In einer Rundfunksendung hörte ich einmal einen Geistlichen, der über die Freude sprach. Er sagte, wenn er das Gebet des Herrn bete, dann füge er der Bitte um das tägliche Brot die Bitte um die tägliche Freude hinzu. Das hat mir so gefallen, daß ich es mir zu eigen gemacht habe. Daraus habe ich gelernt, daß Freude tatsächlich ein Bestandteil unsrer täglichen geistigen Nahrung ist.
Jeder Mensch sehnt sich nach zuverlässigem — nicht nur gelegentlichem und seltenem — Glück. Und das ist unser gottgegebenes Recht. Nur die Ansicht darüber, was diese Freude ausmacht und wie man sie erlangen kann, ist sehr verschieden. Für viele würde zum Beispiel Freude von einer erstklassigen beruflichen Situation, einer erfolgreichen Karriere, abhängen. Andere wiederum erhoffen sich ihr Glück durch einen passenden Ehepartner oder aber das große Los. Die Mittel und Wege, mit deren Hilfe man zu solch einem ersehnten Ziel zu gelangen hofft, sind sehr unterschiedlich.
Freudvolle Erlebnisse und Zustände sind sicher sehr schön. Doch insoweit sie auf materiellen Voraussetzungen beruhen, sind diese Freuden so unzuverlässig wie alles Materielle. Oft werden sie schnell unter Enttäuschungen oder Kummer begraben und vergessen.
Die Freude aber, von der in diesem Artikel die Rede ist, ist nicht vergänglich. Sie gehört nicht in den Bereich des bloßen Augenscheins oder der Sinneswahrnehmung. Sie ist völlig geistiger Natur und kommt direkt von Gott.
Wie ist das möglich? Die Bibel, in der wir viel über Freude finden, kann uns darüber kompetente Auskunft geben. Ja, in einer Bibelkonkordanz kommt allein in den Psalmen das Wort Freude mehr als dreißigmal vor, ohne die davon abgeleiteten Wörter wie freudig oder sich freuen zu zählen! Hier mag der eine oder andere Leser denken: „Das ist leichter gesagt als getan. Wie kann sich jemand freuen, dem gerade jemand Liebes gestorben ist oder der schwer unter einer unheilbaren Krankheit leidet oder wenn finanzielle und andere Sorgen ihm bis zum Halse stehen?“ Und ein junger Mensch mag fragen: „Woher sollen wir Jungen die Freude nehmen bei den trüben Lebensaussichten, die heutzutage unsere umweltgeschädigte, ausgebeutete Erde uns bietet?“
Das sind Argumente, die nicht ohne weiteres vom Tisch zu wischen sind. Wer hätte nicht Verständnis dafür? Und doch...
Der bekannte deutsche Liederdichter Paul Gerhardt durchlebte den ganzen Dreißigjährigen Krieg mit seinen Schrecknissen. Er erlebte auch Leid und Tod in seiner eigenen Familie. Doch bezeugen seine Lob-, Dank- und Trostlieder nicht nur sein Gottvertrauen, sondern auch eine geistige Freude. Er muß aus ihr die Kraft geschöpft heben, die alles Elend und Leid überstrahlte. Diese Freude an Gott ist in und von Gott.
Um diese Freude erlangen zu können, müssen wir Gott kennen. Können wir das wirklich? Gewiß! Das versichert uns Gott selbst gemäß den Worten des Propheten Jeremia: „Sie sollen mich [Gott] alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der Herr.“ Jer 31:34.
Jedem Menschen ist die Möglichkeit gegeben, Gott zu kennen. Der leidenden Menschheit zuliebe erforscht Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft
Christian Science (kr’istjən s’aiəns), in ihren Werken über die Christliche Wissenschaft das Christus-Heilen. Als Wegweiser, Wanderkarte und Kompaß hat sie allein das benutzt, was die Bibel über das Leben, Wirken und die Worte Christi Jesu sowie der Propheten aussagt. Jedes ihrer Bücher kann uns Gott näherbringen, vertrauter und liebenswerter machen. Mit diesem wachsenden Vertrauensverhältnis zu Gott kommt unausweichlich Freude. Warum? Weil wir erkennen, wie unendlich gut unser Gott ist. Er ist in dieser Güte und Liebe allmächtig. Ein beliebtes Lied aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft sagt es so:
Gott allein kann Freude geben,
Gott allein kann Frieden sä’n.
