Warum gingen so viele Menschen zu Christus Jesus, um geheilt zu werden? War es nicht hauptsächlich deshalb, weil er immer bereit war zu heilen? Viele kamen natürlich, weil sie von seinen wunderbaren Werken gehört hatten. Andere trafen ihn scheinbar zufällig. Aber diese Begegnungen können nicht lediglich aufgrund seines Rufes als Heiler oder durch Zufall stattgefunden haben. Sie waren das Ergebnis seines ernsthaften und hingebungsvollen Gebets.
Hier sind einige Beispiele, die in der Bibel erwähnt werden: Es wird berichtet, daß Jesus „vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte", als er zu Beginn seines Wirkens in der Wüste war, was darauf schließen läßt, daß er geraume Zeit in tiefer Zwiesprache mit Gott verbrachte; später blieb er, bevor er seine Jünger auserwählte und die Bergpredigt hielt, „die Nacht über im Gebet"; ehe Jesus der Bitte nachkam, Lazarus zu helfen, wartete er zwei Tage, in denen er sicherlich inniglich gebetet haben muß; und in der Nacht vor seiner Verurteilung und Kreuzigung betete Jesus ernsthaft in Gethsemane. Siehe Mt 4:2; Lk 6:12; Joh 11:6; Mt 26:36-44.
Dadurch, daß Jesus beständig Zwiesprache mit Gott hielt, überließ er nichts dem Zufall; er betete bei allem, was er tat. Und da er stets bestrebt war, den Willen seines himmlischen Vaters zu tun, konnte er sich getrost darauf verlassen, daß Gottes Liebe und Führung in Erscheinung treten und ihn immer zur rechten Zeit an den rechten Ort bringen würden. Wenn er täglich das Leben anderer berührte, waren das keine Zufallsbegegnungen, sondern das logische Ergebnis seiner Bereitschaft, den Willen des Vaters zu tun. Wenn sich Gelegenheiten zum Heilen boten, brauchte Jesus nicht immer zusätzliche Zeit, um erst noch zu beten. Er hatte bereits gebetet. Und immer wieder erfolgte die Heilung augenblicklich.
Betrachtet man Jesu hervorragenden Erfolg als Heiler etwas näher, so stellt man fest, daß er ein gewisses Vorherwissen in bezug auf seine Werke besaß und auf sie vorbereitet war. Das heißt, Jesu vorbereitende Gebete waren ein elementarer Bestandteil seiner Werke. So erfüllte er das zeitlose, heilende Wirken seines Vaters, wie es im Buch des Propheten Jesaja heißt: „Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören." Jes 65:24. Für die Menschen, die Hilfe suchten, schien der Akt des göttlichen Heilens natürlich eine menschliche Beziehung zwischen Heiler und Patient zu erfordern. Aber in mindestens einem Fall war derjenige, der von Krankheit befreit wurde, nicht einmal gegenwärtig, als Jesus gebeten wurde, ihn zu heilen. Siehe Mt 8:5-13. Beim christlichen Heilen ist die Vorbereitung äußerst wichtig.
Mary Baker Eddy war eine treue Nachfolgerin des Meisters; sie hat durch ihr Beispiel gezeigt, wie wichtig es ist, sich beständig im Gebet auf die Heilarbeit vorzubereiten. Und ihr Gebet für ihre Nachfolger im Jahre 1895 gilt heute noch genauso: „Möge Gott meine Schüler stärken, das Kreuz auf sich zu nehmen, wie ich es getan habe, und dem dringenden Bedürfnis nach einer rechten Vorbereitung des Herzens nachzukommen, um die Christliche Wissenschaft auszuüben, zu lehren und zu leben." Vermischte Schriften, S. 115.
