Vor Einigen Jahren habe ich mir eine Videokamera gekauft. Der Packung war eine Gebrauchsanweisung beigelegt, die 256 Seiten umfaßte. Sie war gespickt mit Hinweisen, Ratschlägen, Warnungen, Empfehlungen, Geboten und Verboten. Ich begann sie durchzulesen, wurde schon nach wenigen Augenblicken müde und bin über Seite 30 nicht hinausgekommen. Alles wirkte sehr kompliziert und sollte doch hilfreich sein.
Ich nahm also die Kamera in die Hand, und mühelos erkannte ich, welche Finger welche Knöpfe zu bedienen hatten, wie die Kamera zu halten war, und in wenigen Augenblicken begann ich zu filmen. Die Müdigkeit war verschwunden; voller Freude merkte ich, daß es nun richtig losging.
Später dachte ich über diese mehr als 250 Seiten nach, die notwendig erschienen, um etwas relativ Unbedeutendes wie eine Videokamera zu erklären, und betrachtete im Gegensatz dazu einen kurzen Abschnitt aus der Bibel, der aus meiner Sicht die wesentlichen Regeln für unser Leben enthält. Ich spreche von den Zehn Geboten. Diese wenigen Verse stecken den Rahmen umfassend ab, in dem jeder von uns sein Leben gestalten kann.
Die Zehn Gebote beschreiben Forderungen, die mühelos zu erfüllen sind und gewöhnlich leicht und fehlerfrei erfaßt werden können. Sie weisen auf den wahren, reinen Charakter des Menschen hin. Es wird nichts Unmögliches erwartet, sondern es ist völlig natürlich, Gottes Gesetzen zu gehorchen.
Jedes Gebot beinhaltet viel mehr, als es auf den ersten Blick erscheint. Was gehört beispielsweise zu dem achten Gebot: „Du sollst nicht stehlen“? 2. Mose 20:15. Klingt da nicht die Gewißheit an, daß Gottes Schöpfung, Sein guter, aufrechter, vollkommener Mensch, nicht stehlen kann?
Man kann also den hebräischen Dekalog als Beschreibung von Tatsachen und nicht einfach von Anforderungen betrachten. Er drückt Überzeugung, nicht bloße Hoffnung, aus. Wer sich von diesen Tatsachen und Überzeugungen leiten läßt, wird im Leben schnell Fortschritt machen. Das Vertrauen in die Gebote, die Erkenntnis, daß sie nur das von uns fordern, was ganz natürlich zu unseren Fähigkeiten gehört, ist die Grundlage für erfolgreiches Arbeiten, für ein harmonisches Miteinander, und es erfaßt jeden einzelnen Lebensbereich.
Über Hiskia, einen der bedeutendsten Könige Judas, der durch seine gesellschaftlichen Reformen bekannt ist, wird im 2. Buch der Chronik berichtet: „Und alles, was er anfing für den Dienst des Hauses Gottes nach dem Gesetz und Gebot, seinen Gott zu suchen, tat er von ganzem Herzen, und es gelang ihm.“ 2. Chr 31:21.
Liest man mehr über Hiskia, kann man daraus schließen, daß seine Liebe zu Gott und den Geboten seine Fähigkeiten und Talente entfaltet hat. Nur so konnte er erfolgreich wirken. Die Hinwendung zu den Geboten, die Liebe zu ihnen, läßt jeden von uns in einer Weise handeln, die dem höchsten Guten entspricht.
Die Zehn Gebote, diese allgemeingültigen Gesetze für den Menschen, sind göttlichen Ursprungs. Sie zeigen, was für jeden von uns wichtig und richtig ist. Was Gott uns vermittelt, ist machtvoll. Seine Wahrheit schließt jeden ein und bevorzugt oder benachteiligt niemanden.
Mose hat die Botschaft Gottes empfangen und übermittelt, man könnte sagen, übersetzt und für jedermann verständlich gemacht. Diese Übertragung hat der Menschheit den vollkommenen Wert, den weisen und liebevollen Rat der Gebote zugänglich gemacht. Wenn Gott der Urheber göttlicher Gesetze ist, können sie uns nicht fremd erscheinen. Im Gegenteil, der Mensch ist immer empfänglich für Gottes Gesetze, für ihre Kraft, den Schutz, die Dynamik, die ihnen innewohnt.
Es ist für uns daher folgerichtig, bereitwillig und voller Freude auf die Erwartungen in den Zehn Geboten zu antworten. Die Bejahung der Gebote ist die Bestätigung unserer wahren Einheit mit Wahrheit, Leben und Liebe. Die Zehn Gebote rufen uns dazu auf, empfänglich, aktiv, schaffensfroh zu sein. Wir sollen, wie es die Bibel formuliert, „Täter des Worts und nicht Hörer allein“ Jak 1:22. sein.
