Seit Einigen Wochen hatte ich ein taubes Gefühl im Arm und starke Schmerzen im Brustkorb. Ich betete, und es trat eine Linderung der Schmerzen ein, aber keine Heilung. Als die Schmerzen stärker wurden, wurde ich ungeduldig. Ich schritt im Gebet in meinem Arbeitszimmer auf und ab. Immer wieder erklärte ich meine Freiheit von Krankheit als Gottes Bild und Gleichnis. Plötzlich blieb ich vor einer aufgestellten Faltkarte stehen. Mein Blick fiel auf den Satz: „Empfänglichkeit ist eine Eigenschaft Gottes und daher eine Eigenschaft des Menschen.“
Ich stutzte und hatte das Gefühl, daß ich etwas zu lernen hatte. Aber bevor ich weiter denken konnte, kamen etliche Fragen in mein Bewußtsein: „Kannst du sagen, daß du ein empfängliches Denken hast? Weißt du eigentlich, was es bedeutet, empfänglich zu sein? Ist dein Gebet bis jetzt ein wortreiches, intellektuelles Argumentieren gewesen? Oder ist dein Herz schon tief von der Wahrheit dessen berührt worden, was du erklärt hast?“
Die Ungeduld ließ nach. Als ich in Wörterbüchern nachlas, was Empfänglichkeit bedeutet, wurde mir klar, daß echte Empfänglichkeit eine unvoreingenommene Aufgeschlossenheit ist, eine Bereitwilligkeit, sozusagen mit offenen Armen Neues zu empfangen und, was sehr wichtig ist, darauf zu reagieren. Sie ist ein freudiges Aufnehmen von etwas, was zu einer veränderten Betrachtung und einer veränderten Reaktion führt.
In meinem Fall brauchte ich die Aufgeschlossenheit für die göttliche Wirklichkeit von einem vollkommenen Gott und Seinem Ebenbild, dem vollkommenen geistigen Menschen — damit die geistige Wahrheit mein Bewußtsein erheben und erfüllen konnte. Ich war sehr bald nicht mehr von Gedanken des Krankseins, der Sorgen und großer Verantwortung erfüllt, sondern von einem Gefühl des Einsseins mit Gott, dem Guten. Mein Bewußtsein erhob sich zu dem, was von Gott aus bereits wirklich war, nämlich die unveränderliche, harmonische, Gesundheit einschließende Wahrheit über den Menschen als Gottes Bild und Gleichnis.
Dieses neue Empfinden wirkte befreiend; die Schmerzen und das taube Gefühl im Arm waren bald verschwunden.
Diese Erfahrung war sehr einschneidend für meine praktische Betätigung der Christlichen Wissenschaft. Seitdem stelle ich mir bei jedem Ausarbeiten von Schwierigkeiten die Fragen: „Bist du wirklich für die göttliche Wahrheit, den Christus, empfänglich? Empfindest du die befreiende Wirkung der Wahrheit, und reagierst du darauf?“
Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy, finden wir folgende exakte Beschreibung des Christus: „Die göttliche Offenbarwerdung Gottes, die zum Fleisch kommt, um den fleischgewordenen Irrtum zu zerstören.“
Die beschriebene Erfahrung zeigt, wie wichtig gottinspiriertes Fragen für heilendes Gebet ist. Das Wort fragen ist mit forschen verwandt. Beide Wörter haben dieselbe indogermanische Wurzel. Eine Frage ist eine Äußerung, die eine Antwort oder Klärung verlangt. Wie jede Forschungs-methode, so hilft uns auch das geistige Fragen, Gedanken zu prüfen, zu zergliedern und zu erkennen. Es hilft uns, zu erkennen, ob unsere Empfindungen göttlichen Ursprungs sind oder ob sie aus menschlichem, begrenztem Denken hervorgehen.
Diese Fragen sind kein Selbstzweck. Sie sind vielmehr die notwendige Hilfe, um Bewußtseinszustände aufzudecken, die unserem wahren, göttlichen Charakter als Ebenbild Gottes nicht entsprechen. Die nach der Wahrheit forschenden Fragen führen uns zu Einsichten, zu neuen Erkenntnissen über Gott und uns selbst als Sein Ebenbild und zu Umwandlung. Sie führen uns zu Antworten und tragen dazu bei, daß unser wahres Wesen zum Vorschein kommt — die Identität des Menschen, die durch Geistigkeit, Harmonie und Gesundheit gekennzeichnet ist. Paulus schrieb im ersten Korintherbrief über die uns innewohnende Kraft, die Wahrheit und unseren göttlichen Ursprung zu erkennen: „Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.“
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, hat in ihren Schriften Fragen und Antworten beachtliche Bedeutung beigemessen. Das ganze Kapitel „Zusammenfassung“ in Wissenschaft und Gesundheit besteht aus Fragen und Antworten. Auch ihre Vermischten Schriften enthalten 64 Seiten mit Fragen und Antworten — und zwar in einem Kapitel mit ebendiesem Titel.