Wie kann regelmäßiges, hingebungsvolles Gebet uns helfen, uns auf das Heilen vorzubereiten? Zur Veranschaulichung der Antwort nehmen wir einmal an, daß jemand ein akademisches Fach studiert und sich fragt, welchen praktischen Wert die Arbeit für sein späteres Leben hat. Das Studium ist mehr als eine intellektuelle Übung, es entwickelt indirekt in dem Studierenden gewisse überaus wichtige Eigenschaften wie Disziplin, Hingabe, Geduld, um nur einige wenige zu nennen. Und oft erweitert die Entwicklung dieser Eigenschaften — wenn sich auch der einzelne dessen nicht bewußt sein mag — die mentale und moralische Fähigkeit, den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Die Entwicklung solcher Eigenschaften ist tatsächlich wichtiger als die Anhäufung akademischen Wissens, denn materielles Wissen kann sich ändern, aber moralisches Format kann eine starke und dauernde Basis für das ganze Leben sein.
Auf eine noch tiefere Weise entwickelt das Gebet Eigenschaften, die für ein christliches Leben wesentlich sind. Wenn wir Gottes lenkende Gegenwart und fürsorgliche Liebe anerkennen, wenn wir das vollkommen geistige Wesen Gottes und Seiner Schöpfung, einschließlich des Menschen, bejahen und uns gottähnliche Eigenschaften wie Gehorsam, Integrität Frieden und Freude zu eigen machen, dann wird unser Leben mehr und mehr ein gelebtes Gebet, das uns darauf vorbereitet, Probleme allein durch geistige Mittel anzugreifen und zu lösen.
Wenn wir täglich hingebungsvoll beten und die Sünde konsequent überwinden, können wir sicher sein, daß unser geistiges Verständnis ständig zunimmt. Geistiges Wachstum wiederum vermittelt uns ein klareres Verständnis davon, daß der Mensch als Gottes Ebenbild unveränderlich vollkommen ist. Aber durch Gebet erzieltes Wachstum ist niemals routinemäßig. Unsere zunehmende Geistigkeit spiegelt sich in unserem täglichen Leben wider. Wir sind heute nicht die gleiche Person, die wir gestern waren. Jeder Tag stellt neue Anforderungen — bietet einzigartige Gelegenheiten, Gottes heilende Macht zu beweisen. Jede Herausforderung verlangt frische Inspiration. Und nur durch regelmäßiges Gebet können wir das geistige Wachstum erleben, durch das wir Schritt halten können mit den sich täglich bietenden Gelegenheiten zu heilen.
Unser tägliches geistiges Wachstum läßt es nicht zu, daß wir einer Versuchung nachgeben und zum Irrtum zurückkehren. Wir können niemals zu Fehlern oder Überzeugungen zurückkehren, denen wir wahrhaft entwachsen sind. Gott führt uns nur in eine Richtung — vorwärts. Wir müssen also ständig vorwärts blicken. Und unser täglicher Fortschritt und unsere hingebungsvollen Gebete werden ganz gewiß Früchte tragen. In Wissenschaft und Gesundheit erklärt Mrs. Eddy: „Beim Gehen werden wir von den Augen geleitet. Wir schauen vor unsere Füße, und wenn wir weise sind, blicken wir über den einzelnen Schritt hinaus in Richtung des geistigen Fortschritts." Wissenschaft und Gesundheit, S. 429.
Solch geistiger Fortschritt schließt unvermeidlich die aufrichtige Bereitschaft und wachsende Fähigkeit ein, anderen durch Gebet zu helfen. Wenn Leibe zu Gott und den Menschen uns motiviert, betrachten wir bald alles, was wir tun, als eine heilende Tätigkeit, als eine auf Gebet beruhende Vorbereitung auf das Heilen menschlicher Nöte.
Das tägliche Studium der Bibellektion im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft inspiriert, erhebt und vergeistigt das Denken; es ist eine wertvolle Quelle geistiger Ideen, die man sich zu eigen machen und praktisch anwenden kann. Das regelmäßige Studium der Bibellektion ist alles andere als eine routinemäßige intellektuelle Übung; es hilft uns, uns auf die Heiltätigkeit vorzubereiten, indem es unser Denken erneuert und so für den heilenden Christus empfänglicher macht.
