritt die Versuchung in einer besonders raffinierten Form auf, denn sie kommt aus dem Munde eines Mannes, der angeblich heilig ist, aus dem Munde eines Propheten mit einer „Engelsbotschaft" von Gott. Wir ziehen daraus die Erkenntnis, daß wir die moralische Verantwortung für unsere Handlungen übernehmen müssen, unabhängig davon, wie sehr uns die Versuchung hypnotisieren und irreleiten will. Christus Jesus warnte seine Jünger: „Seht zu, daß euch nicht jemand verführe! Es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin's, und werden viele verführen."  Mk 13:5, 6.

Hintergründiger könnte man sagen, daß uns diese Geschichte etwas über das radikale Wesen geistigen Gehorsams lehrt. Das menschliche Gemüt möchte gern, daß sich Geistigkeit menschlichen Annehmlichkeiten und Konventionen anpaßt, sich in sie einbinden läßt. Selbst ein Prophet sollte bereit sein, einmal für eine kleine Erfrischung oder etwas Geselligkeit eine Pause einzulegen. (Es ist doch so üblich: Trifft man einen Propheten, und er ist erfolgreich, so lade man ihn zum Essen ein!)

Kurz nach dem Klassenunterricht in der Christlichen Wissenschaft
Christian Science (kr'istjən s'aiəns), ich war damals ein junger Mann, rief ich einmal meinen Lehrer an und lud ihn beiläufig zum Essen ein, denn ich war auf der Durchreise. Er erteilte mir mit seiner freundlichen, aber bestimmten Antwort eine Lektion. Er erklärte, daß er an jenem Tage nicht zum Essen ausgehen werde, da er mit Heilarbeit vollauf beschäftigt sei. Aus seinen kurzen Bemerkungen wurde die Qualität seines Lebens und seiner Liebe ersichtlich. Für mich hob sich damit der Vorhang, gab mir den Blick frei auf eine andere Welt — auf eine Welt der Geistigkeit. Obwohl ich mich bei anderen Gelegenheiten sehr wohl am Mittagstisch mit meinem Lehrer unterhalten konnte, so hatte ich doch zu jenem Zeitpunkt gerade diese Lektion nötig gehabt.

Geistiger Gehorsam ist nicht darauf angelegt, sich in die Konventionen des materiellen Lebens „einzufügen". Geistigkeit kann nicht umhin, das größere, ja das unendlich viel größere Universum des Geistes wahrzunehmen, das einfach nicht in den Rahmen typisch menschlicher Annahmen paßt. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt: „Was menschlichen Ursprungs zu sein scheint, ist eine Fälschung des Göttlichen — nämlich menschliche Vorstellungen, sterbliche Schatten, die über das Zifferblatt der Zeit huschen." Vermischte Schriften, S. 71. Und an anderer Stelle sagt sie: „ ... der Vorhang des menschlichen Lebens aber sollte vor der Wirklichkeit hochgehen, vor dem, was mehr wiegt als die Zeit ..." Botschaft an Die Mutterkirche für 1902, S. 17.

Der Mann oder der Mensch Gottes — der seine Aufgabe darin sieht, den Anweisungen und Forderungen des göttlichen Geistes zu folgen — lernt verstehen, daß er nicht in einer Welt menschlicher Erscheinungen, sondern im Reich Gottes lebt. Er erkennt, daß er alles gewinnt und nichts verliert durch bedingungslosen Gehorsam gegenüber allem, was sein Gott im Menschen zum Ausdruck bringt. Dadurch wird er kein weltfremder Theoretiker. Er wird vielmehr in dieser Welt konkret etwas leisten.

Dieser Gehorsam gibt uns nicht nur mehr Sicherheit, Heilung, größere Individualität und die Fähigkeit, anderen zu helfen; viel wichtiger ist, daß er das Denken für die göttliche Wirklichkeit oder die Wissenschaft des Seins öffnet, die diese menschlichen Verbesserungen erst möglich macht. Wir geben uns dabei nicht mit einer leicht verbesserten, aber nichtsdestoweniger endlichen und sterblichen Lebensauffassung zufrieden, und wir lernen etwas über das Leben, das Gott ist. Unser moralischer Gehorsam ist dann nicht nur die pflichtbewußte Anpassung an uns bekannte Forderungen, sondern wandelt sich zu etwas viel Höherem. Er entspringt der Erkenntnis, daß sich der geistige Mensch — unsere wahre Individualität — tatsächlich in völliger Übereinstimmung mit dem göttlichen Prinzip bewegt, daß der Mensch nichts Geringeres ist als das exakte Ebenbild des göttlichen Gemüts.

Dieser Gehorsam hat nichts Statisches oder Einschränkendes an sich. Er bringt reine Freiheit und Erfüllung. Er bringt die Christlichkeit, die uns nicht nur zu Dienern, sondern zu Söhnen des lebendigen Gottes macht.

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