Ird’sche Freude wird zur Sorge,
Himmelsfreude bleibt bestehn.
Auch inmitten Not und Kummer
Ungetrübt das Herz sich freu’,
Still vertrauend auf den Morgen,
Lausch des Vaters Stimme treu.Liederbuch, Nr. 263.
Mrs. Eddy beschreibt in den folgenden Worten über Gott, Seele, wo wahre Freude zu finden ist: „Seele ist die unendliche Quelle der Seligkeit: nur hohe und heilige Freude kann unsterbliches Sehnen stillen.“ Vermischte Schriften, S. 287.
Das ist nun nicht bloß eine schöngeistige, aber unrealistische Theorie. Die Christliche Wissenschaft gibt konkrete, praktische Weisungen, wie jeder einzelne durch die Praxis diese Wahrheit demonstrieren und sie selbst und seinen Mitmenschen zum Segen erleben kann.
Der Apostel Paulus forderte die Philipper auf: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ Phil 4:4. Paulus wußte, wovon er sprach, denn er kannte die von Gott kommende und zu Gott führende Freude gut. Sie beruht auf einer absolut zuverlässigen Grundlage. Da Paulus sich vielen Gefahren und Schwierigkeiten gegenübersah, lernte er und bewies er, daß es bei Gott tatsächlich nichts zu fürchten gibt, weil Er das Gute, Alles ist.
Das menschliche Bewußtsein scheint einen ständigen Wechsel von Freude zu Leid, von Licht zu Schatten oder vom Guten zum Bösen und umgekehrt zu erleben. Und diese Unbeständigkeit behauptet, Freude sei vergänglich. Doch diese Vorstellung, die sich auf den Augenschein der materiellen Sinne gründet, sagt uns nichts über unser wahres Wesen, das wir als der von Gott erschaffene Mensch besitzen.
Der eigentliche oder wahre Mensch, nämlich wer wir wirklich sind und in alle Ewigkeit sein werden, ist aus unveränderlich guten, das heißt geistigen Elementen zusammengesetzt. Diese haben nichts mit den uns so vertrauten Begriffen wie Nerven, Muskeln, Blut, Knochen und deren Anfälligkeit für Leiden und Kummer zu tun. Sie sind vielmehr geistige Eigenschaften, unsterblich schön. Sie sind nicht vage, sondern in unserem täglichen Leben in uns und unseren Mitmenschen augenblicklich wahrnehmbar. Und sie schließen die Freude ein, die unveränderlich ist, weil sie ihre Grundlage in Gott hat.
Um diese Freude erfassen zu können, müssen wir begreifen, daß es sich nicht wirklich um zwei verschiedene Arten von Menschen handelt — einen sterblichen, materiellen und einen unsterblichen, geistigen. Wir beziehen uns vielmehr auf den einen Menschen, den Gott erschaffen hat. Die Vorstellung, daß der Mensch materiell und veränderlich ist, ist nichts anderes als eine irrige Auffassung von dem Wahren und Eigentlichen.
Und hier ist nun der springende Punkt: Zwei so verschiedene Bewußtseinszustände wie den Glauben an die Wirklichkeit der Materie oder den falschen Begriff vom Menschen und den Glauben an das göttlich Gute und dessen Spiegelbild können wir nicht zugleich haben. Das eine schließt das andere aus. Klingt das radikal? Es ist radikal.
Ein wenig an Gott, das ewig Gute und Wahre, zu glauben, aber den Phänomenen des menschlichen Alltags — vor allem Schmerz und Sorgen — Priorität einzuräumen, läßt uns wie ein Pendel zwischen zwei unvereinbaren Gegensätzen hin und her schwingen. Dann sind wir in keinem Bereich daheim. Diese Veränderlichkeit wirkt sich auf unsere Freude aus. Wenn wir aber Gott verstehen, erkennen wir, daß wir ganz und gar und ständig in Seiner Liebe weilen. Wir werden uns dieser Tatsache durch den uns von Gott verliehenen geistigen Sinn bewußt, der jedem von uns innewohnt.