Die Gebote helfen, uns mit Lebensfreude, Tatkraft, Gebet, Fortschritt und Beweglichkeit zu identifizieren und, wenn erforderlich, falsche Behauptungen über uns zu korrigieren. In diesem Licht wandelt sich das im Deutschen bisweilen recht belastend klingende „Du sollst. . .“ der einzelnen Gebote in ein verheißungsvolles, freudiges „Du wirst. . .“. So helfen uns die Gebote, unsere wahre Natur zu sehen, sie bestätigen, daß wir Gott, unseren Herrn, von ganzem Herzen lieben und diese Liebe durch Betätigung Seiner Gesetze zeigen.
Diese Gesetze entfalten uns eine göttliche Ordnung, auf die wir uns verlassen können und die jede Entscheidung und Handlung, die im täglichen Leben ansteht, zuverlässig regiert und kontrolliert. Es sind keine menschlichen Hypothesen, die sich im Lichte unterschiedlicher Situationen wandeln, sondern sie spiegeln ständig die Allgegenwart und Verfügbarkeit des göttlichen Prinzips wider. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Begründerin der Christlichen Wissenschaft, erklärt in ihrem Werk Vermischte Schriften: „Das Gesetz Gottes ist das Gesetz des Geistes, eine moralische und geistige Kraft des unsterblichen und göttlichen Gemüts.“ Verm., S. 257.
Diese moralische und geistige Kraft erlebte ich vor Jahren, als ich den Auftrag bekam, einen Zeitungsartikel zu übersetzen. Die zur Verfügung stehende Zeit war knapp bemessen und der Text schwieriger als erwartet. In einer noch sehr frühen Phase der Übersetzung entdeckte ich, daß der gleiche Artikel bereits in einer anderen Zeitung übersetzt worden war, und es wäre einfach gewesen, diesen Artikel der anderen Zeitung zu entnehmen.
Noch ehe ich den Gedanken beendet hatte, stand mir das Gebot „Du sollst nicht stehlen“ vor Augen. Ich fühlte mich augenblicklich frei, erleichtert. Keinesfalls haderte ich, weil mir ein Gebot „in die Quere gekommen“ war; nein, ich setzte die eigene Übersetzung mit größerer Freude, mit mehr Klarheit und besserer Wortwahl fort. Das Aufscheinen dieses Gebots in meinem Bewußtsein war das Licht, das die Schatten der Mutlosigkeit, der Zeitknappheit und der schieren Bequemlichkeit — ganz zu schweigen von der Unehrlichkeit — restlos aufgelöst hatte. Wochen später erfuhr ich, daß der betreffende Artikel als Grundlage für die Bewertung meiner Arbeit genommen worden war. Die Qualität der eigenen Arbeit führte zu einer langjährigen Beschäftigung.
Vor welcher Aufgabe wir auch stehen mögen, egal, wie sich eine Herausforderung darstellt — der Gehorsam, die Gebote einzuhalten, erhebt den Glauben zu einem besseren Verständnis der Wahrheit über Gott und den Menschen. Der Gehorsam führt zur Demonstration dieser Wahrheit und zu Heilung. Dieser Gehorsam erfordert bereitwilliges Lauschen, ein Offensein für Gottes Wort und die für Inspirationen wichtige Demut. Dieses innige Gehorchen entwickelt sich nicht durch einen hinter uns drohend erhobenen Zeigefinger, der womöglich nur die Fehler aufzeigt oder gar festhält, sondern indem wir das bereits erreichte Gute erkennen.
Es ist so befreiend, den Geboten zu folgen; darin liegt keine Last, keine Bürde. Wenn wir wissen, daß wir als Bild Gottes beispielsweise nicht stehlen können, werden wir auch unseren Kindern nach einem langen Arbeitstag deren Freude nicht durch Gleichgültigkeit stehlen, werden wir dem Kollegen durch unseren falsch verstandenen Ehrgeiz nicht dessen Hilfsbereitschaft stehlen, und wir werden uns unsere Tatkraft nicht dadurch stehlen, daß wir über uns falsch Zeugnis reden, weil wir behaupten, wir könnten eine bestimmte Aufgabe nicht erfüllen.
Die Zehn Gebote geben uns Orientierung, sie ermutigen, erfrischen, beleben uns, weil sie uns unser wahres geistiges Sein vor Augen halten. Sie weisen auf unsere natürlichen Qualitäten hin, und ihre Einhaltung verleiht Sicherheit, Geborgenheit, Frieden.
