Die Welt Hatte kaum einen gemeinsamen Seufzer der Erleichterung über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und die politische Befreiung von Teilen Osteuropas ausgestoßen, als ein weiteres Pulverfaß im Nahen Osten hochging. Ständig brechen in der Welt bewaffnete Konflikte aus, von denen einige eine lange Zeit weitergären.
Kann es dann so etwas wie dauerhaften Frieden geben? Und können Sie oder ich irgendwie der Menschheit helfen, ihn zu finden? Universaler Frieden muß wirklich jeden von uns einschließen. Wir sollten niemals die Wirkung unserer guten Gedanken und Handlungen unterschätzen. Am wichtigsten ist, daß wir beten können. Und zwar können wir so beten, daß sich eine Situation ändert.
Paulus nannte Frieden eine „Frucht des Geistes“. Er schrieb an die Galater: „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit; gegen all dies ist das Gesetz nicht.“ Paulus gebraucht hier Geist als einen Namen für Gott. Es ist ein allgemeiner biblischer Begriff für das höchste Wesen, ein Name, der viel über das göttliche Wesen aussagt. Geist könnte niemals auf eine endliche, materielle Form beschränkt sein. Der unkörperliche Geist muß grenzenlos, unzerstörbar, dauerhaft und ewig sein.
Nach derselben Logik, nach der Gleiches Gleiches hervorbringt, muß alles, was Gott schafft, etwas von Seinem unendlichen Wesen an sich haben. Solch eine Schlußfolgerung verlangt jedoch, daß wir hinter die fleischlichen Erscheinungen und Begrenzungen schauen und entdecken, daß wir uns und andere auf eine ganz neue Art betrachten können. Wenn wir in der Bibel aufgefordert werden, „den neuen Menschen“ anzuziehen, werden wir auf unsere wirkliche Natur hingewiesen, die zum Ebenbild des Geistes erschaffen ist. Die Eigenschaften des Geistes, von denen Paulus spricht — „Liebe, Freude, Friede“ —, sind notwendigerweise geistig, unzerstörbar, ewig. Sie sind in und von Gott und gehören zu unserem gottgegebenen Selbst. „Gegen all dies ist das Gesetz nicht“ — sie unterliegen keinem Gesetz der Vernichtung.
Wenn nun Frieden tatsächlich eine dem Menschen angeborene Eigenschaft Gottes ist, folgt dann nicht logischerweise, daß ein besseres Verständnis von Gott und Seiner Schöpfung uns zum Frieden führen wird? Hiobs Freund sagte ihm: „So vertrage dich nun mit Gott und mache Frieden.“ Um die Natur von Gottes dauerndem Frieden besser zu erfassen und „wie im Himmel so auf Erden“ mehr davon herbeizuführen, müssen wir dem Vorbild Christi Jesu folgen und allein den einen Gott als einzige Macht und Gegenwart in unserem Leben akzeptieren.
Unendlicher Geist läßt keinen Raum für sein Gegenteil. Die allgemeine Vorstellung, daß alles ein Gegenteil haben muß — daß man nicht das Gute ohne das Böse haben kann, Liebe ohne Haß oder Frieden ohne Krieg —, muß letzten Endes der felsenfesten Überzeugung weichen, daß Gott uneingeschränkt regiert. Echter Frieden ist nicht lediglich ein materieller oder politischer Zustand, der Abwesenheit von Krieg bedeutet, ebensowenig wie Licht nur die Abwesenheit von Dunkelheit ist. In Gottes Augen ist Frieden der dauernde, geistige Zustand von allem, was Er schafft. Da Disharmonie und Krieg absolut nicht die Güte Gottes darstellen, zeigt uns der Christus, die wahre Idee Gottes, die Jesus in höchstem Maße zum Ausdruck brachte, wie wir ihre schädlichen Wirkungen aufheben können.
Diese Möglichkeit ist keine Fantasie. Sie ist christlicher Realismus, wie auch ein Freund von mir herausfand. Während des Zweiten Welt-kriegs wurde er verwundet, als sein Schiff torpediert wurde. Die Wucht der Explosion machte ihn bewußtlos. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Deck, und ein Bein war so schwer verletzt, daß er sich nicht bewegen konnte. In jener Nacht schien auf dem brennenden, sinkenden Schiff der Tod nahe. Gerade als das Schiff unterzugehen begann, beteuerte er laut: „Gott ist gegenwärtig.“
Als die ersten Wellen über das schnell versinkende Deck schlugen, nahm ein Mitglied der Mannschaft ihn auf und brachte ihn zu dem einzigen, noch verbliebenen seetüchtigen Rettungsboot. Mein Freund dankte Gott für diesen Beweis Seiner Liebe und Gegenwart. Aber nun mußte er viele Stunden lang auf dem wasserbedeckten Boden des Bootes liegen. Er hielt an dem Gedanken fest, daß Gott immer gegenwärtig ist. Vierzehn Stunden nach der Verwundung Kam er schließlich in ein Lazarett, wo drei Ärzte darin übereinstimmten, daß sein Bein amputiert werden müsse.
Als Christlicher Wissenschafter hatte mein Freund gelernt, physische Erscheinungen nicht als endgültiges Urteil zu akzeptieren. Er hatte gelernt, daß tiefes, inbrünstiges Gebet, das sich auf ein Verständnis von Gott als unendlichem Geist gründet, solche Urteile erfolgreich widerlegen kann. Er setzte sich mit einem Ausüber der Christlichen Wissenschaft
Christian Science (kr’istjen s’aiens) in Verbindung, der ihn in seinen Gebeten unterstützen sollte. Dieser begann sofort, für ihn zu beten. Während dieser Zeit erhielt mein Freund keine Medikamente, und er weigerte sich standhaft, der Amputation zuzustimmen.