Es ist beim Studium dieser und anderer Bücher von Mrs. Eddy eine interessante Übung, nach jeder Frage anzuhalten, über sie nachzudenken, eine Antwort zu geben und danach zu lesen, wie Mrs. Eddy sie beantwortet hat. Es ist eine wunderbare Weise, das Denken zu erweitern, aus einengenden Gedankenbahnen herauszugehen und unseren Reichtum an Ideen und Verständnis zu vergrößern.
Die Antworten auf unsere Fragen können sich sehr vielgestaltig entfalten. Mein starkes Verlangen, die Wahrheit und den wahren, geistigen Menschen besser zu verstehen, erfüllte sich einmal für mich durch eine Frage. Beim Studium der wöchentlichen Bibellektion im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft las ich folgende Stelle in Wissenschaft und Gesundheit: „Den geistigen Sinn der Wahrheit müssen wir erlangen, ehe wir Wahrheit verstehen können. Diesen Sinn eignen wir uns nur dann an, wenn wir ehrlich, selbstlos, liebevoll und sanftmütig sind.“ Ja, die Wahrheit wollte ich wohl verstehen. Aber wieso konnte ich mir den geistigen Sinn nur dann aneignen, wenn ich „ehrlich, selbstlos, liebevoll und sanftmütig“ war? Was hatte mein Verständnis von der göttlichen Wahrheit mit diesen Eigenschaften der Liebe zu tun?
Um in der Beantwortung meiner Fragen Fortschritt zu machen, kam mir der Gedanke, zunächst einmal die Wörter ehrlich, selbstlos, liebevoll und sanftmütig zu studieren. Und das tat ich auch mit Hilfe der Konkordanzen zur Bibel und zu Mrs. Eddys Schriften. Mein Studium, das sich über mehrere Tage hinzog, beeindruckte mich sehr und vertiefte mein Verständnis dieser vier Eigenschaften. Aber dann geschah etwas Unerwartetes! Ich wurde in einer Situation herausgefordert, in der ich zunächst mit Ärger, Zorn und Vergeltung reagieren wollte. Aber was tat ich? Ich wandte das an, was ich über Selbstlosigkeit, Liebe und Sanftmut studiert hatte. Ich sagte mir besonders: „Sei jetzt sanftmütig; stelle dich unter das Gesetz der Liebe und reagiere in Liebe. Nur die göttliche Liebe ist wirklich; es gibt nur die Liebe.“
Ich wußte, daß Liebe das Fundament und die formende Kraft der Schöpfung ist. Jeder Mensch ist eine Kundwerdung der göttlichen Liebe. Die sich ständig entfaltende Individualität des Menschen ist ein Teil der Wechselbeziehung von Gott und Mensch, in der der Mensch Gottes Handeln widerspiegelt. Empfänglichkeit ist also ein wichtiges Element dieser Wechselbeziehung.
Ich fühlte mich augenblicklich verändert. Ich empfand plötzlich ein starkes Gefühl der Einheit mit Gott, mit dem Gesetz des Guten, der Liebe und Wahrheit. Jegliche Rachegefühle und jede Feindseligkeit waren verschwunden. Ich hatte das Empfinden, zum erstenmal in meinem Dasein bewußt einen Schimmer von der Wirklichkeit des geistigen Menschen erlangt zu haben. Dieses Erlebnis lehrte mich deutlich den Zusammenhang zwischen Wahrheit und Liebe und zeigte mir, daß uns ohne das angewandte Verständnis von Liebe der geistige und tiefere Sinn der göttlichen Wahrheit verschlossen bleibt. Das war ein Wendepunkt in meinem geistigen Fortschritt.
Wenn wir ehrliche Fragen haben, kommt darin eine suchende Haltung zum Ausdruck, die ihre Bedürftigkeit nach geistiger Bereicherung und nach Verständnis empfindet. Diese Haltung bewahrt uns vor Selbstgerechtigkeit und intellektuellem Stolz, denn solange wir Fragen stellen und die Antworten in Gott suchen, werden wir geistig wachsen. Klarheit wird sich ständig in uns entwickeln. Und das bedeutet zunehmende Herrschaft. Es bringt uns auch größere Wachsamkeit, schärft unseren Blick für das Wesentliche und bewahrt uns vor einer Anhäufung unerledigter Probleme. Es bedeutet, daß wir das Staunen nicht verlernen. Wir werden ständig an der Entfaltung des unendlichen Guten, der Schöpfung Gottes, teilnehmen.
Bittet, so wird euch gegeben;
suchet, so werdet ihr finden;
klopfet an, so wird euch aufgetan.
Denn wer da bittet, der empfängt;
und wer da sucht, der findet;
und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
Matthäus 7:7, 8