An einer Kreuzung in der City von Dallas liegt inmitten des Dickichts von Wolkenkratzern ein knapp zwei Hektar großes Stück Land, das Thanks-Giving Square (Danksagungs-Platz) genannt wird. Es ist nichts Aufsehenerregendes — nur ein paar Bäume, ein Brunnen und eine gepflegte Kapelle mit einem weißen zylindrischen Turm.
Aber es ist kein gewöhnlicher Platz. In seiner zwanzigjährigen Geschichte war dieser städtische Zufluchtsort Zeuge einer der reichsten Sammlungen von Gebeten, die die Welt je gekannt hat.
Ab Sonnenaufgang werden hier am vierten Donnerstag im November, dem amerikanischen Danksagungstag, geistige Führer von dreizehn verschiedenen Glaubensgemeinschaften abwechselnd religiöse Rituale durchführen. Dieser Tag beständigen Gebets ist in Dallas eine Tradition zum Thanksgiving, die seit der Einweihung des Platzes und der Kapelle im Jahr 1976 jedes Jahr stattfindet.
Mit Hilfe von episkopalen Christen, von Mormonen, Buddhisten, Sikhs und Moslemen, um nur einige zu nennen, werden die Feierlichkeiten die religiösen Überzeugungen der Mehrheit der Weltbevölkerung berühren. Auf diese Weise soll der Thanks-Giving Square — das ist die Hoffnung seiner Gründer — der Idee Ausdruck verleihen, dass trotz ihrer Verschiedenheiten die Anhänger aller Glaubensrichtungen sich in Dankbarkeit vereinen können.
„In allen großen Religionen gibt es traditionelle Dankfeste, auf denen das Geschenk des Lebens gefeiert wird", sagt H. Neill McFarland, emeritierter Professor für Religionswissenschaft an der Southern Methodist University. „Dieser Tag des Gebets soll das demonstrieren und die Möglichkeiten feiern, wie wir durch menschlichen Umgang bereichert und geadelt werden."
Der Danksagungs-Platz wurde von einer Koalition von Geschäftsleuten in Dallas, unter der Leitung von Peter Stewart, konzipiert. Stewart, der während des Ersten Weltkriegs die ganze Welt bereist hat, stellte fest, dass die meisten großen Städte eine heilige Stätte unterhalten, die der vorherrschenden Glaubensgemeinschaft dieser Kultur gewidmet ist. Obwohl Amerika definitionsgemäß eine ökumenische Gesellschaft ist, glaubten Stewart und seine Kollegen, dass Thanksgiving, mehr als alle anderen Feiertage in den USA, die Traditionen der religiösen Toleranz und Vielfalt reflektiert, die den Gründern der Nation so am Herzen lagen.
Nachdem die Koalition nach jahrelangem fund-raising die nötigen Mittel zusammengetragen hatte, kaufte sie das Land, baute den Platz und stiftete ein permanentes Danksagungszentrum für die Welt. Seitdem hat sich ihre Botschaft langsam in der Stadt und in der ganzen Welt verbreitet.
Ihre Tragweite ist erstaunlich. Allein in Dallas treffen sich zweimal im Monat Vertreter von einem Dutzend religiösen Gemeinschaften, um Weltgeschehnisse zu diskutieren und Erkenntnisse auszutauschen. Die Mitarbeiter des Danksagungszentrums halten in vierzig Schulen in der Umgebung Programme ab.
Unterdessen lädt ein anderer Zweig des Projekts, die Nationale Danksagungskommission, führende Persönlichkeiten aus aller Welt ein, hier Ansprachen zu halten, ermöglicht jedes Jahr die Herausgabe einer Internationalen Danksagungs-Proklamation und setzt sich gegenwärtig in den Vereinten Nationen dafür ein, das jahr 2000 weltweit zu einem Jahr der Danksagung zu erklären. Zur Zeit bereiten die Bewohner von Belfast ihren eigenen Danksagungs-Platz vor und ein Dutzend anderer Weltstädte haben Beobachter gesandt.
„Wir wollten einen Ort schaffen, wo sich Gläubige sofort zu Hause fühlen und wo selbst Ungläubige sich wohlfühlen", sagt Stewart. „Dankbarkeit und Danksagung kennen keine Grenzen."