Ein junger Christlicher Wissenschafter hegte den innigen Wunsch, anderen durch Gebet zu helfen. Aber da niemand ihn um Hilfe bat, meinte er, daß er seine Pflicht als Christlicher Wissenschafter, Jesu Gebot „Macht Kranke gesund" Mt 10:8. zu befolgen, nicht voll und ganz erfülle. Eines Morgens, als er die Bibellektion studierte, fielen ihm die folgenden Worte aus Wissenschaft und Gesundheit auf: „Erkenne dich selbst, und Gott wird dir Weisheit und Gelegenheit zu einem Sieg über das Böse geben." Wissenschaft und Gesundheit, S. 571. Den ganzen Tag über dachte der junge Mann über diese Worte nach. Schließlich ging ihm auf, daß er nicht persönlich dafür verantwortlich war, eine Gelegenheit zum Heilen zu finden. Da er in seiner gebeterfüllten Arbeit Gott als die wahre Quelle seines Seins anerkannt hatte, konnte er sich darauf verlassen, daß Gott ihm „Weisheit und Gelegenheit zu einem Sieg über das Böse geben" würde. An jenem Abend klopfte es an seiner Tür. Es war jemand, der Hilfe durch die Christliche Wissenschaft erbat. Diese Erfahrung regte den Christlichen Wissenschafter dazu an, sich weiterhin mit dem Gedanken der öffentlichen Ausübung der Christlichen Wissenschaft zu befassen; und wie er feststellte, ergaben sich neue Gelegenheiten zu heilen in dem Maße, wie er bereit war, sie zu ergreifen. Da unser theoretisches Verständnis von der Wahrheit unserer eigentlichen Demonstration meist weit voraus ist, müssen wir in das Christus-Ideal des augenblicklichen Heilens, das Jesus demonstrierte, hineinwachsen. Aber ehrliche Selbstprüfung und die Läuterung unserer Motive und unseres Lebens werden unseren Fortschritt beschleunigen. Nichts sollte uns von der Erkenntnis abhalten, daß Wahrheit jetzt demonstriert werden kann, weil sie jetzt wahr ist.
Andere zu heilen erfordert Engagement, regelmäßiges Studium und viel Geduld, Mitgefühl und Liebe. Der Ausüber ist sich darüber klar, daß persönliches Charisma und Redegewandtheit nicht heilen. Er weiß, daß man sich nur dann voll und ganz der Ausübung der Christlichen Wissenschaft widmen kann, wenn man die Christliche Wissenschaft voll und ganz lebt. Im Grunde ist unser Leben unsere Praxis. Wir heilen durch die Christus-Kraft, die wir ausdrücken. Die Hingabe des Ausübers an dieses Ideal beginnt meist lange bevor er zum erstenmal um Behandlung gebeten wird, denn er ist in dem Maße bereit zu heilen, wie er von Sünde frei ist.
Wie können wir nun das Vertrauen auf unsere Fähigkeit zu heilen gewinnen und uns erhalten? Wir müssen immer wieder daran denken, daß unsere Praxis nicht von persönlichen Fähigkeiten abhängt. Der christliche Heiler ist in dem, „was seines Vaters ist". Es ist Gottes Praxis. Die göttliche Liebe ist allerhaben; sie läßt uns nie im Stich. In dem zu sein, was unseres Vaters ist, verlangt, daß wir unser Herz vorbereiten, der Liebe gehorsam sind, und dadurch erkennen wir, daß die göttliche Liebe unangefochten jede Einzelheit unseres Lebens regiert.
Die heutige Welt bedarf dringend des Heilens. Viele suchen nach Wahrheit und Liebe. Durch die Wissenschaft des Christentums haben wir die praktischen Mittel — ja die einzig wirklich effektiven Mittel —, dieses Bedürfnis zu stillen. Wir können viel geben. Und wenn wir gründlich vorbereitet sind, können wir jede Gelegenheit zu heilen im Geiste der liebevollen Erwiderung des Apostels Petrus ergreifen, der zu dem Lahmen vor der Tür des Tempels sagte: „Was ich. .. habe, das gebe ich dir." Apg 3:6.
Sind wir bereit?