Nach ungefähr zehn Wochen wurde er aus dem Lazarett entlassen. Wegen der Lage der Hüfte war jedoch ein Bein über zehn Zentimeter kürzer als das andere. Man sagte ihm, daß nichts mehr für ihn getan werden könne; und er wurde mit einer Rente für Kriegsversehrte entlassen. Das Gehen fiel ihm außerordentlich schwer. Aber er und der Ausüber beteten weiter und erwarteten voller Zuversicht eine vollständige Heilung.
Wie konnten sie angesichts der ärztlichen Prognose so zuversichtlich sein? Ihre Gebete waren von dem Verständnis erfüllt, daß Gott und Seine geistige Schöpfung, einschließlich des Menschen, schon vollkommen waren. Solches Gebet taucht tief in die geistige Wirklichkeit. Es ist weder Wunschdenken noch eine hypnotische mentale Beherrschung der Materie. Gebet im Sinne der Christlichen Wissenschaft ist ein wachsendes Verständnis des Geistes und der geistigen Beschaffenheit der Schöpfung. Als solches ist es beweisbar und verläßlich, da es sich auf eine logische, verständliche Prämisse gründet, die zu sichtbaren Ergebnissen führt. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt in ihrem Hauptwerk Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Unsere Unwissenheit über Gott, das göttliche Prinzip, bringt scheinbare Disharmonie hervor, und das richtige Verständnis von Ihm stellt die Harmonie wieder her.“
Eine christlich-wissenschaftliche Heilung erfordert vor allem eine tiefgehende geistige Erneuerung, eine grundlegende Änderung des Denkens und der Einstellung. Aufgrund dessen, was mein Freund durchgemacht hatte, war er voller Groll. Warum sollte er unter den Folgen eines Krieges leiden, der nicht einmal sein Werk war? Wenn kein Krieg gewesen wäre, so sagte er sich immer wieder, wäre er nicht auf einem Schiff gewesen, das torpediert wurde. Und er wäre nicht verwundet worden.
Mehrere Monate argumentierte er auf diese Weise. Dann erwähnte er, als er einmal den Ausüber besuchte, seinen Groll. Ganz schnell wies der Ausüber ihn darauf hin, wie irrig solch eine Haltung war. Er sprach davon, daß Frieden eine dauernde Eigenschaft Gottes ist, die niemals in Frage gestellt oder unterbrochen werden kann. Krieg oder Unfall ist nicht Gottes Wille für den Menschen.
Daraufhin begann mein Freund, seine Situation aus einer geistigeren Perspektive zu betrachten. Zuerst einmal hatte es in der unendlichen Gegenwart Gottes niemals einen Krieg gegeben, der einen Unfall verursachen konnte. Diese Folgerung mag zunächst überraschend scheinen. Doch mein Freund machte sich klar, daß es ja keine tatsächliche Wirkung geben konnte, wenn es keine von Gott getragene Ursache gibt. Auf dieser Basis konnte er beweisen, daß weder Krieg noch Unfall Gottes Schöpfung in Wirklichkeit berühren konnten.
Die ganze Zeit über hatte mein Freund an seiner Vollkommenheit als Ebenbild Gottes festgehalten. Aber dann hatte er unbewußt seine Gebete zunichte gemacht, indem er sich ständig mit dem Krieg und dem Unfall beschäftigte, als ob sie von Gott zugelassene Realitäten wären. Jetzt sah er ein, daß weder die physische Verwundung noch der Krieg jemals in Gottes Augen wirklich gewesen waren.
Dieser radikale Gedanke war ein Durchbruch. Seine Gebete erhielten eine neue Richtung. Von nun an machte die Heilung meines Freundes schnell Fortschritte. Es dauerte nicht lange, bis das Bein seine volle Länge wiedererlangt hatte. Er konnte wieder normal gehen, ohne Schmerzen oder Behinderung. Als später seine berufliche Tätigkeit eine ärztliche Untersuchung erforderlich machte, fragte ein Arzt, der offensichtlich davon beeindruckt war, wie gut das Bein geheilt war, welcher geschickte Chirurg es eingerichtet habe. Die Versehrtenrente wurde prompt gestrichen.
Natürlich waren seine Familie und seine Freunde alle hocherfreut — nicht nur weil er wieder normal gehen konnte, sondern auch darüber, was diese Heilung über die Vergänglichkeit des Krieges und die Unvergänglichkeit des Friedens bewiesen hatte.
Ein Verständnis des göttlichen Wesens und der geistigen Beständigkeit des Friedens liefert das nötige Bindeglied in unseren fortwährenden Gebeten für die Welt. Solch ein christusgleicher Frieden ist nicht unerreichbar. Es gibt viele Beispiele, wo Gebet Konflikte gelöst hat und in privaten wie auch kollektiven Angelegenheiten Harmonie wiederhergestellt hat. Aber wir können noch viel mehr tun. Wir können anfangen einzusehen, daß Krieg und Zwietracht in Gottes Universum keine Legitimität haben. Wenn sich jeder von uns der unendlichen Natur des Geistes stärker bewußt wird, werden unsere Gedanken und Handlungen mehr von dem Frieden Christi ausdrücken; und was Sie und ich denken und tun, wird wesentlich zur Verbesserung der geistigen Atmosphäre der Welt beitragen und damit zum Frieden für die Menschheit.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
Sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.
Darum laßt uns dem nachstreben,
was zum Frieden dient
und zur Erbauung untereinander.
Römer 14:17, 19