Was und wie ist der geistige Sinn? Wie merken wir ihn? Es ist das in uns, was das Reine, das Schöne und das Gute liebt, was die geistige Wirklichkeit als wahr erkennt und sie schrittweise erlebt und beweist. Selbst eine schwache Ahnung von der Wahrheit über Gott und den Menschen läßt uns die Möglichkeit für Gutes erkennen, die dieses Verständnis mit sich bringt. In freudiger Erwartung sind wir startbereit zu einer mentalen Entdeckungsreise in unser wahres Sein — das geistige Universum oder die Wirklichkeit.
Durch diesen geistigen Sinn gewinnen wir Gottvertrauen, Treue und Ausdauer gegenüber allem, was uns ein widerwärtiger oder angsterregender Augenschein der materiellen Sinne weismachen will. Dieser geistige Sinn macht uns stark und mutig. Und Stärke und Mut brauchen wir, um unsere bisher gehegten Annahmen fahrenzulassen, die Materialität, Sorge und Leid akzeptieren und sich nicht ohne weiteres geschlagen geben. Es mag ein harter Kampf sein! Aber Gott läßt uns nie und nirgends allein. Wie könnte Er? Da Er Alles und überall ist, gibt Er alles, auch die Fähigkeit, ja die Willigkeit, diesen Weg zu gehen und durchzuhalten.
Und welch ein Lohn, welche Freiheit erwartet uns! Welche Freude! Wenn das Herz diese Freude erst einmal auch nur für den Bruchteil einer Sekunde gekostet hat, weiß es den Weg und will keinen andern.
Ich empfinde solche Momente als eine Ahnung wirklich gelebten Lebens. Mit der Zeit ist mir bewußt geworden, daß es nicht nur die Freude an Gott ist, sondern Gott selbst, was sich da offenbart.
Diese Freude vermag zu heilen. Ich erinnere mich, daß mich einmal anhaltende, heftige Schmerzen im rechten Arm nicht schlafen ließen. Was und wie ich betete, weiß ich nicht mehr. Aber plötzlich durchblitzte mich eine ganz starke Freude. Sie schien aus meinem tiefsten Inneren zu kommen und drang mitten durch den Schmerz hindurch. Die Schmerzen waren nicht sogleich verschwunden, aber es war der Anfang der Heilung, die innerhalb weniger Tage erfolgte und von Dauer blieb.
Ein andermal fühlte ich mich müde und niedergeschlagen, während ich, mit Einkäufen beladen, einen langen Weg nach Hause ging. Da fiel mein Blick im Vorübergehen auf das Parterrefenster eines an der Straße gelegenen Hauses. Zwei kleine Mädchen standen am Fenster. Die jüngere, etwa zwei Jahre alt, winkte mir mit ihrem Händchen und einem derart sonnigen, lieben Lächeln zu, daß ich mich augenblicklich frisch und frei fühlte. Ich kannte die Kinder nicht, ebensowenig wie sie mich kannten. Doch neue Kraft und Freudigkeit belebten mich und hielten auch an, während ich daheim meinen Alltagspflichten nachging. Nie habe ich dieses kurze Erlebnis vergessen. Noch heute empfinde ich es dankbar als ein Geschenk Gottes, der göttlichen Liebe, die in diesem Kinde so lebendig zum Ausdruck kam.
Was auch immer beanspruchen mag, uns zu bedrücken oder zu quälen, die heilende, heilige Gottesfreude ist gerade da, wo wir sind — Sie, ich, alle —, und wartet nur darauf, segnen zu können, wartet auf unsere Empfangsbereitschaft.
In der vierten Landessprache der Schweiz, dem Rätoromanischen, lautet der übliche Tagesgruß: „Allegre!“ Das ist übersetzt: „Freu dich!“ Welch ein Gruß! Ist er nicht wunderschön? Dieses Wort sei ein Gruß der Liebe und Ermutigung an alle Menschen:
Allegre! Freu dich!
