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Jeder ist vollständig, jeder ohne Behinderung

Aus der Januar 1989-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Olympische Spiele der Behinderten. Marathon der Rollstuhlfahrer. Blinde Seeleute gehen auf eine lange, einsame Seereise. All das bejahen wir von Grund auf. Aus tiefstem Herzen bewundern wir den Mut, der sich hier zeigt, und freuen wir uns, daß Hindernisse überwunden werden.

In den letzten Jahren hat sich in den Ländern der westlichen Welt ein neuer Konsens des öffentlichen Denkens gegenüber den Behinderten herausgebildet. Leicht zugänglichere Parkplätze werden für sie reserviert. Auffahrtsrampen werden gebaut, Gesetze gegen die Diskriminierung der Behinderten verabschiedet. Am wichtigsten ist jedoch, daß wir in der öffentlichen Meinung Anzeichen für einen Bewußtseinswandel erkennen: Vorurteile werden mißbilligt, jedes Mitglied der menschlichen Familie wird mit einbezogen, willkommen geheißen und ermutigt.

Von Menschen, die als behindert angesehen werden, hören wir oft, daß sie es besonders schätzen, wenn ihnen nicht herablassendes Mitgefühl entgegengebracht wird, sondern sie auf die gleiche Stufe mit allen anderen gestellt werden.

Dieser Punkt führt zu einer grundlegenden Frage. Wie können wir jemanden gleich behandeln, wenn er dem äußeren Erscheinungsbild nach, sei es mental oder körperlich, nicht gerade gleich ist? Aber dennoch ist das offenbar notwendig.

Müssen wir dazu nicht bei unserer eigenen Einstellung anfangen? Es mag sein, daß wir einige grundlegende Vorurteile in Frage stellen müssen. Nehmen wir an, es sei jemand körperlich entstellt — so wie zum Beispiel die jugendliche Hauptperson aus dem amerikanischen Film „Die Maske“. Schaudern wir — innerlich oder äußerlich — vor dem Anblick zurück? Und wenn ja, aus welchem Grund? Hat es nicht sehr viel damit zu tun, daß uns die Gesellschaft gelehrt hat, Schönheit und Attraktivität, ja sogar Güte mit bestimmten körperlichen Merkmalen gleichzusetzen? Aber ist das wirklich sinnvoll?

Zu diesem Thema finden wir eine interessante Betrachtung in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy. Hier schreibt Mrs. Eddy unter Verwendung eines Zitats des schottischen Dichters Robert Burns: „ ... der Verlust eines Gliedes oder die Verletzung eines Zellengewebes ist manchmal gerade der Erwecker der Männlichkeit, und der unglückliche Krüppel zeigt vielleicht mehr Adel der Gesinnung als der stattliche Athlet, indem er uns gerade durch seine körperlichen Mängel lehrt:, Der Mensch ist ein Mensch trotz alledem.‘ “ Wissenschaft und Gesundheit, S. 172.

Wie in vielen anderen Bereichen, so werden auch in der Förderung der Behinderten große praktische Fortschritte erzielt, wenn wir unsere Anschauung vom Menschen entmaterialisieren. In dem Maße, wie wir die Annahme fallenlassen, daß der Mensch durch die Vollzähligkeit seiner Glieder oder seiner Sinne definiert werde oder durch sein körperliches Aussehen, gelangen wir mehr und mehr zu der Überzeugung, daß der einzelne „heil“ ist. Dann werden wir in ihm nicht mehr die Person sehen, die hinkt oder der eine Hand fehlt, sondern wir sehen die Eigenschaften, die zum Ausdruck kommen.

Wir können erkennen, wohin uns das führen muß. Es kann nicht damit getan sein, daß wir die Ganzheit oder das „Menschsein“ eines körperlich Behinderten wahrnehmen. Diese Sicht muß sich auch auf den seelisch oder geistig Behinderten erstrecken.