Geschichten von der vereinigenden Macht des ThanksGiving Square sind allgegenwärtig hier. Charlotte Kharas, eine aktive Teilnehmerin, ist Präsidentin der Zoroastrier von Nord-Texas. Ihre Familie ist nur eine von hundert in Dallas, die den Zoroastrismus praktizieren, eine alte persische Religion mit etwa 200 000 Anhängern weltweit.
Nachdem sie von der Direktorin des Thanks-Giving Square, Elizabeth Espersen, kontaktiert worden war, sagt Kharas, seien sie und ihre Glaubensgenossen gebeten worden, eine Präsentation über ihren Glauben zu machen, in Dutzenden von lokalen Kirechen zu sprechen und Veranstaltungen für die Öffentlichkeit abzuhalten.
„Wenn ich früher zu den Leuten etwas über den Zoroastrismus gesagt habe, schauten sie mich überrascht an und sagten:, O ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt' ", sagt sie. „Der Thanks-Giving Square hat uns die Gelegenheit gegeben, unseren Glauben und seine Traditionen anderen näherzubringen und auch andere Traditionen kennenzulernen, die nicht in unserem Teil der Welt vertreten sind."
Kharas, eine gebürtige Pakistanerin, sagt, die multireligiösen Versammlungen beeindruckten sie am meisten. „Ich habe Gespräche zwischen Juden und Moslemen miterlebt", sagt sie. „Das ist etwas, was anderswo kaum möglich ist. In der Welt wird so viel gekämpft; es ist herzerwärmend zu sehen, wie viel Freude es bringen kann und wie viel man lernen kann, wenn Menschen verschiedenen Glaubens zusammenkommen."
Es ist eine Anerkennung, die Marzuk Jaami teilt, der Publick Relations Direktor der Ministry of W.D. Muhammad, einer afrikanisch-amerikanischen Moslemgruppe. Schwarze Mosleme, sagt er, glauben oft, dass sie den Weißen nicht trauen können, und viele Amerikaner, die nicht zu seinem Glauben gehören, betrachten Mosleme als Terroristen. Durch den Thanks-Giving Square, sagt er, seien viele dieser falschen Vorstellungen in Dallas gemildert worden, und Moslemführer haben sich mit anderen geistlichen Führern zu Verbindungen zusammenge-schlossen, die sich auch im sekulären Bereich als nützlich erwiesen haben.
In den letzten Monaten, bemerkt Jaami, seien die öffentlichen Versammlungen der Schulbehörden in Dallas von Rassenspannungen geplagt worden, und einige Gruppen hätten gezielte Störaktionen durchgeführt. Doch ein interreligiöser Verband von Moslemen, Christen und Juden, Dallas Act of Kind genannt, arbeitete hart daran, eine Botschaft von Freundlichkeit in die Versammlungen einzubringen, so dass Störungen oft beruhigt werden konnten.
Ein Erlebnis von gegenseitigem Verständnis werde durch den Thanks-Giving Square gefördert, sagt er, und das habe den Bürgern unermesslichen Gewinn gebracht. „Die Menschen müssen miteinander reden, und das ist es, wozu der Thanks-Giving Square uns anregt", sagt er. „Wenn es darum geht, religiöse Toleranz und Harmonie unter den Rassen aufzubauen, glaube ich, dass Dallas anderen Großstädten fünf bis zehn Jahre voraus ist."
Aus dem Christian Science Monitor
vom 27. November 1996
♦ ZUM DANKBARKEITSGEFÜHL ERZIEHEN, WILL HEISSEN, NICHTS, WAS ES AUCH SEI, ALS SELBSTVERSTÄNDLICH HINZUNEHMEN, SONDERN IMMER DEN FREUNDLICHEN WILLEN, DER HINTER DEM TUN STEHT, AUFZUSUCHEN UND ZU SCHÄTZEN. NICHTS VON DEM, WAS DIR WIDERFÄHRT, IST SELBSTVERSTÄNDLICH. ALLES GEHT AUF EINEN WILLEN ZUM GUTEN ZURÜCK, DER AUF DICH GERICHTET IST.
Herausgeber: Die Christian Science Verlagsgesellschaft
One Norway Street, Boston, MA 02115, USA
Nachdruck nur mit Genehmigung @1997
