Das kleine Mädchen Opal Whiteley wuchs kurz nach der Jahrhundertwende auf. Sie hatte ihre Eltern verloren und wurde von Pflegeeltern in den rauhen Holzfällerlagern im amerikanischen Bundesstaat Oregon aufgezogen. Mit fünf Jahren begann sie zu „drucken“ – auf Papierfetzen zu schreiben; mit der Zeit entstand ein ungewöhnliches Kindertagebuch.
Auf den Blättern, die Opal beschrieben hat, sind viele Beschreibungen der tiefsten Sehnsüchte und Hoffnungen eingefangen, die allen Menschen auf der Welt gemein sind. Die bildreiche Sprache ihres suchenden, kindlichen Herzens spricht Bände. Auf dem Schutzumschlag einer neuen Ausgabe des Tagebuches heißt es: „Opals Botschaft ist schlicht: Gott sorgt für uns. Das Leben steckt voller Wunder.“
Hier ein Beispiel. Opal beschreibt eine Episode mit dem Pferd der Familie:
Wenn auf den Feldern die Kornblumen blühen,
pflücke ich sie
und flechte daraus einen Blumenkranz
für Shakespeares Hals.
Dann erzähle ich ihm etwas über den Mann,
dessen Namen er trägt.
Er ist ein so schönes graues Pferd,
und er hat ein so sanftes Wesen.
Er findet auch Gefallen,
so wie ich,
an den blauen Hügeln hinter den Feldern.
An anderer Stelle berichtet Opal, wie ihr Schwein Peter Paul Rubens eines Tages unerwartet durch die Tür des Schulraums kommt. Der Lehrer schickte Peter und Opal stracks nach Hause:
Entlang des Weges gruben wir viele kleine Pflanzen aus,
um sie in meiner Kathedrale einzupflanzen.
Und wir beteten
und kehrten heim. Opal Whiteley, in der Bearbeitung von Jane Boulton, Opal: The Journal of an Understanding Heart (Palo Alto: Tioga Publishing Company, 1984), S. 20.
Ihr „Gefallen ... an den blauen Hügeln hinter den Feldern“, ihre Kathedrale aus Wildblumen und Pflanzen, in der sie und Peter Paul Rubens „beteten“, verrät uns ein Herz und ein Gemüt, das über die Härte ihres jungen Lebens hinausweist. Opal besaß eine Unschuld, die sie — trotz großen Verlustes — das Gute erkennen ließ, das überall hindurchschien. Gott war tatsächlich fürsorglich; ja, das Leben war ein Wunder.
Vielleicht ist ein Kind wie Opal deshalb so herzerfrischend, weil die Welt, mit der wir in Berührung kommen, uns so oft unerklärlich grausam erscheint. Wir mögen uns fragen, wie wir denn nur mit allem fertig werden können — mit den Bürgerkriegen und Hungersnöten, den Erdbeben und der Obdachlosigkeit, mit den Mißhandlungen, Sünden und tragischen Todesfällen. Wenn gesellschaftliche Probleme — oder unsere eigenen — die Kraft eines einzelnen übersteigen, sehnen wir uns alle ganz natürlich nach der Erkenntnis, daß es einen Gott gibt, der für uns sorgt. Und etwas ganz Bemerkenswertes geschieht, wenn wir schließlich die geistige Wirklichkeit jener Fürsorge und das göttliche Gesetz, das sie verkörpert, verstehen lernen. Wir finden dann Lösungen für die Probleme. Die Hoffnungslosigkeit schwindet. Unser Leben schließt Heilung ein.
Die geistige Tatsache, daß Gott für uns sorgt, umfaßt so viel mehr als nur den schlichten Glauben an eine überlebensgroße, anthropomorphische Vaterfigur. Der Gott absoluter Fürsorge ist nicht eine Art meisterhafter Schachspieler, der vom Himmel auf diesen betriebsamen kleinen Planeten herabschaut und dann entscheidet, wie die Figuren geschoben werden müssen, damit ein unerforschlicher Vorsatz erfüllt werde.
Es bietet uns weder Hilfe noch Trost, wenn wir ein derartiges „unbekanntes“ Wirken einer vermeintlich unergründlichen Gottheit akzeptieren. Das Leben der Menschen würde damit nur auf einem ungewissen, unsicheren Grund ruhen, der letztendlich manchmal Gutes, manchmal Schmerzliches hervorbringt.
Was jedoch die Bibel in ihrer tiefsten geistigen Bedeutung lehrt und was Christus Jesus durch sein Heilungs- und Erlösungswerk demonstrierte, verweist auf einen allerhabenen Gott, der unendliche, nie versagende Liebe und allmächtiger Geist ist, die reine Wahrheit, das allwissende Gemüt. Dieser Gott ist die vollkommene Ursache, und Seine Schöpfung muß somit das vollkommene Ergebnis sein. Was Gott in Seiner Liebe erschafft, wird ewiglich in dieser Liebe umsorgt. Diese Fürsorge genießen wir nicht nur zu bestimmten Zeiten, noch ist sie unzuverlässig. Was Gott gut und vollkommen erschaffen hat, erhält Er auch so. Das liegt in der Natur des einen vollkommenen, schöpferischen Gemüts und Seiner geistigen Idee.
Die folgende Aussage aus Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy wird in der Lehre der Christlichen Wissenschaft als ein Grundgesetz der Wirklichkeit angesehen: „Das göttliche Gemüt, das den Menschen geschaffen hat, erhält auch Sein Ebenbild und Gleichnis.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 151. Wahre, göttliche Fürsorge beruht auf dieser Tatsache, daß Gott den Menschen erhält. Gott läßt nicht zu, daß etwas, was Er geschaffen hat, je an Wert verliert, zusammenbricht, sich abnutzt odernutzlos wird. Vollkommene Schöpfung bedeutet vollkommene Tätigkeit und vollkommenes Sein — und das unaufhörlich.
Man mag einwenden, daß dieses Bild vom Leben nur wenig mit den Ereignissen zu tun hat, die sich in den abendlichen Nachrichtensendungen aus aller Welt abspielen oder sich in unseren eigenen vier Wänden oder in unserer Stadt zeigen. Doch wenn wir einen Schimmer von Gottes eigentlicher Macht und Güte bekommen, ändert sich die Sachlage hier und jetzt. Dadurch, daß wir das, was wir im Gebet erschaut haben, als wahr erkennen, es beanspruchen und zum druck bringen, vollzieht sich ein Wandel. Unser Begriff von dem, was möglich ist, ändert sich. Wir ändern uns. Nur wenn wir unser Leben und unseren Lebenszweck in Gott sehen, kann uns klar werden, wie wir darangehen können, unsere Probleme und die der Welt zu lösen oder zu heilen. Im Neuen Testament findet sich der Rat: „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ 1. Pet 5:6, 7.
Gott sorgt tatsächlich für uns. Jenes kleine Mädchen Opal, das einst ein Tagebuch in den Holzfällerlagern Oregons schrieb, wußte, daß es so sein mußte. Wenn wir etwas von dieser einfachen geistigen Wirklichkeit und ihren tiefgreifenden geistigen Auswirkungen auf unser Leben erfassen können, wird sich diese Welt ganz gewiß verändern.