Oft ist das gerade am schwierigsten, weil uns auch hier beigebracht wurde, daß Einstellung und Verhalten eines Menschen seinen Charakter offenbaren. Aber wir wissen es doch besser. So wissen wir zum Beispiel, daß jemand, der wild zurückschlägt, vielleicht unter einem alten Verhaltensmuster leidet, das ihm selbst einmal durch Mißhandlung aufgedrückt wurde. Wird er davon befreit, so zeigt sich, daß sein Charakter weitaus widerstandsfähiger ist, als man glaubte. Unter der Oberfläche kommen Ganzheit und Güte zum Vorschein.

Nun wird wohl langsam deutlich, daß sich dieser Schriftleiterartikel nicht so sehr damit beschäftigt, wie wir den Behinderten helfen können, als damit, wie wir uns helfen können, behindertes und begrenztes Denken aufzugeben.

Kommt nicht der menschliche Fortschritt auf allen Gebieten dadurch zustande, daß wir uns von der althergebrachten Bindung des Menschen an die Materie lösen? Weder der Behinderte, der ein oder mehrere Gliedmaßen oder Sinne verloren hat, noch die unversehrte materielle Person ist in Wahrheit der Mensch, den Gott erschaffen hat.

Unmittelbar vor dem oben angeführten Zitat aus Wissenschaft und Gesundheit heißt es: „Was ist der Mensch? Etwa Gehirn, Herz, Blut, Knochen usw., ein materieller Bau? Ist der wirkliche Mensch in dem materiellen Körper, so nimmst du einen Teil vom Menschen weg, wenn du ein Glied amputierst; der Chirurg zerstört das Menschentum, und die Würmer vernichten es."

Muß nicht die Fähigkeit, den wahren Menschen zu erkennen, Christus Jesus angeboren gewesen sein? Er sah in dem Mann, der schon 38 Jahre am Teich zu Betesda gelegen hatte, keinen „Krüppel“. Er sah in ihm den Menschen, das geistige Kind des geistigen Vaters, des unkörperlichen Gottes, der Liebe ist. Er sah über das, was er mit den Augen wahrnahm, hinaus auf das, was er erkannte. In Christi Jesu Leben wird uns das greifbare Endergebnis dieser völlig anderen Auffassung vom Menschen vor Augen geführt. Sie bedeutete nicht einfach, liebevoll zu sein und Mut zuzusprechen, nein, sie heilte.

Diese Anschauung, daß der Mensch geistig ist, daß Gott den Menschen — als Sein Ebenbild — unversehrt und vollkommen erhält, daß Liebe und Geistigkeit uns in die Lage versetzen, diese Ganzheit klarer wahrzunehmen, liegt den Heilungen durch Gebet in der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr’istjən s’aiəns) zugrunde. Sie stellt aber auch besondere Forderungen an den Christlichen Wissenschafter. Er darf sich, da er so überzeugt die geistige Vollkommenheit und Unversehrtheit des Menschen vertritt, nicht unversehens in ein Gefühl der Unsicherheit hineinziehen lassen in Gegenwart eines Menschen, dessen körperliche oder geistige Behinderung noch nicht geheilt werden konnte. Wir müssen außerdem vor der Ansicht auf der Hut sein, eine Behinderung sei notwendigerweise darauf zurückzuführen, daß jemand gesündigt habe, oder bestehe noch immer, weil er zu wenig Geistigkeit aufweise. Wir brauchen nur an Paulus und seinen „Pfahl im Fleisch“ 2. Kor 12:7. zu denken — eine nachdrückliche Mahnung, niemanden zu richten!

Zu verstehen, daß der Mensch geistig ist, bedeutet an dieser Erkenntnis festhalten, und zwar unabhängig davon, ob das Fleisch auf diese geistig wissenschaftliche Tatsache reagiert oder nicht. Der ganze Mensch, ohne Behinderung und ohne endliche Definition gleich welcher Art, ist mit Sicherheit der einzige Begriff vom Menschen, den die göttliche Liebe hat. Und diese Anschauung bietet der Menschheit die Heilmethode, die am tiefsten geht. Mit ihrer Hilfe können wir uns von dem Vorurteil der materiellen Sinne freimachen — und ganz einfach lieben.

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